Zum Männchen gespleißt

Sigrid März


Editorial

(12.12.2023) DÜSSELDORF: Ob Honigbienen weiblich oder männlich sind, entscheidet sich nicht auf genetischer Ebene; sie haben keine Geschlechtschromosomen. Vielmehr regulieren unterschiedliche Allele eines einzelnen Schlüsselgens, ob aus der Biene ein Männchen oder ein Weibchen wird. Im Licht der Evolution gesehen ist so ein posttranslationaler Schalter der Knaller. Forschende der Universität Düsseldorf haben herausgefunden, was ihn umlegt.

Der Bienenstock der Europäischen oder Westlichen Honigbiene Apis mellifera wird die meiste Zeit des Jahres von einer Königin und von Zigtausenden Arbeiterinnen bewohnt. Letztere sind etwas kleiner, ansonsten aber ausgestattet mit allem, was die Königin auch hat, sprich funktionellen Ovarien, einem flauschigen Pelz – selbst auf den Augen – und einem Giftstachel.

Die Funktion der Königin unterscheidet sich von denen der Arbeiterinnen jedoch grundlegend: Sie legt bis zu 2.000 Eier pro Tag, die dann von jungen Arbeiterinnen versorgt und gefüttert werden. Innerhalb von drei Wochen wachsen die Eier zu neuen Arbeiterinnen heran. Erfahrene Arbeiterinnen wiederum verlassen den Bienenstock und sammeln Nektar und Pollen. Damit sie sich nicht fortpflanzen, sondert die Königin fortlaufend die Königinnensubstanz, das Queen Mandibular Pheromone (QMP), ab. Es enthält die ungesättigte Fettsäure 9-Oxo-trans-2-Decensäure, die die Entwicklung der Eierstöcke der Arbeiterinnen blockiert. Zwischen April und Juli tummeln sich zusätzlich noch Jungköniginnen im Stock – die alsbald ausziehen, um einen eigenen Schwarm zu gründen – sowie als Drohnen bezeichnete Männchen, die nur dazu da sind, die Jungköniginnen zu begatten und so zum Fortbestand der Art beizutragen. Drohnen sind etwas größer als die Arbeiterinnen, haben eine gedrungene Körperform, große Augen und keinen Giftstachel.

Bienenbrutwaben, Foto: AG Beye
Foto: AG Beye

Editorial
Verliebt in Bienengenetik

Honigbienen besitzen im Gegensatz zum Menschen keine Geschlechtschromosomen. Stattdessen verfügen sie über ein Schlüsselgen namens complementary sex determiner (csd), dessen Produkt das Geschlecht bestimmt. Mit ihm beschäftigen sich Martin Beye und Marianne Otte vom Institut für Evolutionsgenetik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. „Für Honigbienen habe ich mich schon immer interessiert“, sagt Beye. „Das Imkern habe ich von meinem Großvater gelernt.“ Nach seinem Biologiestudium an der Universität Kaiserslautern zog es ihn deshalb an die Technische Universität Berlin. Denn dort in der Arbeitsgruppe von Robin Moritz konnte Beye die plüschigen Insekten in seiner Dissertation mit seinem zweiten Steckenpferd – der Genetik – unter einen Hut bringen. Im Jahr 2003 – mittlerweile Postdoktorand in Halle – isolierte und kartierte der Biologe gemeinsam mit seinem Doktoranden Martin Hasselmann erstmals csd. Nach weiteren Jahren an der University of California in Davis bei Sacramento nahm er 2005 einen Ruf an die Heinrich-Heine-Universität an, wo er bis heute als Professor das Institut für Evolutionsgenetik leitet.

Martin Beye und Marianne Otte
Martin Beye und Marianne Otte verband an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf über mehr als ein Jahrzehnt ihr Interesse an Hautflüglern: Beye als Leiter des Instituts für Evolutionsgenetik und Otte als seine Postdoktorandin. Foto: Steffen Köhler/HHU

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Im Jahr 2006 stieß Marianne Otte zu ihm. Sie hatte Biologie studiert und am Institut für Virologie des Universitätsklinikums Düsseldorf promoviert. Um der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt treu zu bleiben, wechselte sie als Postdoktorandin in die Evolutionsgenetik. Fasziniert von der genetischen Arbeit mit Insekten beschäftigt sie sich seitdem zusammen mit Beye mit csd – womit sich der Kreis zurück zur Geschlechtsdetermination von Honigbienen schließt.

Bienenstandard: Weibchen

Rund zwölf Stunden nach der Eiablage wird csd aktiviert. Es entstehen Csd-Proteine, die ihrerseits das geschlechtsspezifisch gespleißte Gen feminizer (fem) kontrollieren. Binden Csd-Proteine aneinander, sorgen sie dafür, dass fem-Transkripte (femF) gespleißt werden. Die entstehenden Feminizer-Proteine (Fem) aktivieren den „weiblichen“ Weg in der Entwicklung der Hautflügler, indem sie das Spleißen weiterer prä-mRNAs wie etwa der geschlechtsspezifischen Gene doublesex (dsx) und glubschauge (glu) steuern. FemF-Proteine lassen ausschließlich dsxF-Transkripte entstehen, deren DsxF-Proteine die geschlechtsspezifische Entwicklung der Fortpflanzungsorgane regulieren. Neben dsx wird auch das glu-Gen selektiv gespleißt und bewirkt seinerseits sexdimorphe Facettenaugen: große beim Männchen, kleine beim Weibchen.

Der weibliche Pfad ist also die Bienen-Standardeinstellung. Wichtig in dem Zusammenhang: Königinnen und Arbeiterinnen besitzen einen zweifachen Chromosomensatz. Drohnen hingegen sind haploid; sie verfügen nur über den mütterlichen Chromosomensatz und entstehen via Parthenogenese, wachsen also aus unbefruchteten Eiern heran – wie Forscher bereits 1845 feststellten. Welches Ei dabei befruchtet wird, entscheidet die Königin: Sie speichert die Samen mehrerer Drohnen in ihrem Körper und kann sie gezielt den Eiern hinzufügen – oder eben nicht.

Bienendrohne
Im Gegensatz zu Arbeiterinnen entsteht ein Drohn aus einem unbefruchteten Ei, hat also nur eine Mutter: die Bienenkönigin. Seine einzige Aufgabe besteht in der Begattung nestfremder Jungköniginnen. Auch sein Schicksal ist traurig: Entweder stirbt er direkt nach dem Akt oder ihm droht ab Mitte Juli soziale Vereinsamung und Hungertod: Arbeiterinnen verwehren ihm ab dann den Zugang zum Futter im Bienenstock. Foto: AG Beye

Zusätzlich gibt es aber auch diploide Männchen, für die das evolutionär umtriebige Bienen-Sexgen csd verantwortlich ist. Weltweit existieren in Honigbienen mehr als 100 unterschiedliche csd-Allele, die sich nur in einigen Basenpaaren unterscheiden. Für diploiden Nachwuchs treffen zwei csd-Allele aufeinander, eines von der Königin, das andere vom Drohn. Rein rechnerisch ergibt das 4.950 mögliche Allelkombinationen. „In lokalen Vorkommen sind es aber oft nur 15 oder 20 unterschiedliche Allele“, sagt Beye. Doch diese Allelvariationen sind der Schlüssel zum Geschlecht der Biene.

Sexwirrwarr entwirrt

Der Clou: Identische Csd-Proteine binden anders aneinander als aus unterschiedlichen Allelen hervorgegangene Csd-Proteine. Der „weibliche“ Pfad wird aktiviert, wenn zwei unterschiedliche csd-Allele aufeinandertreffen. Deren Komplex fungiert wie eine Weiche, die die Entwicklungsrichtung auf femF und damit „weiblich“ stellt. „Eine Feedback-Schleife sorgt dann dafür, dass sich das Spleißen in die femF-Form selbst verstärkt“, sagt Otte. Das sei eine Art Autoregulation, die den Prozess stabilisiert, erklärt die Evolutionsgenetikerin. Treffen hingegen identische Allele aufeinander, schaltet die Geschlechtsbestimmungsmaschinerie auf „männlich“.

Wie funktioniert das auf molekularer Ebene? Für den Weg „Weibchen“ finden unterschiedliche Csd-Proteine über ein Coiled-Coil-Motiv zueinander, was den Proteinkomplex aktiviert. Identische Proteine homozygoter csd-Allele hingegen binden über andere Elemente aneinander, was zu einem inaktiven Csd-Komplex führt. Doch auch dieser ist nicht funktionslos: Er sorgt dafür, dass die fem-Transkripte alternativ gespleißt werden. Analog zu femF heißen sie dann femM. „Deren RNA ist durch einen Einschub zwar länger“, sagt Otte, „allerdings produziert der Einschub ein Stopp-Codon.“ Mit ihm erlischt die Produktion von Fem-Proteinen, und statt des „weiblichen“ Weges beschreitet ein solches Insekt dann den „männlichen“ Weg.

Das erklärt übrigens auch, warum Drohnen männlich sind, obwohl sie in ihrem haploiden Chromosomensatz ja nur über ein csd-Allel verfügen: Ihre Csd-Proteine sind identisch, binden also auf die gleiche Art und Weise aneinander wie Csd-Proteine homozygoter csd-Allele.

Was lange währt

Bereits 2008 hatten Beye, Otte und ihre Kollegen gezeigt, dass die fem-Funktion ausbleibt, wenn die Evolutionsgenetiker fem-Transkripte mithilfe von RNA-Interferenz wegfischten. Aus Weibchen wurden dann Männchen. Doch erst jetzt bewiesen sie, „dass csd der alleinige Faktor ist, der diesen Prozess startet“, so Beye.

Zwar gelang es Otte bereits 2016, das Coiled-Coil-Motiv zu mutieren und damit jegliche spezifische Csd-Interaktion in vitro zu unterbinden. Doch für eine zufriedenstellende Publikation mussten die veränderten Allele in die Biene: „Wir haben mit Transgenen gearbeitet, die riesige Genkassetten inklusive Promotoren enthielten“, erklärt Otte. Jedes Ei musste einzeln per Hand injiziert werden – und zwar „bis man davon träumt“, erinnert sich die Biologin. Zusätzlich mussten weitere Protokolle optimiert und angepasst werden. Doch Otte sah es als Herausforderung – und der Erfolg gab der Forscherin Recht: Ihre Bindungs- und Funktionsstudien haben die Düsseldorfer im Oktober 2023 veröffentlicht (Sci Adv. doi.org/gstd2w). Mittlerweile hat die Erstautorin übrigens die Forschung verlassen und arbeitet als Fachkraft für biologische Sicherheit bei der Stabsstelle Arbeitsschutz der Universität Düsseldorf.
Eigentlich ganz einfach

Honigbienen verwandeln eine Fülle von Allel-Kombinationen auf posttranslationaler Ebene also in einen binären Code: „aus“ für männlich und „an“ für weiblich – mit Tendenz zu Letzterem. Es entscheiden also nicht Geschlechtschromosomen über das Geschlecht von Honigbienen, sondern das Csd-Protein erzeugt als posttranslationaler Schalter viele Weibchen und wenige Männchen.

Aber Moment: In einem Bienenschwarm gibt es doch gar keine ausgewachsenen diploiden Männchen? Dabei wäre bei zwanzig lokal vorkommenden Allelen rein rechnerisch doch jedes zwanzigste Tier ein Männchen. Die Erklärung dafür ist tragisch: Die Arbeiterinnen töten die männlichen Larven – aus gutem Grund. Denn wenn die befruchtete Königin und der befruchtende Drohn über gleiche Allele verfügen, sind sie zu nah verwandt. Töten die Bienen also diploide Männchen, vermeiden sie Inzucht, wodurch das Bienenvolk evolutionär fit bleibt.

„Dass ein neues Allel entsteht, dauert durchaus 100.000 Jahre“, ergänzt Beye. Denn vier bis fünf Mutationen seien dafür nötig. Vor allem ein Einwandern anderer Allele aus benachbarten Populationen fördert deshalb die Variabilität lokaler Bienenstände. „Deren Selektion kann man direkt im Bienenstock sehen“, ist Otte begeistert. Nimmt man nämlich eine Wabe heraus, befinden sich neben perfekt verdeckelten Zellen etliche leere Zellen – eben die Überbleibsel getöteter diploider Männchen. Deren Rate in der Bienenbrut dient Imkern daher als ein grobes Indiz für die Fitness des Bienenvolkes.

Wie aber erkennen Arbeiterinnen, ob in einem Ei eine weibliche oder eine männliche Biene heranwächst? Bei den Drohnen ist das einfach, da ihre Waben etwas größer sind und sie von Anfang an gesondert aufgezogen werden. Im Bienenstock haben sie ihre privaten Gemächer. Die Zellen der diploiden Männchen liegen jedoch im Standard-Waben-Segment zwischen denen der diploiden Weibchen. Beye kennt eine mögliche Antwort: „Der Geruch der männlichen Larven scheint anders zu sein“. Vermutlich verpassen spezielle Kohlenwasserstoff-Verbindungen den Männchen einen ganz besonderen Duft – allerdings nur für etwa zwölf Stunden nach dem Schlüpfen der Larven aus dem Ei. Doch dieses enge Zeitfenster reicht den Arbeiterinnen aus. Nach zwölf Stunden sind keine männlichen Larven mehr übrig.