Immer den Fühlern nach

Angela Magin


Editorial

(15.05.2023) JENA: Borkenkäfer nehmen die Welt über Gerüche wahr. Wie vielschichtig ihre Geruchsinteraktionen mit Wirtsbäumen und symbiotischen Pilzen sind, klären Forschende am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie auf.

Der richtige Riecher ist entscheidend – manchmal auch bei der Suche nach einem spannenden Forschungsthema. Diese Erfahrung machte Dineshkumar Kandasamy, als er im Zuge seiner Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena den Pilz Grosmannia penicillata untersuchte. G. penicillata gehört zu den Schlauchpilzen (Ascomycota), befällt Fichten (Picea abies) und verfärbt deren Holz sichtbar blau. Ursprünglich befasste sich Kandasamy mit den Virulenzgenen des Pilzes, doch während er G. penicillata im Labor kultivierte, fiel ihm etwas auf: „Immer, wenn ich die Kulturflaschen öffnete, nahm ich einen angenehmen Geruch wahr“, erzählt er. „Das hat mich neugierig gemacht.“

Duft-Enthusiasten

Gemeinsam mit seinem Doktorvater Jonathan Gershenzon ging er dem einzigartigen Geruch auf den Grund und entdeckte, dass die Geruchsstoffe des Pilzes nicht nur menschlichen Nasen anziehend finden. Auch der Buchdrucker Ips typographus aus der Unterfamilie der Borkenkäfer, der mit dem Pilz in Symbiose lebt, findet die flüchtigen Verbindungen unwiderstehlich – besonders, wenn der Pilz auf Fichtenrinde gezüchtet wird.

Abgestorbene Fichten
Foto: Felix Mittermeier/Pixabay

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Zwar können die Käfer sehen und schmecken, orientieren sich aber hauptsächlich mithilfe ihres Geruchssinnes. Dabei kommt es nicht nur auf die Identität, sondern auch auf die anteiligen Konzentrationen aller Geruchskomponenten an. Zum Beispiel reagieren die Käfer hochsensibel auf flüchtige Absonderungen ihrer Wirtsbäume wie etwa Mono-, Di- und Sesquiterpene. Aber das sind bei Weitem nicht die einzigen olfaktorischen Reize, die für Fichtenborkenkäfer attraktiv sind. „Es ist seit fünfzig Jahren bekannt, dass sie untereinander über Pheromone kommunizieren und so Massenattacken koordinieren, um die Abwehr eines Baumes zu überwältigen“, berichtet Kandasamy. Zwar befallen die Käfer meistens geschwächte Bäume, bei hohen Populationsdichten nehmen sie allerdings auch gesunde Bäume ins Visier. „Das ist gefährlich für sie. Viele der Käfer sterben, weil der Baum sich wehrt“, erklärt der Jenaer Ökologe. Doch in einem Wald ohne ausreichend vorgeschädigte Bäume bleibt den Käfern vermutlich keine andere Wahl. In hohen Zahlen gelingt dann der Angriff, sagt Kandasamy: „Das ist wie bei einer Virusinfektion: Ist die Viruslast hoch, kann selbst eine gesunde Person an einer Infektion sterben.“ Überwinden die Käfer gemeinsam die Abwehr des Baumes, winkt ein wertvoller Preis, denn gesunde Bäume sind besonders nahrhaft für die Borkenkäfer.

Ökologen erforschen seit geraumer Zeit die Assoziation der Borkenkäfer mit Pilzen wie G. penicillata. Deren Rollenverteilung konnte allerdings erst zum Teil geklärt werden. Bekannt ist: Der Pilz benötigt die Käfer als Vektor, um zu neuen Wirtsbäumen zu gelangen. Aber wie kommunizieren Pilz und Käfer, und welchen Vorteil haben die Insekten von der Kooperation?

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Kommunikationsvorteile?

Ähnliche Beziehungen sind für Insekten nachgewiesen, deren Fortpflanzung oder Ernährung von Mikroben abhängt. Beispielsweise erkennt Drosophila melanogaster aufgrund eines Cocktails aus Ethanol, Essigsäure, Acetoin und weiteren volatilen Substanzen, auf welchen Früchten ihr Symbiont Saccharomyces cerevisiae vertreten ist (Behav Ecol. doi.org/f23wgg). Der Hefepilz braucht die Fliegen, um sich zu verbreiten. Im Gegenzug sorgt er dafür, dass Drosophila-Larven überleben und sich gut entwickeln. Für I. typographus war ein derartiger Mechanismus bislang unbekannt.

Dineshkumar Kandasamy und kollegin inspizieren Kulturplatte mit Fichtenmedium
Dineshkumar Kandasamy und eine Kollegin werfen einen Blick auf ihr Fichtenrinden- Medium: Sind bestimmte Symbiose-Pilzen vorhanden, fühlen sich Borkenkäfer besonders angezogen. Foto: Ann Schroll/MPI-CE

Mithilfe eines SuperQ-Filters fing Kandasamy daher zunächst die flüchtigen Substanzen ein, die G. penicillata in die Luft abgibt, wenn der Pilz Fichtenrinde zersetzt, und analysierte sie per Gaschromatographie-Massenspektrometrie (GC-MS). Dann verglich er sie mit den Absonderungen pilzfreier Fichtenrinde und wurde fündig: Kampfer und Terpinen-4-ol sind die Hauptprodukte, die G. penicillata aus Fichtenrinde erzeugt. Beide Terpene konnte Kandasamy auch in Borkengalerien nachweisen, also den Gangsystemen, die die Käfer in Fichtenrinde fressen – allerdings nur, wenn die Käfer den symbiotischen Pilz in sich trugen. Der Chemoökologe erklärt: „Der Baum benutzt sein Harz, um sich gegen die Käfer zu verteidigen. Sie kleben daran fest. Die Monoterpene im Harz sind giftig, sowohl für die Pilze als auch für die Käfer. Schaffen es die Käfer jedoch, samt der Pilze in den Baum einzudringen, oxygenieren die Symbionten die Monoterpene und stellen aus den Abwehrstoffen des Baumes Lockstoffe für andere Käfer her.“

Als Nächstes warf Kandasamy einen Blick auf andere Schlauchpilze wie zum Beispiel Trichoderma sp., der zwar ebenfalls in Fichtenrinde, aber nicht in Symbiose mit I. typographus lebt. Dessen Emissionsprofile unterschieden sich deutlich von demjenigen von G. penicillata. Die Käfer wiederrum reagieren nicht auf Fichtenrinden-Medium, in dem nichtsymbiotische Pilze wachsen. Erkennt der Käfer seinen Symbionten also am Geruch? Mit Mikroelektroden, die er an einzelnen olfaktorischen Sensillen der Fühler lebender Käfer anbrachte, testete Kandasamy, wie die Neuronen der Kleinsinnesorgane auf Metabolite aus G. penicillata reagieren. Mehrere oxygenierte Monoterpene lösten hierbei starke Erregungssignale aus, zum Beispiel (+)-trans-4-Thujanol und (+)-Isopinocamphon.

Terpen-Vielfalt

Beide Stoffe synthetisiert G. penicillata aus (-)-α- und (-)-β-Pinenen, die im Fichtenharz enthalten sind. Also kultivierte Kandasamy G. penicillata im Anschluss in Fichtenrinden-Agar, dem er (-)-β-Pinen zusetzte, und stieß auf einen Konzentrationseffekt: Die Borkenkäfer fanden das Medium dann besonders attraktiv, wenn es eine ähnliche (-)-β-Pinen-Konzentration wie Rinde enthielt – aber nur, wenn gleichzeitig auch G. penicillata vorhanden war, der das (-)-β-Pinen verstoffwechselte. Höhere Konzentrationen an (-)-β-Pinen ließen die Käfer hingegen kalt. Auch ein weiteres Monoterpen aus Fichtenrinde, (-)-Bornylacetat, zeigte in Anwesenheit des Pilzes eine ähnliche Anziehungskraft auf die Insekten. Solche Konzentrationsabhängigkeiten sind für I. typographus von bestimmten Pheromonen bekannt, über die der Käfer die Populationsdichte seiner Artgenossen auf potenziellen Wirtsbäumen bestimmt. Sind die Pheromone zu konzentriert, der anvisierte Baum also schon zu stark befallen, wählen die Käfer einen anderen Baum. „Es ist, wie wenn wir einen bestimmten Geruch wahrnehmen“, vergleicht Kandasamy. „Selbst ein angenehmer Geruch kann unangenehm sein, wenn er zu intensiv wird.“

Verschiedene Entwicklungsstadien des Buchdruckers Ips typographus
Verschiedene Entwicklungsstadien des Buchdruckers Ips typographus: Die gesamte Käfer-Entwicklung dauert 7 bis 12 Wochen. Pro Jahr entstehen, abhängig von der Umgebungstemperatur, bis zu zwei Generationen. Erst ab 16 °C beginnen die Käfer ihren Schwärmflug. Um Borkenkäfer forstwirtschaftlich zu bekämpfen, müssen bislang alle befallenen Bäume entnommen und alle Entwicklungsstadien vernichtet werden. Fotos: Ana Baños und Veit Grabe / MPI-CE

Welche Pilzprodukte genau locken die Käfer an? Kandasamy testete, wie die Käfer auf unterschiedliche Konzentrationen an (-)-β-Pinen und (-)-Bornylacetat sowie deren Biotransformationsprodukten reagieren. Beide Ausgangsstoffe an sich erwiesen sich als moderat interessant für Buchdrucker. Doch auf (+)-trans-4-Thujanol, also dem oxygenierten Metaboliten von (-)-β-Pinen, sowie auf Kampfer, das G. penicillata aus (-)-Bornylacetat synthetisiert, reagierten die Käfer stark.

Auch beim Tunnelbau hilft der Pilzsymbiont seinen Käfern. Wenn das Medium neben den Monoterpenen (-)-α-Pinen, (-)-β-Pinen oder (-)-Bornylacetat auch G. penicillata enthielt, bauten weibliche Käfer darin mit größerem Erfolg Tunnel als ohne den Pilz. Die Monoterpene allein hatten diesen Effekt nicht – ein weiteres Indiz dafür, dass die Stoffe erst dann für die Käfer attraktiv sind, wenn der Pilz sie metabolisiert hat.

Duftkomplexe

Borkenkäfer kommunizieren untereinander also über Pheromone und interagieren mit ihren Pilzsymbionten ebenfalls über olfaktorische Reize. Inwieweit beeinflussen sich beide Kommunikationssysteme? Kandasamy setzte seinem Fichtenrinden-Agar die Pheromone 2-Methyl-3-Buten-2-ol und cis-Verbenol zu – und siehe da: Waren im Medium Pilz und Pheromone enthalten, fühlten sich besonders weibliche Käfer stärker angezogen als von Agar, dem G. penicillata fehlte. Kandasamys Projekt zeigt somit eines: Das biochemische Netzwerk zwischen Wirtsbaum, Borkenkäfer und Pilzsymbiont ist komplex. Das Monoterpen (-)-α-Pinen bietet hierfür das beste Beispiel. Einerseits synthetisiert I. typographus aus diesem Abwehrstoff der Fichte das Pheromon cis-Verbenol. Andererseits oxygeniert G. penicillata den Abwehrstoff zu (+)-trans-4-Thujanol und damit zum Lockstoff für die Borkenkäfer.

Für Kandasamy sind diese Zusammenhänge das wissenschaftlich faszinierendste Ergebnis seiner Arbeit. Allerdings haben sie auch relevante Folgen für die Waldbewirtschaftung: Seit vielen Jahren setzen Forstwirte Pheromonfallen zur spezifischen und umweltfreundlichen Bekämpfung von Borkenkäfern ein. Doch bei hohen Befallsdichten erweisen sie sich als wenig effizient. Eine Kombination aus Pheromonen und oxygenierten Monoterpenen könnte den Käfern hingegen Fichten voller Sexualpartner und symbiotischer Pilze vorgaukeln. „Als Nächstes müssen wir testen, welche vom Pilz produzierten Stoffe synergistisch am besten mit den Pheromonen wirken“, sagt Kandasamy.

Das ist eines der Projekte, an denen er momentan an der Universität Lund weiterarbeitet. Ein zweites Projekt befasst sich mit dem Nutzen, den G. penicillata für die Käfer hat. „Wir wissen zwar nun, dass der Pilz die Käfer anlockt, aber was bietet er ihnen im Gegenzug an?“ Steuert der Pilz vielleicht Aminosäuren und Vitamine zur Ernährung der Käfer bei? Oder hilft er den Insekten bei der Verteidigung gegen die Abwehrmechanismen seiner Wirtbäume? Möglicherweise schützt er die Tiere aber auch vor mikrobiellen Pathogenen? Welche der Hypothesen zutrifft, ist unklar. Eines ist indes gewiss: Dineshkumar Kandasamy bleibt den Borkenkäfern und ihren hilfreichen Pilzen auf der Spur.