Angriff auf die Genschere

Larissa Tetsch


Editorial

Berlin: CRISPR/Cas ist die neue Hoffnung am Himmel der Gentherapie. Allerdings wird die Genschere Cas9 vom menschlichen Immunsystem als fremd erkannt und bekämpft. Bieten hier regulatorische T-Zellen einen Ausweg?

Gerade einmal sechs Jahre ist es her, dass die programmierbare Genschere Cas9 als universelles Werkzeug für die Manipulation des Genoms der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Seitdem scheinen ihre Möglichkeiten unbegrenzt. Allem voran verspricht sie die ursächliche Behandlung, wenn nicht sogar die Heilung von monogenetischen Erbkrankheiten – also solchen, die durch ein einziges verändertes Gen hervorgerufen werden. Während im Tiermodell tatsächlich bereits verschiedene Gendefekte mithilfe von CRISPR/Cas korrigiert wurden, warten am Menschen einsetzbare Therapien noch auf ihre Etablierung. So sind grundlegende Fragen zur Sicherheit der Verfahren, wie etwa die Gefahr von Off-Target-Effekten, noch nicht ausreichend geklärt.

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Cas9 (oben li., blau) kommt aus Streptococcus pyogenes (gelb) – und da das Immunsystem auf das Bakterium Jagd macht, attackiert es auch dessen Proteine. (Größere Darstellung hier) Abbildungen: MIT / NIAID

Forscher um Dimitrios Wagner und Michael Schmück-Henneresse vom Berlin-Brandenburger Centrum für Regenerative Therapien (BCRT) der Charité deckten nun ein weiteres, bislang offenbar unterschätztes Risiko bei derartigen Therapieansätzen auf (Nat. Med. doi: 10.1038/s41591-018-0204-6): Das menschliche Immunsystem erkennt die Genschere Cas9 als fremd und bekämpft sie – und damit womöglich auch auf diese Weise gentechnisch veränderte Zellen.

„Dass sich bis zu diesem Zeitpunkt noch niemand mit dieser Frage beschäftigt hatte, obwohl bereits einige Gruppen in Mausmodellen zeigen konnten, dass Cas9 immunogen ist, hat uns überrascht“, gesteht Schmück-Henneresse, Leiter einer Junior-Arbeitsgruppe am Institut für Medizinische Immunologie des BCRT. Immerhin arbeiten die Forscher mit der am besten charakterisierten Genschere SpCas9 aus Streptococcus pyogenes – einem fakultativen Humanpathogen, das Halsentzündungen und Scharlach verursachen kann und bei mehr als jedem zehnten Kind symptomlos die Mund-Rachen-Schleimhäute besiedelt. „Das Bakterium ist eines der häufigsten Gründe für bakterielle Infektionen im Menschen, und wir haben alle mehrfache Infektionen durchlebt“, so Schmück-Henneresse. „Dadurch entwickeln wir im Laufe unseres Lebens ein Immungedächtnis gegen alle möglichen Bestandteile dieser Bakterien, auch gegen deren intrazelluläre Proteine wie das SpCas9.“

Editorial
Immunsystem attackiert

Die Frage, ob und in welchem Ausmaß das menschliche Immunsystem auf SpCas9 reagiert und wie das wiederum mögliche Gentherapien mit der Genschere beeinflussen könnte, war deshalb naheliegend. Tatsächlich konnte eine Arbeitsgruppe aus Stanford (Kalifornien) Anfang des Jahres in 34 Blutproben von Patienten Antikörper gegen Cas9 aus S. pyogenes und dem ebenfalls fakultativ humanpathogenen Staphylococcus aureus nachweisen.

Für gentechnisch veränderte Zellen, die Cas9 im Zellinneren produzieren, sollten Antikörper jedoch ungefährlich sein. Im Rahmen seiner Doktorarbeit bei Schmück-Henneresse konzentrierte sich Dimitrios Wagner deshalb auf die zelluläre Immunreaktion: „Unser Fokus liegt auf den T-Zellen. Mittels ihrer Rezeptoren erkennen sie Proteinfragmente aus dem Inneren der Zellen, in denen sich die Nuklease Cas9 befindet.“

Wagner konfrontierte ein Gemisch von Immunzellen aus Patientenblut mit rekombinantem SpCas9 und untersuchte sie anschließend per Durchflusszytometrie daraufhin, ob sie Marker für eine Aktivierung trugen oder Zytokine produzierten. Da das Immunsystem aller untersuchten Patienten innerhalb weniger Stunden mehr oder weniger stark auf das Cas-Protein reagierte, musste ein zelluläres Immungedächtnis vorliegen – das Immunsystem musste also schon zuvor gegen Cas9 sensibilisiert worden sein.

„Die Frequenzen der SpCas9-reaktiven T-Zellen im peripheren Blut sind sehr niedrig, und nur wenige der T-Zellen sind multipotente Effektoren, die mehrere Entzündungsmediatoren produzieren“, erklärt Wagner. „Solche multipotenten Effektor-T-Zellen sind maßgeblich an Abstoßungs- beziehungsweise Entzündungsreaktionen in der Gentherapie beteiligt.“ Dennoch waren die aktivierten, gegen SpCas9 gerichteten Effektorzellen in vitro in der Lage, B-Zellen zu töten, die SpCas9 bildeten. „Diese Ergebnisse sind eine Warnung für die klinische Umsetzung von CRISPR/Cas9 bei direkter Applikation im Menschen“, sind sich die beiden Wissenschaftler einig.

Cas9 ist leider zäh

Im Klartext bedeutet dies, dass keine Cas9-enthaltenden Zellen in den menschlichen Körper eingebracht werden sollten, da die Immunreaktion diese zu zerstören droht. Die meisten gentherapeutischen Ansätze arbeiten heute ex vivo – das heißt, dem Patienten werden Körperzellen entnommen, gentechnisch verändert und anschließend in den Körper zurückgeführt. Wann kann man aber sicher sein, dass kein aktives Cas9-Protein mehr in diesen Zellen vorliegt?

Die Forscher um Schmück-Henneresse haben hierfür einen Nachweistest entwickelt: „Da das Cas9-Protein nach Abbau und Spaltung in kurze Peptidfragmente nicht mehr durch kommerzielle Antikörper nachgewiesen werden kann, verwenden wir Cas9-reaktive Effektor-T-Zellen eines Patienten, die wir im Labor vermehren und dann mit dem CRISPR-modifizierten Zellprodukt – beispielsweise genveränderten hämatopoetischen Stammzellen – des gleichen Patienten mischen. Anschließend können wir mittels Durchflusszytometrie evaluieren, ob CRISPR-veränderte Zellen getötet werden und Cas9-reaktive T-Zellen entzündungsfördernde Zytokine produzieren“, erläutert Wagner das Prinzip.

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Wollen die Immunreaktion abdämpfen: Michael Schmück-Henneresse (li.) und Dimitrios Wagner

Das Ergebnis: Es könnte bis zu ein oder zwei, bei manchen Zelltypen sogar drei ­Tage­ dauern, bis Cas9 gänzlich verschwunden ist und die gentechnisch veränderten Zellen gefahrlos in den Körper des Patienten eingebracht werden können. So lange lassen sich aber viele Zellen gar nicht außerhalb des Körpers vermehren. Zudem sind Ex-vivo-Ansätze bei manchen Zelltypen ohnehin schlecht möglich.

„Manche Zelltypen lassen sich im Labor nur schwer kultivieren oder sind nach Rückgabe in den Patienten nicht in der Lage, wieder funktionelles Gewebe zu bilden“, erklärt Schmück-Henneresse. „In solchen Fällen sind In-vivo-Therapien klar im Vorteil: Dabei zielt man darauf ab, ein bestehendes Gewebe mit genetischem Defekt direkt im Körper zu korrigieren. Aktuell untersucht man dies zum Beispiel bei monogenetischen Erkrankungen, die Muskeln oder Augen befallen, oder bei metabolischen Erkrankungen, bei denen Leberzellen geschädigt sind. Ein weiterer Vorteil ist, dass In-vivo-Therapien nicht für jeden einzelnen Patienten persönlich hergestellt werden müssen und deshalb potenziell günstiger sein können.“

Möglicherweise könnte die Verwendung von Cas-Proteinen aus Bakterien, mit denen Menschen üblicherweise nicht in Kontakt kommen, eine Lösung des Problems darstellen. „Generell ist dies ein denkbarer Ansatz, den angeblich mehrere Start-ups bereits verfolgen“, bestätigt Schmück-Henneresse. „Allerdings gibt es zum jetzigen Zeitpunkt noch keine solchen Cas-Varianten zur Gen-Modifikation. Wichtig wäre auf jeden Fall, dass diese neuen Cas-Enzyme den Varianten aus humanpathogenen Bakterien nicht allzu sehr ähneln.“ Denn für eine Kreuzreaktion reicht schon eine geringe Ähnlichkeit zwischen den Proteinen aus, wie die Berliner anhand der Proteine Cpf1 aus dem Darmbakterium Acidaminococcus sp. und SaCas9 aus S. aureus zeigen konnten. Hier liegt die Sequenzidentität zu SpCas9 bei nur 26 beziehungsweise 38 Prozent, doch das menschliche Immunsystem reagiert mit dem gleichen Abwehrverhalten darauf.

Eine technisch aufwändige Alternative wäre, die immunogenen Epitope des Cas-Proteins zu entfernen. Welche dies sind, testen die Forscher zurzeit in Zusammenarbeit mit der Firma JPT Peptide Technologies, die mithilfe einer Peptidbibliotheken-Technik diejenigen Regionen des Proteins identifizieren will, gegen die eine Immunreaktion stattfindet. „Theoretisch ist nach der Identifikation dieser Hot­spot-Epitope eine Entfernung durch Modifikation möglich“, so Schmück-Henneresse. „Entscheidend wird sein, dass Cas9-Varianten mit modifizierten T-Zell-Epitopen weiterhin funktional bleiben.“

Andere Möglichkeiten sind Veränderungen der Cas-Proteine, sodass sie in den modifizierten Zellen schneller abgebaut werden, oder aber eine bessere Kultivierung bestimmter Zelltypen außerhalb des Körpers, sodass vor dem Rücktransfer der Zellen länger gewartet werden kann.

„Bei Ex-vivo-Gentherapien mit transienter Expression von CRISPR/Cas9 erwarten wir ein minimales Risiko, da das Cas9-Protein schnell abgebaut wird“, erläutert der Arbeitsgruppenleiter. „Auch für In-vivo-Ansätze werden aktuell von internationalen Laboren und Firmen Strategien entwickelt, bei denen Cas9 nur für kurze Zeit im Körper bleibt – wie etwa selbst-inaktivierende Vektorsysteme oder Liposomen, die nahezu keine eigene Immunantwort hervorrufen.“ Eine wichtige Rolle werden wohl auch Immunsuppressiva spielen, die generell die Immunabwehr unterdrücken und bei Autoimmunerkrankungen oder nach Transplantationen eingesetzt werden.

„Zum jetzigen Zeitpunkt können wir nicht sagen, ob Cas9-reaktive Effektor-T-Zellen wirklich ein Problem werden. Leider fehlen aktuell noch gute Tiermodelle, um die bakterielle Exposition vor der Gentherapie zu modellieren. Dennoch empfehlen wir, in den ersten Patienten eine medikamentöse Immunsuppression einzuleiten, um die zelluläre Immun­reaktion vorübergehend auszuschalten“, so Schmück-Henneresse.

T-Zellen als Ass im Ärmel

Aber die Forscher haben noch ein anderes Ass im Ärmel. Denn interessanterweise gehörte ein großer Teil der im Patientenblut vorgefundenen SpCas9-reaktiven T-Zellen zu den sogenannten regulatorischen T-Zellen, die entzündungshemmend wirken und keine Entzündungsmediatoren produzieren. Im Körper dienen sie nicht nur dazu, Entzündungsprozesse zu kontrollieren, sondern sie scheinen auch eine Rolle bei der Interaktion mit der normalen Mikrobiota zu spielen. Diese speziellen T-Zellen wollen die Forscher nun nutzen, um die Immunreaktion auf Cas9 zu dämpfen.

„Um In-vivo-Gentherapien sicherer zu machen, werden wir in Zusammenarbeit mit dem Berlin Center for Advanced Therapies (BeCAT) der Charité die Therapie-konforme Anreicherung und Vermehrung von Cas9-reaktiven regulatorischen T-Zellen vorantreiben“, erklärt Wagner die geplante Vorgehensweise. „Dies könnte auch durch den Transfer eines Cas9-spezifischen T-Zell-Rezeptors in regulatorische T-Zellen erfolgen. Solche Zellen könnte man dann parallel mit dem gentherapeutischen Vektor in die Patienten injizieren. Dies hätte den entscheidenden Vorteil, dass die Patienten nicht dem Infektionsrisiko aufgrund immunsuppressiver Medikamente ausgesetzt werden.“

Und Schmück-Henneresse fügt hinzu: „Leider haben wir auch hier noch kein Tiermodell, um die Effektivität dieses Ansatzes zu testen. Wiederkehrende Exposition und Kolonisierung mit Bakterien ist normalerweise etwas, was wir in unseren tierexperimentellen Ansätzen vermeiden. Zudem ist S. pyogenes ein überwiegend humanpathogenes Bakterium.“ Der Wissenschaftler ist deshalb sicher: „Hier gibt es noch viel Spannendes zu erforschen.“



Letzte Änderungen: 10.10.2019