Editorial

Desperate Houseflies

Entscheidungsfindung bei Drosophila

Björn Brembs


Nicht Buridans Esel

Dieser Esel ist cleverer als Buridans Esel. Er frisst das Heu einfach, statt lange zu überlegen mit welchem Haufen er anfangen soll.

Nicht nur Menschen fällt es schwer, zwischen zwei gleichwertigen Alternativen die richtige auszuwählen, auch Taufliegen haben damit Probleme. Mit welchem einfachen Experiment man Drosophilas Entscheidungsfindung beobachten kann, erklärt Björn Brembs.

Johannes Buridan (auch Jean Buridan, ca. 1300-1358) wurde mit einem Esel berühmt, den er gar nicht hatte. Denn schon bei Aristoteles und Dante findet sich die Fabel vom Esel, der zwischen zwei Heuhaufen verhungert, weil er sich nicht entscheiden kann, von welchem er denn zuerst fressen sollte. Offensichtlich schrieben weniger gut informierte Zeitgenossen dem Philosophen Buridan das Gleichnis zu, das seitdem mit „Buridans Esel“ betitelt wird.

Entscheidungsfindung ist auch ein heißes Thema in den Neurowissenschaften. Nun ist der Esel vermutlich nicht das besten Modellsystem für die moderne Verhaltensbiologie, schon gar nicht, wenn der Tod des Versuchstieres das Ergebnis des Experiments kennzeichnet.

Mit gestutzten Flügeln

Und dennoch gibt es schon seit über 25 Jahren ein Buridan Paradigma. Allerdings für die Taufliege Drosophila. Bei dem entsprechenden Experiment laufen die Fliegen (mit gestutzten Flügeln sonst würden sie davon fliegen) auf einer runden Plattform, die von einem Wassergraben umgeben ist. Diese Plattform mitsamt Wassergraben steht in einem Milchglas-Zylinder der durch mehrere, runde Neonleuchten von außen hell erleuchtet wird. Sich gegenüber stehend sind zwei vertikale, schwarze Streifen angebracht, die über die gesamte Höhe des Zylinders reichen. In dieser grellen Umgebung versuchen Fliegen stets sich den schwarzen Balken anzunähern.

Auch in diesem Experiment läuft die Fliege zunächst auf einen der beiden Balken zu. Auf dem Weg dorthin hält sie jedoch der Wassergraben auf, den die Fliegen vermeiden. Da dieser Balken unerreichbar ist, entscheidet sich die Fliege um und läuft stattdessen auf den zweiten Balken zu, doch auch dort kommt die Fliege dem Balken nicht näher als beim ersten Versuch am anderen Ende der Plattform. Also dreht sie wieder um und versucht erneut den ersten Balken zu erreichen. Dort angekommen spielt sich wiederum das gleiche Spiel ab und so fort. In Anlehnung an Buridans Esel nennen Neurobiologen dieses Experiment „Buridan Paradigma“.

Zuerst 1982 beschrieben, war dieses Experiment vor allem dazu gedacht, etwas über das optische System der Fliegen zu lernen und herauszufinden wie sie dieses zur Kurskontrolle verwenden. In den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war das Tübinger Max-Planck Institut für Biologische Kybernetik das weltweite Zentrum für die Untersuchung von Insektengehirnen. Der Grundgedanke damals war, die Regelkreise und Prinzipien herauszufinden mit denen in den kleinen Gehirnen von Insekten visuelle Informationen zu Steuerbefehlen umgewandelt werden. Diese Erkentnisse wollte man dann entsprechend skalieren, um das Gehirn des Menschen leichter verstehen zu können.


Hightech Buridan

Bis heute verwenden Neurobiologen das Buridan Experiment. Zuletzt hat die Gruppe um Roland Strauss in Mainz eine Studie zum Arbeitsgedächtnis der Fliege im Fachmagazin Nature publiziert (Neuser et al., (2008) 453: 1244-47). Dabei verwendeten die Mainzer nicht nur eine modernisierte Variante mit einer LED-Umwelt, in der man die Balken nach Belieben verschwinden und wieder auftauchen lassen kann. Die Gruppe nutzte auch modernste neurogenetische Methoden, um die molekularen Grundlagen des Arbeitsgedächtnisses zu erforschen und dessen Sitz im Fliegengehirn zu ergründen.

Obwohl das Buridan Experiment technisch sehr einfach ist und über 25 Jahre hinweg erfolgreich in der Forschung eingesetzt wurde, blieb es all die Jahre nur ein Nischenexperiment, das nur wenige Spezialisten einsetzten und ansonsten weitgehend unbekannt blieb. Dabei kann man mit dem Buridan Paradigma nicht nur Nature-Publikationen ergattern, sondern, viel bodenständiger, mit einem Schlag lehren und gleichzeitig Kontrollexperimente durchführen.

Das Buridan Experiment kann man auf einem kleinen, fahrbaren Tisch aufbauen und in jedem Praktikumsraum einsetzen. Die Handhabung ist so simpel, dass Studierende jeden Semesters daran die Grundprinzipien von Aufbau, Durchführung und Auswertung einfacher Verhaltensversuche erlernen können. Durch die Koordination der visuellen Reize mit der Laufaktivität der Fliegen lassen sich viele Grundparameter mutanter oder transgener Fliegen mit einem Schlag abfragen: Können die Tiere normal sehen? Stimmt die Laufgeschwindigkeit? Ist die Gesamtaktivität normal, oder sitzen sie nur faul herum oder laufen gar pausenlos zwischen den Balken hin und her? Können sie geradeaus laufen und die Balken fixieren? Durch Variation von Balkenbreite, -höhe oder -kontrast lassen sich die Experiment-Parameter über einen breiten Raum verschieben. Kurz, selbst wenn man keines der angesprochenen Systeme direkt untersucht, so werden diese doch für viele der Verhaltensleistungen gebraucht, die man sonst als Drosophila Neurobiologe untersuchen würde. Ein äußerst nützliches Experiment also für beinahe jedes Fliegenlabor mit entsprechender Ausrichtung.

Buridan für alle

Um zumindest die einfachste Variante des Buridan-Paradigmas einer breiteren Forschergemeinde zugänglich zu machen, haben wir uns entschlossen beim Bau unseres eigenen Experiments Nägel mit Köpfen zu machen: wir verwenden handelsübliche PCs mit Webcams und stellen sowohl unsere Mess-Software, als auch unsere Auswertungs-Algorithmen unter einer Open Source Lizenz für jedermann zugänglich ins Netz (http://sourceforge.net/projects/buridan).

Die ganze Programmierung macht ein Student der Bioinformatik, Lutz Reiter, der auch bereits anfängt, erste eigene Experimente mit seiner Software zu schreiben und auszuwerten. Momentan haben wir eine Version des Mess-Programms dort abgelegt, die bereits die Fliegen sehr gut erkennt und die Koordinaten mit den Meta-Daten (Fliegenstamm, Experiment, Dauer, Datum, Uhrzeit, Kommentare, etc.) als Textdateien abspeichert. Wir haben auch bereits eine erste Version des Auswertungs-Programms hochgeladen, mit der diverse Parameter des Verhaltens graphisch dargestellt werden können. Für die Pläne suchen wir noch jemanden, der die handgezeichneten und eingescannten Pläne in ein gängiges CAD Format umsetzen kann. Sobald wir die schlimmsten Fehler in den Programmen ausgebügelt haben und alles soweit fertig ist, dass wir anfangen können wirkliche Experimente mit Buridans Paradigma zu starten, wollen wir auch ein Video für das Journal of Visualized Experiments (JoVE, www.jove.com) publizieren. Dann kann jeder Forscher sehen, wie einfach und doch effektiv Verhaltensexperimente mit Drosophila sein können.

Buridans Experiment

Ein Milchglaszylinder, eine Plattform mit Wassergraben, ein paar Neonlampen und zwei vertikale schwarze Streifen. Mehr braucht man nicht für das Buridan Experiment.



Letzte Änderungen: 05.06.2010