Süßes Signal für Pflanzen

Larissa Tetsch


Editorial

(09.03.2023) ROSTOCK: Pflanzen schützen sich vor starker Lichteinstrahlung durch die Bildung von Anthocyanen. Doch wie erkennt die Zelle, dass die roten Pigmente benötigt werden? Der Schlüssel dazu findet sich in Chloroplasten...

Pflanzen müssen sich infolge ihrer sesshaften Lebensweise an wechselnde Umweltbedingungen anpassen können. Denn Sonneneinstrahlung und Temperatur ändern sich mitunter kurzfristig. Zum Schutz vor zu viel Sonnenlicht nutzen viele Pflanzen Anthocyane, also rot gefärbte Flavonoide mit antioxidativer Funktion, wie Andreas Richter von der Universität Rostock erklärt. Der Juniorprofessor erforscht die Regulation der Anthocyan-Biosynthese als Reaktion auf Hochlichtbedingungen. „Anthocyane können reaktive Sauerstoffverbindungen entgiften, die unter anderem bei starker Lichteinstrahlung entstehen und empfindliche Biomoleküle wie Proteine, Lipide und Nukleinsäuren schädigen.“ Möglicherweise dienen Anthocyane sogar als direkter Sonnenschutz, indem sie Licht bestimmter Wellenlänge absorbieren. Zumindest für die schädliche UV-Strahlung sei das für andere Flavonoide beschrieben, so der Pflanzenforscher.

An die Anthocyane geriet Richter über einen Umweg. Für seine Doktorarbeit bei Bernhard Grimm an der Humboldt-Universität Berlin untersuchte er ein Chloroplasten-Protein, das die Bildung und Akkumulation von Chlorophyll reguliert. „Dabei fiel uns auf, dass der für eine Mutante beschriebene Defekt in der Kommunikation zwischen Chloroplast und Zellkern zu einer veränderten Biosynthese von Anthocyanen führt“, erinnert sich der Forscher. „Weil die Mutante unter bestimmten Stressbedingungen weniger Anthocyane bildete als der Wildtyp, wurde uns klar, dass Chloroplasten bei der Akklimatisierung an Stressbedingungen eine signalgebende Funktion haben.“

Arbeitsgruppe von Pflanzenbiologen um Andreas Richter an der Universität Rostock
Richters Rostocker Juniorgruppe wächst. V.l.n.r. : Andreas Richter, Kathrin Jahnke, Christine Kühn, Lucas Erdmann, Nadja-Magdalena Kelber, Josephine Diekmann, Galileo Estopare Araguirang Foto: AG Richter

Editorial
Stellschraube Zuckerausfuhr

Welches Signal das sei, wollte Richter aufdecken – zuerst noch als Juniorprofessor in Berlin, anschließend auf einer Juniorprofessur mit Tenure-Track in Rostock. Für den Nachwuchsgruppenleiter von Vorteil: In dieser Zeit rief die DFG ihren Sonderforschungsbereich SFB TRR175 „The Green Hub“ ins Leben, um die Rolle von Chloroplasten in der pflanzlichen Akklimatisierung aufzuklären. Richter bekam ein Teilprojekt bewilligt und konnte mit seiner jungen Arbeitsgruppe von da an untersuchen, über welche Signale Chloroplasten die Anthocyan-Biosynthese bei erhöhten Lichtintensitäten regulieren.

Da die Literatur auf eine Signalfunktion von Zuckern aus der Photosynthese hinwies, stellten die Pflanzenphysiologen zwei Mutanten von A. thaliana mit verändertem Zuckerstoffwechsel ins Zentrum ihrer Versuche: „Die eine Mutante kann aus Triosen keine Stärke aufbauen“, erklärt Richter. Als Folge sollte sie vermehrt Triosen ins Cytoplasma schleusen. „Der anderen Mutante fehlt dagegen genau der Triosephosphat-Phosphat-Translokator (TPT), der im Calvin-Zyklus gebildete Triosen im Austausch gegen Phosphat vom Chloroplasten ins Cytoplasma befördert“, fährt der Juniorprofessor fort. TPT sei essentiell für den Zuckertransport im Licht, erklärt er, und mache 10 bis 15 Prozent aller Proteine in der Chloroplasten-Hüllmembran aus. In der zweiten Mutante sollte die Zuckerkonzentration im Cytoplasma also niedriger sein als im Wildtyp. Wie erwartet akkumulierte der Wildtyp unter Hochlichtbedingungen vermehrt Glucose, Fructose und Saccharose. In der Stärke-Mutante sammelte sich sogar noch mehr Zucker im Cytoplasma an, während die cytoplasmatische Zuckerkonzentration der TPT-Mutante niedrig blieb und erst mit mehrstündiger Verzögerung anstieg.

Aktivierte Anthocyan-Synthese färbt Arabidopsis-Blätter rötlich
Akklimatisierung an Hochlicht: Aus dem Chloroplasten ausgeschleuste Zucker dienen Pflanzen als Signal, die Anthocyan-Biosynthese anzukurbeln. Illustr: AG Richter

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Ähnliches beobachteten die Pflanzenphysiologen für die Anthocyan-Biosynthese: Im Wildtyp und vor allem in der Stärke-Mutante wurde sie stimuliert. In der TPT-Mutante war die Stimulation der Anthocyan-Biosynthese dagegen deutlich verzögert, konnte aber durch externe Zugabe von Zucker induziert werden. Schalteten die Rostocker allerdings TPT in der Stärke-Mutante aus, war die Anthocyan-Biosynthese auch hier gedrosselt. Offensichtlich war Zucker also notwendig, damit erhöhte Lichtintensitäten die Bildung von Anthocyanen aktivieren können. Wichtig ist Richter, dass sein Team diese Ergebnisse im Wildtyp bestätigen konnte. Dafür verringerten die Rostocker den Zuckergehalt der Pflanzen, indem sie ihre Photosynthese einschränkten – einmal durch Herabsetzen des CO2-Gehalts der Umgebungsluft, ein anderes Mal durch Unterbrechung des Elektronentransports. In beiden Fällen stimulierte Hochlicht die Anthocyan-Biosynthese nicht, konnte aber durch die Zugabe von Zucker aktiviert werden.

Eine zuckerabhängige Kinase …

„Damit Pflanzen Anthocyane bilden können, muss es ihnen gut gehen“, ist der Juniorprofessor überzeugt. „Wenn die Photosyntheseleistung zusammenbricht und drastisch weniger Zucker zur Verfügung stehen, spart es sich die Pflanze, energetisch teure Anthocyane zu bilden.“ Das ergebe schon allein deshalb Sinn, sagt er, weil Anthocyane mehrfach glykosyliert sind und Zucker somit für ihre Biosynthese vorhanden sein müsse.

Da drängt sich natürlich die Frage auf, wie die TPT-Mutante überhaupt Anthocyane bilden kann? Der Rostocker hat eine gute Erklärung: „TPT ist essentiell für den lichtabhängigen Zuckerexport aus Chloroplasten. Im Dunkeln hingegen wird Stärke im Chloroplasten in Maltose umgewandelt und diese über einen eigenen Transporter ins Cytosol exportiert. Nur so können Pflanzen auch im Dunkeln Stoffwechsel und Biosynthesen aufrechterhalten.“ Vielleicht erklärt das auch, warum die TPT-Mutante irgendwann doch noch auf erhöhte Lichtintensitäten reagiert. „Der Stärkeabbau findet auch im Licht statt, wenn auch verzögert“, so Richter. „Entweder das oder andere Transporter könnten dafür sorgen, dass der Zuckergehalt und damit die Anthocyan-Produktion bei Hochlichtbedingungen in unserer Mutante erst nach einer im Vergleich zum Wildtyp doppelt so langen Zeit ansteigt“, spekuliert er. Eine Analyse des Transkriptoms der TPT-Mutante sollte den Sensor für das Zuckersignal liefern, hofften die Pflanzenphysiologen.

Und behielten recht: Sie entnahmen der A. thaliana-Mutante 9 und 18 Stunden nach Wechsel zu erhöhter Lichtintensität Proben. „Wie erwartet fanden in der frühen Phase der Hochlichtakklimatisierung ohne den TPT keine dem Wildtyp vergleichbaren Transkriptomveränderungen statt“, erklärt Richter. „Auffällig war jedoch, dass von der Proteinkinase SnRK1 aktivierte Gene anders als im Wildtyp reguliert waren.“ Diese konservierte Kinase wird durch Glucose-1-Phosphat und Trehalose-6-Phosphat abgeschaltet. In Abwesenheit von Zucker aktiviert sie dagegen katabolische Prozesse wie den Abbau von Stärke oder Aminosäuren.

… als Repressor

Eine detaillierte Analyse ergab Folgendes: Sowohl im Wildtyp als auch in der Stärke-Mutante waren SnRK1-aktivierte Transkripte unter Hochlichtbedingungen reprimiert. In der TPT-Mutante war diese Reaktion dagegen verzögert. Um den reduzierten Zuckergehalt im Cytoplasma der TPT-Mutante im Wildtyp nachzustellen, überexprimierten die Forscher daraufhin eine katalytische Untereinheit der SnRK1-Proteinkinase. Tatsächlich bildete diese Variante im Hochlicht weniger Anthocyane. Für die Gegenprobe nutzten Richter und Co. Pflanzen mit ausgeschalteter Kinase – analog zu einer Situation mit viel Zucker im Cytosol. Das war experimentell allerdings alles andere als einfach, erinnert sich der Pflanzenforscher: „Pflanzen ohne SnRK1 sind nämlich nicht lebensfähig. Deshalb mussten wir Pflanzen finden, in der eine der beiden Kinase-Untereinheiten induzierbar ausschaltbar ist.“ Mit ihnen bestätigte sich allerdings die Erwartung der Rostocker. Ohne SnRK1 bilden Pflanzen mehr Anthocyane. Also entwarfen sie die Gegenprobe zur Gegenprobe und überexprimierten SnRK1 in der Stärke-Mutante – und fanden kaum Anthocyane, obwohl das Cytoplasma voll von Zuckern war. Die derzeitige Zusammenfassung der Forschungsgruppe lautet: SnRK1 ist ein Repressor der Anthocyan-Synthese, der einem Zuckersignal nachgeschaltet ist (Plant Commun. doi.org/jwvp).

Blick stromabwärts

Mithilfe ihrer Transkriptomanalyse schlossen die Rostocker gleichzeitig weitere Einflussfaktoren aus. „Da Anthocyane reaktive Sauerstoffverbindungen entgiften, könnten auch Letztere deren Biosynthese ankurbeln“, erläutert Richter. „Wir fanden bei unseren Mutanten aber keine Unterschiede in der Menge reaktiver Verbindungen.“ Das Gleiche galt übrigens auch für die Bildung verschiedener Phytohormone und deren Zielgene.

Inzwischen ist Richter mit einer positiven Zwischenevaluation einer W3-Professur einen großen Schritt näher gekommen. Als Nächstes möchte er mit seiner Arbeitsgruppe untersuchen, ob der Zuckerexport aus den Chloroplasten bei anderen abiotischen Stressfaktoren wie Kälte und Nährstoffmangel ebenfalls als Signal für die Anthocyan-Produktion dient. Natürlich möchte er außerdem wissen, wie SnRK1 deren Synthese reguliert: „Wir suchen jetzt die Transkriptionsfaktoren, die stromabwärts von SnRK1 eine Rolle spielen.“