Editorial

Ruhelos ohne Eisen

Larissa Tetsch


Innsbruck: Das Restless-Legs-Syndrom lässt sich auf einen gestörten Dopaminhaushalt zurückführen. Nun konnten Forscher zeigen, dass auch Eisenmangel eine Rolle spielt. Dies eröffnet möglicherweise neue Therapieansätze.

Unruhige Beine – wer denkt da an ein eigenständiges Krankheitsbild? Tatsächlich existiert ein solches: das Restless-Legs-Syndrom (RLS) – und das ist gar nicht so selten. Etwa fünf bis zehn Prozent der erwachsenen europäischen Bevölkerung leiden laut Günter Weiss, Direktor der Klinik für Innere Medizin II an der Medizinischen Universität Innsbruck, an RLS. Dabei nimmt die Häufigkeit mit dem Alter zu. In Ruhe, vor allem abends vor dem Einschlafen, werden die Patienten durch ein Kribbeln und Ziehen in den Beinen (und seltener den Armen) und das dadurch ausgelöste, unstillbare Verlangen nach Bewegung gequält. „Das beeinflusst die Schlafqualität und kann zu einem massiven Leidensdruck bis hin zur Entwicklung von Depressionen führen“, so der Internist.

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Fünf bis zehn Prozent der erwachsenen Europäer kribbeln vor dem Einschlafen die Beine. Wie das Restless Legs-Syndrom entsteht, ist allerdings immer noch ein Rätsel. Illustr.: blamb / Fotosearch

Die Entstehung der Krankheit ist noch immer rätselhaft. Zum Teil lässt sie sich auf eine Störung des dopaminergen Systems zurückführen und ist damit mit der Parkinson-Krankheit verwandt, bei der ebenfalls Bewegungsabläufe gestört sind. Deshalb ist auch die Behandlung ähnlich, wie Weiss erklärt: „Die beste Behandlungsmöglichkeit für das Restless-Legs-Syndrom besteht zurzeit in der Gabe von dopaminergen Wirkstoffen wie L-Dihydroxyphenylalanin (L-DOPA), das auch zur Behandlung der Parkinson-Krankheit eingesetzt wird.“

Interessanterweise wurde darüber hinaus bei einigen Patienten ein Eisenmangel im Gehirn und in der Rückenmarksflüssigkeit nachgewiesen. Eisen ist für viele Stoffwechselprozesse unverzichtbar, denn viele Enzyme sind auf Eisenatome im aktiven Zentrum angewiesen. Insbesondere gilt dies für die Eisen-Schwefel-Cluster-tragenden Cytochrome, die in der Atmungskette Elektronentransportprozesse katalysieren, aber auch für das Citratzyklus-Enzym Aconitase, das Isocitrat in Citrat umwandelt.

Ohne Eisen kein Dopamin

Bei Wirbeltieren enthält außerdem die Häm­gruppe als zentraler Bestandteil des roten Blutfarbstoffs ein zweiwertiges Eisen­atom. Über diese enzymatische Eisenabhängigkeit ist der Eisenstoffwechsel sogar direkt mit dem dopaminergen System verbunden: Das Schlüsselenzym der Dopaminsynthese, die Tyrosinhydroxylase, benötigt Eisen(II) als Kofaktor – ohne Eisen also kein Dopamin. Folgerichtig fragten sich Weiss und sein Team, ob nicht ein Eisenmangel an der Entstehung des Restless-Legs-Syndroms beteiligt sein könnte. Immerhin kann systemischer Eisenmangel zu entsprechenden Symptomen führen.

Um den Zusammenhang zwischen Eisen- und Dopaminstoffwechsel aufzuklären, verglich die von Forschern aus anderen österreichischen, deutschen und slowakischen Instituten unterstützte Gruppe um Weiss und Erstautor David Haschka den Eisenstoffwechsel von 168 Patienten mit RLS und 119 gleichaltrigen, gesunden Versuchspersonen (Mov. Disord. doi: 10.1002/mds.27482).

Überraschenderweise fanden sie zwischen den beiden Gruppen weder im Blut noch auf zellulärer Ebene – konkret im Cytoplasma von Monozyten – Unterschiede in den Parametern für systemischen Eisenmangel. Im Blutserum bestimmten sie dafür beispielsweise die Mengen freien Eisens sowie des Eisenspeicherproteins Ferritin und des Eisentransportproteins Transferrin – in den Monozyten hingegen die Expression von „Eisen-Genen“ wie diejenigen für den Transferrin-Rezeptor sowie für Ferritin und verschiedene Eisentransporter.

„Die Monozyten sind natürlich nur ein Surrogatmarker“, räumt Studienleiter Weiss ein. „Eigentlich möchten wir wissen, wie es in den Nervenzellen aussieht, vor allem in den Zellen der Substantia nigra.“ Dieser Bereich des Mittelhirns ist wichtig für die Planung und den Beginn von Bewegungen – und ist etwa bei Parkinson-Patienten beeinträchtigt. Die Nervenzellen der Substantia nigra enthalten außerdem typischerweise viel Eisen.

Zufällig ausgewählt als Surrogatmarker wurden die Monozyten aber natürlich nicht. Sie sind die Vorläuferzellen von Makrophagen, die eine besondere Rolle im Eisenstoffwechsel spielen, da sie in der Lage sind, Hämoglobin abzubauen und das Eisen daraus wieder dem Kreislauf zuzuführen. „Nur fünf Prozent des vom menschlichen Körper benötigten Eisens stammen aus der Nahrung, die anderen 95 Prozent gewinnen die Makrophagen durch den Abbau von Erythrozyten zurück“, erläutert Weiss.

Makrophagen können Eisen auch noch auf andere Weise aufnehmen. Etwa mithilfe des Proteins Transferrin, das Eisen bindet und anschließend unter Vermittlung eines Rezeptors endozytotisch internalisiert. Daneben gibt es Transporter, die divalente Metallionen wie Fe2+ aufnehmen. Im Gegenzug geben Makrophagen Eisen mithilfe des Eisenexporters Ferroportin ins Blut ab.

Mitochondrialer Mangel

Ein ganz anderes Bild ergab sich, als die Wissenschaftler sich die Mitochondrien in den Monozyten anschauten. Hier fanden sich deutliche Unterschiede zwischen den gesunden und erkrankten Studienteilnehmern: Bei Letzteren waren die Gene, die mit dem Eisenstoffwechsel in Zusammenhang stehen, herunterreguliert – insbesondere die Gene für mitochondriales Ferritin und für den Eisen­importer Mitoferrin. Dies deutet auf einen mitochondrialen Eisenmangel hin, der sich möglicherweise auf einen verringerten Häm­abbau zurückführen lässt. Zumindest war die Expression des hierfür entscheidenden ­Enzyms, der Hämoxygenase, ebenfalls reduziert. „Bisher kennen wir den Schalter noch nicht, der dafür sorgt, dass zwar in den Mitochondrien Eisenmangel herrscht, auf zellulärer Ebene aber nicht“, bedauert Weiss. „Zumindest konnten wir ausschließen, dass es eine genetische Ursache für die verminderte Hämoxygenase-Produktion gibt.“ Stattdessen fehlt offensichtlich der positive Regulator der Genexpression, der Hypoxia-inducible Factor 1.

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Haben den Eisenstoffwechsel als Mit-Ursache für die „ruhelosen Beine“ im Visier: Birgit Högl vom Schlaflabor der Innsbrucker Neurologie sowie David Haschka und Günter Weiss. Foto: AG Weiss

Mitochondrien benötigen besonders viel Eisen, weil sie Häme und Eisen-Schwefel-Cluster für Enzyme synthetisieren. Mithilfe der Importer Mitoferrin-1 und -2 nehmen sie Eisen-Ionen aus dem Cytoplasma auf. Tatsächlich konnten Weiss und sein Team zeigen, dass die Aktivität der Mitochondrien aufgrund des Eisenmangels stark beeinträchtigt war. Dies galt zum einen für die Zellatmung, zum anderen aber auch für die Aktivität der mitochondrialen Aconitase. „Viele zentrale Komplexe der Atmungskette und eben auch die Aconitase benötigen Eisen, sodass sie bei Eisenmangel nicht mehr funktionieren“, erklärt Weiss das Ergebnis.

Reduzierte Regulatoren

Neben der Aconitase in Mitochondrien existieren übrigens auch zwei Varianten im Cytosol. Ihre genaue Funktion ist noch rätselhaft. Bekannt ist, dass sie in enzymatisch inaktiver Form als Eisenregulatorproteine dienen. Diese regulieren posttranskriptionell bestimmte Gene des Eisenstoffwechsels, indem sie an RNA-Haarnadelschleifen – sogenannten Iron Responsive Elements – in den 5‘- und 3‘-untranslatierten Bereichen der entsprechenden Boten-RNAs binden. Bei den Patienten mit Restless-Legs-Syndrom war die Expression eines der beiden bekannten Eisenregulatorproteine stark reduziert. „Im Mausmodell führt das zu neuronalen Symptomen“, erklärt der Innsbrucker. „Ob das bei Menschen auch der Fall ist, muss aber noch untersucht werden.“

Eine schlüssige Erklärung dafür, warum eine der beiden Varianten im Cytosol wie ihr mitochondriales Gegenstück Isocitrat in Citrat umwandeln kann, gibt es aber noch nicht: „Möglicherweise wird dadurch Citrat als Eisentransporter bereitgestellt. Das ist aber im Moment lediglich eine Hypothese.“

Ermutigend für die Mediziner war, dass die Patienten, die mit L-DOPA behandelt worden waren, eine deutlich verbesserte mitochon­driale Funktion aufwiesen als unbehandelte Patienten. „Dass dies über eine verbesserte Eisenverfügbarkeit zustande kommt, konnten wir noch nicht beweisen“, schränkt Weiss ein.

„Allerdings konnten wir in einer anderen Studie bereits zeigen, dass Dopamin Eisen bindet.“ Dies geschieht wahrscheinlich über die Catecholgruppe des Neurotransmitters. So besitzen auch bestimmte eisenbindende Siderophore des Menschen eine Catecholgruppe und damit strukturelle Ähnlichkeiten zu den Catecholaminen des Zentralnervensystems: L-DOPA, Dopamin, Norepinephrin (=Noradrenalin) und Epinephrin (=Adrenalin), die sich alle von der Aminosäure Tyrosin ableiten.

Tatsächlich führte die Inkubation von Makrophagen mit Dopamin für 24 Stunden zu einer deutlichen Steigerung des intrazellulären Eisengehalts (Biochem. Pharmacol. 148: 193-201). Tyrosin und Norepinephrin hatten dagegen keinen Einfluss auf den Eisengehalt, obwohl sie ebenfalls eine Catecholgruppe tragen. „Wahrscheinlich stört dort die zusätzliche Hydroxylgruppe“, vermutet Weiss.

Als Maß für den intrazellulären Eisengehalt in Makrophagen dienten den Forschern auch in dieser Studie die Expression des Transferrinrezeptors sowie die des Eisenexporters Ferroportin. Beide nahmen durch die Inkubation mit Dopamin zu. Obwohl also mehr Transferrinrezeptoren auf der Zelloberfläche vorhanden waren, wurde nicht mehr Transferrin-gebundenes Eisen aufgenommen als in unbehandelten Zellen. Die Menge an nicht an Transferrin gebundenem Eisen, das in die Zellen gelangte, nahm dagegen um 50 Prozent zu. „Bei diesem Eisen handelt es sich um solches, das an Dopamin gebunden vorliegt“, erklärt Weiss. „Wie der Komplex dann genau in die Zellen kommt, wissen wir zwar noch nicht, aber es scheint zumindest nicht über die klassischen Wege zu erfolgen. Der zelluläre Eisenexport war im Gegenzug reduziert – und das, obwohl mehr Exporter gebildet wurden.“ Weiss vermutet, dass vielleicht die Dopamin-Eisen-Komplexe nicht transportiert werden können oder dass das Eisen mehrheitlich an Ferritin gebunden vorliegt.

Oxidativer Stress spielt mit

Auf jeden Fall scheint die bloße Akkumulation von Eisen nicht der einzige Grund für die erhöhte Transkription des Transferrinrezeptors zu sein. Freies Eisen führt zur Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies und damit zu oxidativem Stress. Sorgten die Forscher dafür, dass sich diese Sauerstoffspezies nicht bilden konnten, hatte eine Dopamingabe plötzlich keinen Einfluss mehr auf die Transkription von Eisenexporter und Transferrinrezeptor. „Eisenakkumulation und oxidativer Stress scheinen also beide eine Rolle zu spielen“, fasst Weiss zusammen. Vom Eisenexporter Ferroportin ist beispielsweise bekannt, dass die Expression durch den Transkriptionsfaktor Nrf2 stressabhängig induziert wird. Tatsächlich stiegen durch Dopamingabe sowohl die Expression von Nrf2, als auch die Bindung an die Erkennungssequenz im entsprechenden Promotor des Transportergens.

Zukünftig wollen die Forscher den Zusammenhang zwischen Eisenstoffwechsel, dem Dopaminsystem und dem Restless-Legs-Syndrom noch genauer unter die Lupe nehmen. Da es kein gutes Tiermodell für das RLS gibt, müssen sie auf Zellkulturen zurückgreifen. Außerdem ist eine klinische Studie geplant: „Damit wollen wir überprüfen, ob sich die Mitochondrienaktivität durch die Gabe von Eisen verbessern lässt und ob bei der gleichzeitigen Gabe von Eisen und dopaminergen Substanzen synergistische Effekte auftreten.“

Eisentabletten nehmen viele Frauen in der Schwangerschaft – in der übrigens auch „Unruhige Beine“ auftreten können – standardmäßig ein. Wäre doch toll, wenn so ein nebenwirkungsarmes Präparat auch RLS-Patienten zu mehr Ruhe verhelfen könnte.



Letzte Änderungen: 10.10.2019