Editorial

Verjüngungskur für Taufliegen

Larissa Tetsch


(12.10.2020) KÖLN: Ringförmige RNA-Moleküle sind lange bekannt – was sie machen, weiß keiner so genau. In Taufliegen wurde nun erstmals ein Zusammenhang mit dem Alterungsprozess gezeigt.

RNA kennen wir vor allem aus der Proteinbiosynthese: Boten-RNA (mRNA), Transfer-RNA, ribosomale RNA – sie alle sind (von Rückfaltungen abgesehen) lineare Moleküle. Viel weniger bekannt sind dagegen ringförmige RNA-Moleküle, die – zumindest in eukaryotischen Zellen – meist am Spliceosom in einem als Back-Splicing bezeichneten Vorgang entstehen. Dabei wird bei der prä-mRNA das 3‘-Ende eines transkribierten Exons an dessen eigenes 5‘-Ende oder an das eines stromaufwärts liegenden transkribierten Exons fusioniert.

jc_20_10_02a
Die Studie von Weigelt et al. schaffte es sogar aufs Cover. Die Illustration entwarf Partridges Doktorandin Bruna Di Giacomo. Bild: Molecular Cell

Obwohl zirkuläre RNA (circRNA) seit dreißig Jahren bekannt und weit verbreitet ist, wurde sie lange Zeit nicht weiter untersucht. Die meisten Forscher hielten sie einfach für ein Nebenprodukt des normalen Spleißvorgangs. „So richtig begonnen hat die Erforschung von circRNAs eigentlich erst vor acht Jahren mit der Entdeckung von CDR1as, dem heute bekanntesten Vertreter“, erinnert sich Carina Weigelt, die am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln bei MPI-Direktorin Linda Partridge über die ungewöhnlichen Moleküle promoviert hat. Damit war sie in der Gruppe circRNA-Vorreiterin, wie ihr Betreuer Sebastian Grönke hinzufügt, der als Postdoktorand bei Partridge arbeitet: „Das Projekt war zuerst eher ein Nebenprodukt unserer Arbeit mit langlebigen Fliegenmutanten. Von diesen standen uns große Datensätze zur Verfügung, die sich auch nach circRNAs durchsuchen ließen.“

Die Idee, dass die RNA-Ringe etwas mit dem Alterungsprozess zu tun haben könnten, kam von der Beobachtung, dass sich bei vielen Organismen mit zunehmendem Alter circRNAs, die von RNasen nicht abgebaut werden können, im Nervengewebe ansammeln. Als Testobjekt wählten die Forscher eine Mutante der Taufliege Drosophila melanogaster, bei der der Insulinweg gestört ist. Dieser evolutiv stark konservierte Signalweg beeinflusst Prozesse rund um Alterung, Stoffwechsel, Fortpflanzung und Wachstum. „Bei unseren Fliegen sind drei von sieben Insulin-ähnliche Peptide ausgeschaltet“, erklärt Postdoktorand Grönke. „Damit erreichen wir eine für Insulin-Mutanten typische Lebensverlängerung.“ Von den langlebigen Fliegen und ihrem Wildtyp-Gegenstück analysierten die Forscher um Weigelt dann das Transkriptom in den vier Gewebetypen Gehirn, Darm, Thorax und Fettkörper – und das jeweils bei jungen, mittelalten und alten Individuen (Mol. Cell 79: 268). Insgesamt fanden sie dabei über tausend verschiedene circRNAs, vor allem im Gehirngewebe. „Im Gehirn werden typischerweise besonders viele circRNAs gebildet, vielleicht auch, weil da mehr gespleißt wird“, kommentiert Grönke das Ergebnis.

„Methusalem“-Fliegen

Während im Wildtyp wie erwartet die Menge an circRNAs mit dem Alter zunahm, war dies bei der Mutante weit weniger stark der Fall – ein erster Hinweis auf eine Rolle im Alterungsprozess. Deshalb suchte Weigelt als Nächstes gezielt nach einzelnen circRNAs, die in der Mutante spezifisch reguliert wurden – also unabhängig vom „Wirtsgen“, von dem ausgehend der RNA-Ring gebildet wird. Und sie wurde fündig: circSfl, die zirkuläre RNA des sulfateless-Gens (sfl) war in den langlebigen Fliegen in allen Geweben, bei beiden Geschlechtern und in jedem Alter hochreguliert. „Das Besondere an circSfl war, dass es anders als andere circRNAs gerade nicht mit dem Alter zunahm“, freut sich Weigelt. Auch bei weiteren langlebigen Taufliegenmutanten, bei denen der Insulinweg manipuliert war, kam circSfl in größerer Menge als beim Wildtyp vor. Basierte die Langlebigkeit dagegen auf anderen Signalwegen, war die Menge an circSfl gegenüber dem Wildtyp nicht verändert.

Mit einer Überexpression von circSfl konnten die Forscher dann auch Wildtypfliegen zu einem längeren Leben verhelfen. Dabei war der Effekt gewebsabhängig und am stärksten, wenn die Überexpression entweder im ganzen Körper oder nur im Muskel stattfand. Interessanterweise verlängerte circSfl aber nur bei weiblichen Fliegen das Leben. Dies sei im Zusammenhang mit nahrungsabhängigen Signalwegen aber nicht ungewöhnlich, erklärt Grönke: „Generell ist es so, dass viele Effekte des Insulinwegs verstärkt in Weibchen auftreten. Auch Diäteingriffe, die wir im Labor durchführen, haben in weiblichen Fliegen viel stärkere Auswirkung. Möglicherweise liegt das einfach daran, dass Weibchen durch die Eiproduktion einen größeren Stoffumsatz haben und mehr fressen, sodass die Ernährung einen größeren Einfluss hat.“

Als Nächstes sollte circSfl ausgeschaltet werden, um seiner Funktion auf die Spur zu kommen. Das gelang aber nur über einen Trick. Dabei machten sich die Forschenden zunutze, dass das lineare sfl-Transkript in zwei Varianten vorkommt, die durch alternatives Spleißen entstehen und unterschiedlich gute Vorlagen für die Bildung der circRNA darstellen. Die Varianten unterscheiden sich nur in einem einzigen Exon, das in der nicht-translatierten Region (UTR) am 5‘-Ende liegt. Wozu dieses Exon gut ist, lässt sich bislang nur vermuten: „Möglicherweise beeinflusst es die Translation“, so Grönke. „Am Ende wird aber wohl von beiden Transkripten das gleiche Protein gebildet.“

Doch ein Protein?

Auf jeden Fall scheint das entsprechende Exon für die Bildung der circRNA benötigt zu werden: Nachdem Weigelt es entfernte, und entsprechend nur noch eine der beiden Transkriptvarianten gebildet werden konnte, entstand auch nur noch etwa die Hälfte an circSfl. „Wie das zusammenhängt, verstehen wir noch nicht genau“, gibt die Wissenschaftlerin zu. „Wir können uns aber vorstellen, dass ein RNA-Bindeprotein an das Exon andockt und dadurch die Zirkularisierung unterstützt.“ Wurden Fliegen mit defektem Insulinweg zusätzlich genetisch so manipuliert, dass ihnen das für die Bildung von circSfl wichtige Exon fehlte, verloren sie die für sie eigentlich charakteristische Langlebigkeit.

Aber was genau macht circSfl? Von einigen circRNAs ist bekannt, dass sie wie ein Schwamm regulatorische microRNAs binden können. Weil circSfl aber nur wenige entsprechende Bindestellen besitzt, ist diese Funktion wohl auszuschließen. Stattdessen gab es Anzeichen dafür, dass die circRNA translatiert wird – etwa weil sie an Ribosomen gebunden gefunden wurde. Tatsächlich ist bekannt, dass ausgehend von RNA-Ringen Proteine gebildet werden können, wenn sie sowohl das Start-Codon des Wirtsgens aufweisen als auch ein Stopp-Codon, das hinter der Spleißstelle im Leserahmen liegt. Beides ist bei circSfl der Fall. „Das Stopp-Codon von circSfl stammt aus dem 5‘-untranslatierten Bereich, wo es (normalerweise) nicht als Stopp-Codon genutzt wird“, erklärt Grönke. „Deshalb waren wir überrascht, dass es bei verschiedenen Drosophila-Arten sehr konserviert ist.“

Dieses weitere Indiz deutete also darauf hin, dass ausgehend von circSfl ein Protein gebildet wird und eine wichtige Funktion aufweist. Aus den Sequenzdaten ließ sich schließlich ableiten, dass das hypothetische circSfl-Protein den N-terminalen Teil umfassen sollte, einschließlich der Transmembrandomäne des „normalen“ (also vom linearen Transkript gebildeten) Sfl-Proteins. Durch eine Markierung am N-Terminus gelang den Altersforschern dann auch der Nachweis dieses verkürzten Proteins. Dabei fiel auf, dass das circSfl-Protein wie seine circRNA-Vorlage in der Insulin-Mutante vermehrt gebildet wurde. Mithilfe einer Mutante, die nur das circSfl-Protein, aber nicht die circRNA bilden konnte, zeigten die Forscher abschließend, dass das Protein ausreichte, um das Leben der Fliegen zu verlängern.

jc_20_10_02b
Auf der Spur des ewigen Lebens – zumindest bei Taufliegen: Carina Weigelt und Sebastian Grönke. Fotos: MPI für Biologie des Alterns (li.); privat (re.)

Ein Blick auf das Sfl-Protein sollte helfen, der Funktion des verkürzten Verwandten näherzukommen. Sfl überträgt Sulfatreste auf den Aminozucker N-Acetylglucosamin und bildet dadurch sogenannte Heparansulfate, die an bestimmte Proteine (sogenannte Proteoglykane) gehängt werden. Diese wiederum sind bei der Taufliege Bestandteil verschiedener Signalwege, sodass ein Verlust des Enzyms im Nervengewebe für die Fliegen tödlich ist. Auf der anderen Seite ließ eine Überproduktion des Enzyms im Nervengewebe Fliegenweibchen langsamer altern. Dabei schien die enzymatische Aktivität wichtig zu sein, denn der lebensverlängernde Effekt wurde von einem Produkt des Sfl-Proteins vermittelt – dem Proteoglykan Dally. Dem circSfl-Protein fehlt allerdings genau die C-terminale Domäne des Sfl-Proteins, welche die Enzymfunktion besitzt. Es muss also auf andere Weise wirken.

Einen Hinweis darauf lieferte die Beobachtung, dass eine Sfl-Überproduktion für die Insulin-Mutante, die ja bereits vermehrt circSfl bildet, nicht mehr von Vorteil war. „Unsere Idee ist, dass das circSfl-Protein irgendwie über Sfl wirkt“, spekuliert Weigelt. „Es ist ja genauso in der Membran verankert und hat den gleichen N-Terminus. Einerseits könnte es mit Sfl selbst interagieren oder beispielsweise mit einem Repressor von Sfl. Auf diese Weise könnte es Sfl aktivieren.“

Die Geschichte von circSfl und seinem Protein hat also gerade erst begonnen. „Uns interessiert natürlich, wie beide am Ende wirklich wirken“, fasst Grönke zusammen. „Außerdem wurden von Carina weitere circRNAs in den langlebigen Fliegenmutanten entdeckt, die sich nicht auf die Lebenszeit auswirken, aber dennoch spezifisch reguliert werden, und die wir weiter untersuchen wollen.“ Diese Aufgabe wird Carina Weigelt allerdings einem Nachfolger überlassen, denn sie hat die Uni gegen die Pharmaindustrie eingetauscht. Dort forscht sie nun an altersbedingten Augenerkrankungen – und ist der Altersforschung damit treu geblieben.



Letzte Änderungen: 12.10.2020