Editorial

Mit Pflanze ins Tier

Karin Hollricher


Dresden: Wie man mit einem Pflanzenhormon vorübergehend Proteine aus tierischen Zellen entfernen kann.

Loss-of-Function-Studien sind eine Option, Funktionen von Proteinen zu untersuchen. Mit gezielten Mutationen schaltet der Forscher hierzu die entsprechenden Gene aus und entfernt somit gleichsam die Proteine aus dem Zellgeschehen.

Hat er jedoch Proteine im Visier, die für die Entwicklung essentiell sind – beispielsweise solche, die den Zellzyklus steuern –, kann man die betreffenden Gene nicht einfach ausschalten. Denn das wäre letal. Vielmehr muss er sie für die Analyse kurzzeitig aus- und auch wieder anschalten können. Für solche transienten Knock-down-Analysen gibt es bereits Methoden, die mit Antisense-RNAs, Oligos oder kurzen RNA-Molekülen arbeiten – doch wirken sie nicht immer ausreichend gut und schnell genug.

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Katrin Daniel und Jörg Mansfeld: „Das musste doch irgendwie einfacher gehen.“ – Und es ging! Foto: Friederike Braun
Pflanzenhormon Auxin als Bremsenlöser

Auf der Suche nach einer „Schalter-Methode“ mit wirklich schnellen, hochwirksamen und reversiblen Effekten in tierischen Zellen ist man interessanterweise in Pflanzen fündig geworden – und das bereits vor fast zehn Jahren. Japanische Wissenschaftler entwickelten damals ein transientes Knock-down-System, welches das Pflanzenhormon Auxin als Induktor verwendet und auf posttranslationaler Ebene arbeitet (Nat. Methods 6: 917-22). Auxin spielt zwar im Leben einer tierischen Zelle keine Rolle. Mithilfe des pflanzlichen Auxin-Kontrollsystems lässt sich aber ein funktionierendes, transientes Repressionssystem basteln, das Proteine gezielt dem zellulären Abbau zuführt. Sie tauften es „Auxin-induzierbares Degron“, oder kurz AID.

Wie funktioniert Auxin? Für Pflanzen ist das Hormon unersetzlich. Es steuert eine Vielzahl von Wachstums- und Entwicklungsprozessen, beispielsweise den Phototropismus, also die Ausrichtung zur Sonne hin, und die Dominanz der Sprossspitze über die Seitentriebe. Hier wirkt es wie ein Aktivator, indem es im Prinzip Transkriptions-hemmende Moleküle dem Proteasom zuführt.

Der genaue Mechanismus ist ein bisschen komplex. Zunächst bindet Auxin an einen Auxin-Rezeptor mit Namen Tir1. Dieser ist als F-Box-Protein ein Bestandteil des sogenannten SCF-Komplexes, der Proteine ubiquitiniert und damit für den Abbau durch Proteasome markiert. Nach Bindung von Auxin kann der SCF-Komplex über Tir1 an Moleküle binden, die die Transkription von Auxin-responsiven Genen durch die Blockade aktivierender Faktoren verhindern. Die Bindung erfolgt dabei an ganz bestimmte Elemente dieser Repressormoleküle, die man Aux/IAA getauft hat. Am Ende löst Auxin also die Bremsschuhe von Auxin-responsiven Genen, so dass aktivierende Transkriptionsfaktoren deren Expression anwerfen können.

Nun verfügen tierische Zellen zwar über SCF-Komplexe, beispielsweise nutzen sie sie zur Kontrolle des Zellzyklus. Aber das war’s dann auch schon. Tir1 oder Aux/IAA-Bindestellen – Fehlanzeige! Folglich kann man mit dem geschilderten Auxin-System ein Protein vorübergehend aus der Zelle entfernen, wenn man dessen Gen mit der Sequenz einer Aux/IAA-Bindestelle versieht – und zwar jedes Allel des betreffenden Gens.

„Jedes neue Gen einzeln mit einer Aux/IAA-Sequenz zu fusionieren, fand ich mühselig und dachte, es muss doch irgendwie einfacher gehen“, erzählt dazu Jörg Mansfeld vom Biotechnologie-Zentrum der Technischen Universität Dresden. Ende 2010, als er noch Postdoc in Cambridge (UK) war, ging ihm das erstmals durch den Kopf. Als er vier Jahre später nach Dresden kam, setzte er mit seinem Team die inzwischen gereifte Idee in die Tat um (Nat. Commun. 2018, 9, 3297).

Mansfeld und Co. machten sich dabei das Green Fluorescent Protein (GFP) sowie Anti-GFP-Nanobodies zu Nutze. Dazu nahmen sie diverse Modellsysteme, in denen die unterschiedlichsten Proteine mit GFP oder dessen Verwandten Venus markiert sind. In solche Zelllinien integrierten die Forscher erstens ein aktivierbares Konstrukt aus der Aux/IAA-Sequenz (also der Tir1-Bindestelle) wie auch der Sequenz für einen kleinen Anti-GFP-Antikörper, eben jenen Nanobody. Außerdem versahen sie die Zellen mit einem Tir1-Gen.

In der Theorie soll dann Folgendes geschehen: Wenn die Zelle den GFP-Antikörper exprimiert, bindet er den Venus-Teil des Zielproteins. Auxin wiederum aktiviert das pflanzliche Tir1, welches Teil des tierischen SCF-Komplexes wird. Über die Aux/IAA-Domäne, die an den Antikörper gekoppelt ist, kann der SCF-Komplex an das Zielprotein binden, es ubiquitinieren und damit reif für den Schredder machen.

Auf Papier gut, im Experiment auch

Was auf dem Papier gut aussah, funktionierte dann auch in den Dresdener Experimenten. Egal ob zelluläre oder nukleäre, freie oder membrangebundene Proteine: Alle verschwanden nach der Auxin-Induktion. Allerdings protokollierten die Forscher unterschiedliche Geschwindigkeiten, mit denen ihre Testproteine abgebaut wurden.

„In der Zellkultur hat das super geklappt“, berichtet Katrin Daniel, Erstautorin der Studie und ehemalige Postdoktorandin im Mansfeld-Labor. „Auxin ist ein fantastischer Induktor. Er ist preis­wert, zellgängig und zeigt keine Nebeneffekte in den tierischen Zellen. Aber nur dort – denn natürlich funktioniert Auxin als transienter Repressor nur in Systemen, die kein eigenes Auxin herstellen.“

In Zusammenarbeit mit Ko-Erstautor Jaroslav Icha und Caren Norden, beide vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden, testeten die Forscher ihr Repressor-System insbesondere an Zebrafischen. „Denn für Zebrafische gibt es noch kein wirklich gutes konditionales Knock-out-System“, so Mansfeld. Für den Proof of Principle wählten sie eine Fischlinie, in der das Kernprotein PCNA markiert ist. Das sogenannte Ringklemmenprotein PCNA ist lebenswichtig, da es die DNA während der Replikation zusammenhält. Die Wissenschaftler injizierten also Fischembryonen einen Mix aus allen nötigen RNAs, gaben Auxin oder Auxin-ähnliche Moleküle ins Wasser und beobachteten, was passierte. Am Ende war das synthetische Auxin Naphtylessigsäure (NAA) am effektivsten, es reduzierte den PCNA-Gehalt innerhalb von nur drei Stunden auf zwölf Prozent. Mit Proteinen in anderen Zellkompartimenten erreichten die Forscher ähnliche Ergebnisse.

Schließlich testeten die Forscher ihr System an den Molekülen Cyclin A und Cyclin B, die für den Zellkzyklus essentiell sind. Mansfeld erklärt den Grund dafür: „Unser eigentliches Interesse liegt nicht so sehr in der Entwicklung neuer Biotechnologie-Methoden, auch wenn wir damit jetzt ein ganz schönes Paper machen konnten. Vielmehr sind wir daran interessiert, die Kontrolle der mitotischen Zellteilung besser zu verstehen.“

Während der Teilung lenken die Zellen die Verdopplung der DNA sowie die Verteilung der Chromatiden auf die Tochterzellen peinlich genau. Im Zentrum dieser Steuerung steht der APC/C, der Anaphase Promoting Complex, auch Cyclosom genannt. Der APC/C-Komplex übt seine Kontrolle über die Ubiquitinierung von Molekülen aus, die für den Fortgang der Zellteilung nötig sind. Zu Beginn der Mitose wird der APC/C-Komplex so lange inhibiert, bis alle Chromosomen korrekt mit Kinetochoren verbunden sind. Erst dann, am Ende der Metaphase, wird APC/C aktiv und ubiquitiniert verschiedene Moleküle, darunter die Cycline A und B – sodass die Zelle dann in die Anaphase eintreten kann, bei der die Chromatiden auf die Tochterzellen verteilt werden.

Die Forscher markierten also einen Bestandteil des APC/C für den Abbau durch das Auxin-induzierbare Degron/Nanobody-System. Und es funktionierte prächtig: Nach Zugabe des Hormons verschwanden neunzig Prozent des APC/C innerhalb von drei Stunden. Deshalb konnten die Cycline nicht mehr abgebaut werden – und die Zellen verharrten in der Metaphase, was mikroskopisch leicht zu verfolgen war. Zum Vergleich untersuchten die Forscher noch zwei andere Knock-down-Systeme, von denen eines überhaupt keine Wirkung zeigte und das zweite viel weniger effizient war.

Fazit: Die Dresdener Wissenschaftler entwickelten aus den drei Komponenten Tir1, GFP-Nanobody und GFP-markiertem Protein ein effizientes, transientes und reversibles Repressionssystem für tierische Zellen, das durch das Pflanzenhormon Auxin induziert wird. Zwar muss man für jedes Protein individuell austesten, ob dieses System wirklich besser funktioniert als andere Methoden. Aber das macht ja nichts: Je mehr Werkzeuge für die Knock-down-Analyse, desto besser.



Letzte Änderungen: 10.10.2019