Einblicke ins Lymphom-Genom

Larissa Tetsch


Editorial

(09.11.2022) LÜBECK: Das diffuse großzellige B-Zell-Lymphom ist eine aggressive Krebsart. Kommt eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus hinzu, lässt sich der Krebs noch schlechter behandeln. Lübecker Forscher suchen deshalb im Genom der Krebszellen nach Ansätzen für neue Therapien.

Manchmal ist es die Begegnung mit bestimmten Menschen und ihren Schicksalen, die das eigene Leben in die eine oder andere Richtung lenken. So ist es auch Niklas Gebauer während seines Medizinstudiums ergangen. Als Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie-Onkologie erforscht er am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck eine seltene und schwer behandelbare Form von Lymphdrüsenkrebs – unter anderem weil ihn das Schicksal eines Patienten nicht mehr losgelassen hat. „Wenn man eine konkrete Patientengeschichte vor Augen hat, bei der man in ein nicht lösbares Problem gelaufen ist, kann das ein sehr starker Antrieb sein“, erinnert sich Gebauer, der als Assistenzarzt nach Lübeck gekommen ist und dort nun als Oberarzt in der Klinik für Hämatologie und Onkologie arbeitet.

Seit fast zehn Jahren widmet er sich inzwischen dem diffusen großzelligen B-Zell- Lymphom (DLBCL), das das häufigste Non- Hodgkin-Lymphom darstellt. Die Krankheit betrifft vor allem ältere Menschen zwischen etwa 65 und 75 Jahren. „Es handelt sich um eine aggressive, schnell fortschreitende, sehr bösartige, aber prinzipiell heilbare Krankheit“, sagt Gebauer – und erklärt, dass er sich insbesondere für diejenige Subgruppe der Patienten interessiert, bei denen der Krebs im Zusammenspiel mit einer Infektion des Epstein-Barr-Virus entsteht. „Eine EBV-Infektion als beitragenden Faktor haben etwa fünf bis zehn Prozent der Patienten“, weiß der Onkologe. „Die betroffenen Patienten sind im Schnitt bei der Erstdiagnose älter und befinden sich bereits in einem weiter fortgeschrittenen Krankheitsstadium. Das sind denkbar schlechte Vorzeichen für eine Behandlung.“

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Zellen des diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms (DLBCL) unter dem Mikroskop: DLBCL ist die häufigste Neoplasie des lymphatischen Systems und wird zu den aggressiven B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphomen gerechnet. Foto: BMS-Onkologie

Editorial

Inwieweit die Virusinfektion zur Entstehung des Lymphoms beiträgt, ist noch immer nicht ganz klar. Zumindest ist aber belegt, dass eine infizierte B-Zelle weniger Mutationen benötigt, um zu entarten. Derartige Treibermutationen – so genannt, weil sie die Onkogenese antreiben – betreffen bei unterschiedlichen Krebsarten immer wieder ähnliche Gene, typischerweise solche, die mit Zellteilung oder programmiertem Zelltod zusammenhängen. „Eine EBV-Infektion führt tendenziell dazu, dass eine Lymphomzelle besser der Apoptose entgehen kann“, erklärt Gebauer. „Damit wird sie unabhängiger von Treibermutationen.“

Andere Krebsarten als Vorbild

Behandelt wird die DLBCL seit rund zwanzig Jahren mit einer sogenannten Immunchemotherapie. Darunter versteht man eine Kombination aus einem Antikörper, drei verschiedenen Chemotherapeutika und einem hochdosierten Cortisonpräparat. Die Behandlung ist langwierig und verlangt den Patienten einiges ab, wie Gebauer erklärt. „Aber gerade die Patienten mit begleitender EBV-Infektion sind aufgrund ihres höheren Alters und einem oft immunsupprimierten Zustand nicht besonders belastbar.“

Editorial

Ein Dilemma, das neue Therapieansätze dringend notwendig macht. Hierzu soll eine Studie den Weg bereiten, die Gebauer mit seinem Team und Kollegen aus der Systembiologie der Universität zu Lübeck im letzten Jahr publiziert hat (Blood Cancer J. 11: 102) Im Hintergrund stand dabei die Überlegung, dass sich möglicherweise etablierte Therapien von anderen Krebserkrankungen auf Patienten mit DLBCL-EBV übertragen lassen könnten. Denn: Viele Krebsmedikamente greifen heute sehr spezifisch an Komponenten von zellulären Signalwegen oder anderen Zielstrukturen an, die durch Mutationen verändert sind. Sofern also bei zwei Krebsarten dieselben Gene mutiert sind, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Wirkstoffe auch bei beiden Erkrankungen anschlagen.

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Die Lübecker Arbeitsgruppe um Niklas Gebauer charakterisierte erst das Erbgut des diffusen großzelligen B-Zell-Lymphoms. Jetzt suchen die Tumorgenetiker nach Therapiemöglichkeiten. Foto: UKSH

Doch dafür mussten die Forscher erst einmal wissen, welche Mutationen überhaupt in den Lymphomzellen vorkommen. „Im ersten Schritt wollten wir einen Blick auf die Mutationslandschaft des DLBCL mit EBV-Beteiligung werfen und diese dann mit der des Lymphoms ohne Virusinfektion vergleichen“, beschreibt Gebauer als Erstautor der Publikation das Ziel der Studie. „Eine zweite Frage war, ob man aus den Ergebnissen therapeutische Konsequenzen oder prognostische Biomarker ableiten kann.“

Das Lübecker Referenzzentrum für Hämatopathologie bot hier eine einmalige Chance, wie der Arzt erklärt: „Genetische Studien bei seltenen Krebsarten haben oft das Problem, dass nur von wenigen Patienten Proben zur Verfügung stehen. Hier in Lübeck haben wir aber ein hervorragendes Archiv und konnten so auf Tumorgewebe von 80 Patienten zurückgreifen.“ Am Ende flossen Daten von 47 Patienten in die Studie ein. Von acht Patienten konnte das Forschungsteam das gesamte Genom sequenzieren und analysieren. Von den restlichen Proben stand hierfür zu wenig Material zur Verfügung. Deshalb wurde stattdessen nur ein Set an Genen sequenziert, die bei anderen Lymphomarten bekanntermaßen eine Rolle spielen.

Von Vorteil war, dass den Forschern bei einigen Patienten Daten zum klinischen Verlauf zur Verfügung standen. Dadurch ergab sich die Möglichkeit zu überprüfen, ob einzelne Mutationen die Überlebenswahrscheinlichkeit der Betroffenen beeinflussen. „Mit Daten von 47 Patienten handelt es sich derzeit um die Untersuchung mit dem größten Patientenkollektiv“, sagt Gebauer und ist überzeugt, dass die Studie einen substanziellen Beitrag zum Verständnis des DLBCL mit EBV-Beteiligung liefern kann.

Anhand der acht sequenzierten Genome ließ sich tatsächlich eine Mutationslandschaft des Lymphoms rekonstruieren. Etwas überrascht waren die Forscher über die insgesamt niedrige Mutationslast der Krebszellen. Wie erwartet fiel dagegen die eher geringe Anzahl an Treibermutationen aus. Ursprünglich hatte das Forschungsteam geplant auszuwerten, welche Gene in den Krebszellen im Vergleich zu gesunden Körperzellen überzufällig häufig mutiert sind. Für diese statistische Auswertung reichte die Fallzahl jedoch nicht aus.

Lehrreiche Mutationslandschaft

Dennoch lieferte der Vergleich der Mutationslandschaft der Lymphome mit und ohne EBV-Beteiligung wertvolle Erkenntnisse. „Wir sehen tatsächlich große Überschneidungen, finden aber auch ein paar Alleinstellungsmerkmale des DLBCL-EBV“, fasst Gebauer zusammen. Ein Beispiel für Letzteres sind Veränderungen in Cytokin-Rezeptoren, die der Onkologe folgendermaßen erklärt: „Das DLBCL-EBV hat zwei Probleme. Zum einen sieht die Krebszelle schon von sich aus anders aus als eine gesunde Zelle. Die Infektion mit dem Virus verfremdet die B-Zelle aber noch weiter. Die Lymphomzellen können also nur überleben, wenn sie für das Immunsystem unsichtbar werden.“

Häufig waren auch Deletionen im langen Arm von Chromosom 6, auf dem viele bekannte Onkogene liegen. Solche Aberrationen seien beim EBV-assoziierten DLBCL besonders häufig, weiß Gebauer: „Diese Ergebnisse erklären, warum die Zellen des DLBCL-EBV aussehen, wie sie es tun. Konkret ähneln sie reifzelligen Lymphomen, also solchen, die ausgehend von reifen B-Zellen entstehen. Solche reifzelligen Lymphome sprechen leider besonders schlecht auf Chemotherapien an.“

Wie erhofft fanden die Forscher auch erste Ansatzpunkte für die Übertragung von zielgerichteten Therapien sowie einzelne Mutationen, die die Überlebenswahrscheinlichkeit im besonderen Maße beeinflussen und damit als prognostische Biomarker herangezogen werden können. Allerdings sei die Fallzahl von nur acht Patienten für eine belastbare Aussage zu klein. „Wir haben deshalb eine Anschlussstudie auf den Weg gebracht, bei der unter anderem die kompletten Exome von weiteren 48 Patienten sequenziert werden“, so Gebauer. Wenn alles gut läuft, soll im Frühjahr 2023 zumindest die Auswertung abgeschlossen sein.

Weiteres Lymphom im Fokus

Weitergehen soll es auch mit einem zweiten Projekt, bei dem das plasmoblastische Lymphom im Vordergrund steht. „Dieses Lymphom ist ebenfalls oft EBV-assoziiert, aggressiv und hat einen noch reifzelligeren Phänotyp als das DLBCL“, so Gebauer. „Hinzu kommt, dass viele Patienten darüber hinaus HIV-positiv sind, Organtransplantationen hinter sich haben oder anderweitig schwerwiegend immunsupprimiert sind. Ihre Prognose ist damit meist noch schlechter als beim DLBCL.“

Anfang des Jahres hat Gebauers Team, ebenfalls gemeinsam mit den Kollegen von der AG Systembiologie, auch von dieser Lymphomart die Mutationslandschaft veröffentlicht (Blood Adv. 6(2): 637-51). Nun ist eine Anschlussstudie in Planung. Die Betroffenen sind sicher dankbar, dass sich die Lübecker Onkologen ihren seltenen Erkrankungen so intensiv widmen. Denn jeder Erkenntnisfortschritt ist ein Schritt zu einer besseren Behandlung.