Editorial

Was Tomaten gegen Parasiten haben

Karin Hollricher


(08.02.2021) ERLANGEN/TÜBINGEN: Wie sich die Kulturtomate einen pflanzlichen Parasiten vom Leib hält, fanden Forscher um Markus Albert heraus.

Auf der ganzen Welt geht es ums Überleben – auch im Reich der Pflanzen. Tiere und Mikroben machen sich nur allzu gerne über das Grünzeug her, das ja nicht weglaufen kann. Die Evolution hat sogar Pflanzen hervorgebracht, die auf anderen Pflanzen schmarotzen. Man schätzt, dass etwa ein Prozent aller Angiospermen parasitär leben. Dazu zählt die Gattung Cuscuta, auch Teufelszwirn oder Schmarotzerseide genannt, mit über 200 Arten. Diese Pflanzen winden sich um ihre Opfer, dringen mit Saugorganen, sogenannten Haustorien, in die Leitgefäße ihrer Wirte ein und laben sich an deren Nährstoffen und allem anderen, was darin transportiert wird.

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Der Teufelszwirn umschlingt seinen Wirt – hier auf einer Wildtomate (Solanum pennellii). Foto: Peter Slaby

Cuscuta-Arten haben diese Lebensweise dermaßen optimiert, dass sie ohne Wurzeln und Blätter auskommen und einzig von dem leben, was sie den Wirten abnehmen können. Holoparasiten nennt man derart gierige Wesen. In der Auswahl ihrer Opfer sind sie wenig wählerisch, bevorzugen allerdings dicotyle Wirte.

Lästige Besucher

Manche Pflanzen aber können sich erfolgreich vor den lästigen Besuchern schützen. Wie machen sie das? Ein Angreifer kann umso erfolgreicher sein, je später sein Opfer die Attacke bemerkt. Fehlt anfälligen Pflanzen also ein Mechanismus, Cuscuta wahrzunehmen?

Dieser Frage geht Markus Albert seit vielen Jahren nach. Er befasste sich damit schon während seiner Promotion an der Technischen Universität Darmstadt und während seiner Postdoc-Zeit an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Heute forscht Albert mit einem Team aus rund zwanzig Mitarbeitern an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und hat seit April 2020 den Lehrstuhl Molekulare Pflanzenphysiologie inne. Ihr Ziel: Verstehen, wie Resistenzmechanismen von Wirtspflanzen gegenüber Parasiten wirken.

Für seine Studien wählte er damals ein genetisch gut untersuchtes Modell: die Tomate. Solanum pennellii (eine Wildtomate) kann sich gegen den Parasiten Cuscuta reflexa, der auf dem indischen Subkontinent sein Unwesen treibt, nicht wehren. Anders als ihre kultivierte Verwandte: S. lycopersicum ist völlig resistent. Gemäß der Hypothese, dass eine resistente Tomate den Parasiten irgendwie erkennen muss, suchte Albert in Tübingen mit Unterstützung seiner damaligen Doktoranden Bettina Kaiser und Volker Hegenauer bei dem Schmarotzer nach einem Molekül, das bei der Kulturtomate, aber nicht bei ihrer anfälligen wilden Verwandten eine Abwehr auslöst. Die Forscher extrahierten aus der Zellwand des Parasiten nach allen Regeln der biochemischen Kunst ein Molekül von 2.077 Dalton, das als Pathogene-Associated Molecular Pattern (PAMP) von der resistenten Kulturtomate erkannt wird und Abwehrreaktionen hervorruft. „Dieses Epitop befand sich in verschiedenen Zellwandfraktionen, aber wir schafften es nicht, mittels Massenspektrometrie die Sequenz von genug Aminosäuren zu ermitteln, um davon ein Transkript oder ein Gen abzuleiten“, berichtet Hegenauer.

Gleichzeitig suchte die Doktorandin Ursula Fürst mit ihren Tübinger Kollegen in der Tomate nach dem Rezeptor, der das Epitop des Parasiten erkennt. Sie testeten die Zellwand-Extrakte hinsichtlich ihrer Fähigkeit Abwehrreaktionen auszulösen in einer Reihe von Tomatenlinien, die 1995 zum Kartieren von Genen kreiert worden waren. Diese als Introgressions-Linien bezeichneten Züchtungen haben sich in vielen Projekten als überaus wertvolle genetische Ressource bewährt. Die Pflanzen waren aus Kreuzungen zwischen der wilden und der kultivierten Tomate hervorgegangen. Ihre Genome bestehen aus überwiegend S.-lycopersicum-DNA mit kleineren, aber in jeder Linie anderen Einsprengseln von S. pennellii.

Bei allen Linien löste das Cuscuta-Extrakt die typische Abwehrreaktion aus – gemessen an der Produktion des Pflanzenhormons Ethylen. Nur bei einer Linie nicht. Und die half den Forschern, eine Region auf dem Genom zu lokalisieren, die von S. pennellii stammt und offensichtlich mit der Suszeptibilität, also der Anfälligkeit für den Parasiten, korreliert. Von den 822 in diesem Chromosomenabschnitt sitzenden Genen zeigten fünf alle Anzeichen für einen typischen, auf der Zelloberfläche sitzenden Rezeptor. Eines dieser Gene zeigte sich schließlich als verantwortlich für die Resistenzantwort – die Forscher nannten es CuRe1 (Cuscuta Receptor 1). Es codiert für CuRe1, ein spezifisches Leucine-Rich Repeat Receptor Like Protein (LRR-RLP), das zu einer großen Proteinfamilie gehört, die in sämtlichen Pflanzen vorkommt (Science 353: 478-81).

Den Nachweis, dass CuRe1 für die Resistenz funktional verantwortlich ist, führten die Forscher über eine transgene Expression: Das Gen machte den normalerweise anfälligen Tabak und auch S. pennellii weitgehend immun gegen den Parasiten. „Eine vollständige Resistenz, wie wir sie in der Kulturtomate beobachten, konnten wir damit aber nicht erreichen. Dafür ist anscheinend mehr nötig als nur dieses Gen“, ordnet Albert ein.

CuRe1 war schlussendlich der ideale Ansatzpunkt, um den Cuscuta-Faktor zu entschlüsseln. Hegenauer: „Wir haben die Extraktionsmethode variiert und konnten dann endlich Fragmente isolieren, die sich mit Massenspektrometrie de novo sequenzieren ließen.“

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Markus Albert möchte verstehen, wie parasitäre Pflanzen mit ihren Wirten interagieren. Foto: Georg Pöhlein
Zerstörendes Transposon

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Arbeitsgruppe von Kirsten Krause in Tromsø (Norwegen) das Transkriptom von C. reflexa publiziert. „Die kamen für eine Woche her, wir haben unsere Sequenz mit dem Transkriptom verglichen und dann einen Treffer gefeiert“, erinnert sich Hegenauer. Der gesuchte Ligand des Parasiten, der spezifisch von CuRe1 erkannt wird, entpuppte sich als Glycin-reiches Protein von 116 Aminosäuren mit einer Sequenz, die typisch ist für eine extrazelluläre Positionierung (Nat. Comm. 11: 5299). Die Bindung des Liganden an den CuRe1-Rezeptor löst in der Kulturtomate schnell eine Abwehrreaktion aus. Die Wildform kann ihn jedoch nicht detektieren, weil irgendwann in der tiefen Vergangenheit der Tomatenevolution ein Transposon das CuRe1-Gen zerstörte. CuRe1 ist also ein typischer PRR, ein Pattern Recognition Receptor. Solche in der Membran lokalisierten Moleküle sind bei Pflanzen weit verbreitet, sie detektieren die Pathogen-typischen PAMPs und aktivieren die pflanzliche Abwehr.

„Pflanzen haben sehr viele Gene, welche für Glycin-reiche Proteine codieren, ganze Genfamilien, mit ähnlichen Sequenzen wie CrGRP aus C. reflexa“, erzählt Albert. „Die damit codierten GRPs müssen also wichtige allgemeine Funktionen in Pflanzen haben, die weit über ein Erkennungsmerkmal eines Parasiten hinausgehen.“ Tatsächlich scheinen sie in Pflanzen allgemein nötig zu sein, um die Integrität der pflanzlichen Zellwand zu gewährleisten. Dort sind sie mit Pektinen und anderen Proteinen assoziiert. Genaueres weiß man aber noch nicht.