Editorial

Rechts wie links

Karin Hollricher


Hohenheim: Wie entsteht die Links-Rechts-Achse bei Zweiseitentieren? Ein Paradebeispiel der Analyse von Signalketten.

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Die AG Vick mag auch andere Frösche. Foto: Jennifer Kreis

Oben und unten verwechseln wir kaum, aber mit links und rechts tun sich viele schwer. Auf zellbiologischer Ebene sollte es mit den Seiten allerdings keine Konfusion geben. Denn Menschen sind bilaterale Organismen oder Zweiseitentiere. Bei diesen entsteht die Links-Rechts-Achse während der Gastrulation, einer Phase der Embryogenese. Bei Vertebraten wird sie durch die gerichtete Bewegung von Flüssigkeit von rechts nach links über die embryonale Mittellinie bestimmt. Diese Strömung an einer Region des Embryos, die man Links-Rechts-Organisator nennt, wird von beweglichen Zilien verursacht.

Lange wusste man nicht, welche Signale die Entwicklung der kurzen Zellfortsätze auslöst und auf welche Weise deren Bewegung die Links-Rechts-Achse determiniert. Man hatte verschiedene Modelle, aber keine Erkenntnis. Bis Martina Brueckner und Kollegen von der Yale University vor 15 Jahren entdeckten, dass es am Links-Rechts-Organisator (LRO) von Mäusen zwei Typen von Zilien gibt: Im Zentrum des LRO sitzen bewegliche Zilien, die die Flüssigkeit antreiben. Am Rand dieser Region befinden sich unbewegliche sensorische Zilien. Da die beweglichen Zilien nur in eine Richtung rotieren können, entsteht eine Strömung nach links, was die dortigen sensorischen Zilien wahrnehmen. Dadurch öffnet sich ein Kalziumkanal, der das mechanosensorische Transmembranprotein Polycystin-2 (Pkd2) enthält. Wenn die Kalziumkonzentration im Zytosol steigt, öffnen sich auch Pkd2-Kanäle im Endoplasmatischen Reticulum. In der Folge wird die Synthese des Nodal-Repressors Dand5 eingestellt. Nodal ist ein wichtiges Signalprotein in der Embryonalentwicklung. Hier induziert es den Transkriptionsfaktor Ptx, den man umstandslos als Mediator der linksseitigen Organogenese bezeichnen kann. So wird die linke Seite determiniert. Rechts des Organisators strömt nichts – also wird Nodal induziert. Das ist der Ausgangspunkt für die asymmetrische Organentwicklung.

Seitenverkehrte Anatomie

„Die Entdeckung der seitenabhängigen Regulation von Dand5 durch Kalziumströme war 2015 ein Durchbruch“, sagt Philipp Vick. Der 39-Jährige beschäftigt sich am Institut für Zoologie der Universität Hohenheim mit der Frage, wie sich die Links-Rechts-Achse etabliert. Allerdings arbeitet er nicht mit Mäusen, sondern mit Xenopus laevis, dem Afrikanischen Krallenfrosch. Warum ausgerechnet mit einem Vertreter der zungenlosen Froschlurche? „Die Eier des Frosches sind schön groß. Man kann bestimmte Regionen gezielt manipulieren“, erklärt Vick.

So konnten er und seine Mitarbeiter beispielsweise die Ereignisse am Links-Rechts-Organisator, der sich am Urmund des Froschembryos befindet, um 180 Grad drehen. Dazu mussten sie nur dafür sorgen, dass sich während der frühen Gastrulation erstens die Zilien in der Mitte des Organisators nicht bewegen und zweitens rechts kein Nodal-Repressor produziert wird. Schon waren links und rechts vertauscht, es entwickelten sich Frösche mit seitenverkehrter Anatomie (Curr. Biol. 17: 60-6).

Einen Seitenblick warf Vick übrigens auf Seeigel-Embryonen. Obwohl die erwachsenen Stacheltiere äußerlich radiärsymmetrisch aufgebaut erscheinen, gehören sie doch zu den Bilateria, definiert durch die Lage ihrer inneren Organe. Auch Seeigel determinieren ihre Seiten durch die Bewegung von Zilien (BMC Dev. Bio. 16: 28).

Rechts aktiviert, links nicht

Was aber führt dazu, dass am Organisator verschiedene Arten von Zilien entstehen und sich die mittleren in Bewegung setzen? Oder dass dort diese Zellausstülpungen überhaupt entstehen? Welches ist das früheste Signal für die Entstehung von links und rechts? „Gute Fragen“, feixt Vick. Die noch immer nicht final beantwortet sind, obwohl er sich schon lange Zeit damit beschäftigt. Bereits seine Dissertation schrieb er in der Arbeitsgruppe von Martin Blum an der Uni Hohenheim über die Seitenverhältnisse im Embryo des Krallenfrosches. Danach wechselte er zu einem der Altmeister der Entwicklungsforschung, Edward Robertis von der University of California in Los Angeles. Mit einem Rückkehrer-Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zog es ihn wieder nach Hohenheim, wo er aktuell seine Habilitation zu Ende bringt.

Vick und seine Mitarbeiter benutzen oft Morpholino-Antisense-Oligonukleotide (MOs), um gezielt die Aktivität verschiedener Gene im frühen Embryonalstadium des Krallenfroschs zu reduzieren. Als sie MOs gegen Dand5 auf der linken beziehungsweise rechten Seite des Organisators injizierten, erhielten sie eine merkwürdige Antwort. Auf der rechten Seite aktivierte ein Knockdown von Dand5 die Nodal-Kaskade – aber auf der linken Seite funktionierte das nicht. „Das hat uns stutzig gemacht, denn warum sollte Nodal links nicht aktiv werden können, wenn wir den Repressor ausschalten“, erzählt Vick. Also inhibierten die Forscher auch die Pkd2-Kanäle, mal links und mal rechts. In beiden Fällen blieb das Nodal-Signal untätig.

Strömungsprobleme

Bei ihren Knockdown-Experimenten beobachteten die Forscher auch, dass die Strömung am Organisator fehlte. Bei genauerer Inspektion stellten sie fest: „Sie war auf der linken Seite nicht einfach nur zusammengebrochen, wir konnten am Organisator gar keine Zilien mehr finden. Das hat uns gewaltig überrascht“, erzählt Vick. Mit Pkd2-mRNA ließ sich der natürliche Phänotyp wieder herstellen. „Damit sich der Links-Rechts-Organisator überhaupt erst entwickeln kann, benötigen die Zellen dort also Polycystin-2 und somit auch interzelluläre Änderungen im Kalziumgehalt“, resümiert der Zoologe.

Okay, Pkd2 agiert in der Nodal-Signalkette also upstream der Zilienbewegung. Gehen wir noch einen Schritt zurück: Was aktiviert die Kanäle, damit sich die Zilien ausbilden können? Der Links-Rechts-Organisator entwickelt sich bei X. laevis aus dem sogenannten oberflächlichen Mesoderm. Dort sind die Markergene Xnr3 und Foxj1 aktiv. Auf eine Reduktion von Pkd2 reagierten diese unterschiedlich: Während Xnr3 leicht aktiviert wurde, verschwand die Expression von Foxj1 völlig.

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Forschungsobjekt und Gruppe: Verena Andre, Jennifer Kreis , Philipp Vick mit Krallenfrosch und Anna Schäfer-Kosulja (von links nach rechts). Foto: AG Vick

Etliche Wochen und Experimente später entwarfen die Forscher ein Modell, wie der Links-Rechts-Organisator entstehen und damit die Links-Rechts-Anatomie induzieren kann.

Immer die gleichen Werkzeuge

Ins Zentrum des Geschehens platzierten sie den Transkriptionsfaktor Foxj1. Nur wenn er vorhanden ist, kann sich unter dem Einfluss von Xnr3 und durch Pkd2 ausgeübte Kalziumströme der Organisator entwickeln und Zilien bilden. Pkd2 agiert also, bevor die Links-Rechts-Strömung entsteht. Womit die Eingangsfrage – wie die Bewegung der Zilien ausgelöst wird – beantwortet ist. Zumindest ansatzweise. Das hier in die Entstehung der Seiten verwickelte Xnr3 verknüpft diesen Entwicklungsschritt mit dem Fibroblastenwachstumsfaktor (FGF). Diese Moleküle steuern verschiedene Prozesse während der Gastrulation und konnten durch Xnr3 aktiviert werden. Dass und wie die Ausbildung der Links-Rechts-Achse von FGF kontrolliert wird, haben die Forscher bereits untersucht. Das Manuskript befindet sich noch bei den Gutachtern, den Entwurf kann man aber bei bioRxiv finden (doi: 10.1101/469791).

Es bestätigt sich also wieder einmal, was schon lange bekannt ist: Tiere benutzen die gleichen genetischen Werkzeuge, die sich während der Millionen Jahre von Evolution als sinnvoll erwiesen haben, um ihre Entwicklung zu steuern. Das gilt auch für die Entstehung der Links-Rechts-Symmetrie.



Letzte Änderungen: 10.10.2019