Editorial

Fluoreszierende Mathematik

FITC-markierte Antikörper

Hubert Rehm


Fluoreszenz-Ballast?

Fluoreszenzmarkierte Antikörper liefern zusammen mit anderen Zell-Farbstoffen spektakuläre Bilder. Aber wieviel Fluoreszenz-Ballast verträgt ein Antikörper, ohne seine Funktion zu verlieren?

Antikörper sind ziemlich geduldig. Klaglos ertragen sie es, wenn sie wie Christbäume mit Fluoreszenz-Farbstoffen geschmückt werden. Aber auch bei Antikörpern ist ab einem bestimmten Punkt das Maß für die Fluoreszenzmarkierung voll.

Man wundert sich schon: die Basis und Details selbst grundlegender viel- und langbenutzter Techniken liegen oft im Dunkeln. Das gilt beispielsweise für den Lowry Protein Assay, bei dem es selbst nach 60 Jahren Anwendung noch unerforschte Ecken gibt (LJ 7/8 2008, S. 38), und es gilt auch für die in ELISAs eingesetzten markierten Antikörper. Das behaupten jedenfalls Shaleen Vira et al. vom NIH in Bethesda, USA. Sie haben untersucht, wie sich das Ausmaß der Derivatisierung eines Antikörpers mit einem Fluoreszenz-Farbstoff auf die Funktionalität des Antikörpers, das heißt dessen Bindung an das Antigen, auswirkt.

Die Herstellung fluoreszierender Antikörper ist Anfang der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts von Albert Hewett Coons (1912-1978) entwickelt worden und damit noch älter als der Lowry-Assay. Erstaunlicherweise war Coons nicht Chemiker, wie man vermuten sollte, sondern Mediziner an der Harvard Medical School. Die Idee, Antikörper zu markieren, kam dem Amerikaner freilich in Berlin:

„At the end of my internship I had a six months’ gap before my next appointment as an Assistant Resident and I was lucky enough to spend them in Berlin. This was the summer of 1939, a period of great international excitement, just before the outbreak of the war. I did not go there as a student but as a tourist. However, I had an entrée into the pathological institute at the Charité Krankenhaus where a friend, Kurt Apitz, was the Oberartzt. I spent my mornings watching autopsies, and my afternoons wandering around talking to people in cafés and trying to improve my halting German. I also had many talks with Apitz, who was an exceptional young pathologist interested in leukemia and the Schwartzman reaction. In strange cities, visitors have many hours alone. I found myself walking in the streets or sitting in my room reading or brooding. One afternoon I was thinking about rheumatic fever and about the Aschoff nodule, the microscopic lesion characteristic of it. It was at that time and I think probably in many circles still is, thought to be the result of a local hypersensitivity reaction involving components of the group A hemolytic streptococcus and circulating antibodies or hypersensitive cells. It struck me that this theory had never been tested and indeed could not be tested without the demonstration of antibody or antigen, preferably both, in the local lesions. I considered that it might be easier to find the antigen than the antibody, for a start anyway, and that what was required was a visible microprecipitate. The notion of labelling an antibody molecule with a visible label was perfectly obvious in such a context. However when I tried this notion on my friend, Apitz, he was not enthusiastic. I think he thought it was not feasible and indeed, in the terms in which I initially thought of it, as a coloured molecule, it wasn’t.”

Ja, damals gehörte die Berliner Charité noch zur Speerspitze der medizinischen Forschung. Und heute? Heute regnet's durch die Decken und die Forschung soll auch nicht wirklich toll sein.­ Tempi passati...­


Fiesers fieses Lehrbuch

Ganz ohne Chemie ging es bei Coons dann doch nicht: Er wurde unterstützt von dem organischen Chemiker Louis Fieser (1899-1977), dem Erfinder des Napalms. Ein Student Fiesers, Ernst Berliner (!), synthetisierte für Coons das Fluorescein Isothiocyanat (FITC). Dem Schreiber dieser Zeilen ist Louis Fieser freilich in unguter Erinnerung. Fieser verfasste ein sehr dickes Chemie-Lehrbuch, das sich für den Studenten Rehm als ungemein wertlos herausstellte.

Seit Coons erster Publikation in Sachen fluoreszierende Antikörper 1942, hat also die offensichtliche Frage, wie viele FITC Moleküle man an einen Antikörper hängen kann, ohne dass dieser seinen Geist aufgibt, auf Vira et al. gewartet. Diese haben ihre Erkenntnisse in einem Artikel in Analytical Biochemistry beschrieben (online erschienen am 12. April 2010) unter dem Titel „Fluorescent-labeled antibodies: Balancing functionality and degree of labeling”.

Das Abstract beginnt mit der Feststellung: „A critical assumption in using labeled antibodies is that the conjugation reaction has no deleterious effects on antibody avidity.” Das ist falsch, kein ernst zu nehmender Proteinbiochemiker nimmt an, dass die Derivatisierung eines Proteins keine Auswirkung auf dessen Funktion hat, richtig ist jedoch, dass viele dies hoffen – weil ihnen oft nichts anderes übrig bleibt. Vira et al. präsentieren eine Methode, die den Funktionsverlust nach einer Derivatisierung quantitativ erfasst.

Dazu setzten sie einen monoklonalen Antikörper gegen Hämagglutinin in verschiedenen molaren Verhältnissen mit Fluorescein Isothiocyanat (FITC) um. FITC reagiert über seine Isothiocyanatgruppe mit den primären Aminresten eines Proteins, also etwa mit dem Aminoterminus und Lysinresten. Je mehr Lysinreste ein Antikörper besitzt, desto höher die Zahl der Fluorescein-Reste, die an ihn gekoppelt werden können. Je mehr Fluorescein-Reste der Antikörper besitzt, desto höher das Signal, das er theoretisch abgeben kann, desto höher aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass seine spezifische Bindungsfähigkeit Schaden nahm.

Zudem muss der Quench-Effekt berücksichtigt werden. Er bewirkt, dass zum Beispiel fünffach markierte Antikörper, auf denen die FITC-Reste nahe beieinander liegen, bei gleicher Bindungsfähigkeit ein kleineres Signal geben können als dreifach markierte, bei denen die FITC-Reste weit auseinander liegen. Schließlich entsteht bei der Reaktion einer definierten Konzentration eines Antikörpers mit einer definierten Konzentration FITC keine einheitlich derivatisierte Antikörperpopulation. Nach der Reaktion schwimmen in der Lösung vielmehr alle möglichen Zwischenstufen, von underivatisierten bis zu hochderivatisierten Antikörpern. Um genaue Aussagen über eine Derivatisierungsstufe zu erhalten, müsste man die einzelnen Derivatisierungsstufen nach der Reaktion trennen. Diese Mühe haben sich Vira et al. nicht gemacht. Sie glauben, mit der Mathematik zu brauchbaren Aussagen zu kommen.

Binde-Formel

Die Bindung der verschiedenen Antikörperderivate maßen Vira et al. mit einem „kinetischen ELISA“. Mikrotiterplatten wurden mit viralem Hämagglutinin beschichtet und mit BSA geblockt. Danach wurde für eine Stunde mit Verdünnungen von markiertem und unmarkiertem Fc125-Antikörper inkubiert. Auf die gebundenen Fc125-Antikörper setzten Vira et al. einen mit alkalischer Phosphatase markierten Detektions-Antikörper auf. Schließlich wurde Substrat zugegeben, in Intervallen von einer Minute dessen Umsatz bei OD405 gemessen und die (lineare) Reaktionsgeschwindigkeit berechnet. Zu jeder Fc125-Antikörper-Verdünnung gibt es also eine OD405-Umsatzrate.

Diese Werte wurden in folgende Formel eingepasst:

OD405-Umsatzrate = a x Rmax / (1+K1/2/(β x [Ab]))

Für unmodifizierte Antikörper werden a und b gleich 1 gesetzt. Dann lassen sich mit mehreren Verdünnungen von unmarkiertem Fc125-Antikörper die Werte Rmax und K1/2 bestimmen (zum Beispiel mit SigmaPlot, Version 11.0). Für jeden mit einer bestimmten Konzentration FITC markierten Fc125-Antikörper können Sie nun auch die Werte α und β ermitteln. Der Wert α, so Vira et al., messe die Abnahme der Bindungsfähigkeit mit der FITC-Derivatisierung, der Wert β die Antikörper Inaktivierung.

Vira et al. bestimmten die Werte für drei FITC-Konzentrationen und kommen zu dem Schluss, dass die Antikörper Inaktivierung (β) der dominierende Prozess sei, die Abnahme der Bindungsfähigkeit (α) sei sekundär. Dieser Befund könnte freilich für verschiedene monoklonale Antikörper verschieden ausfallen.

Mit Hilfe der Poisson-Statistik gehen Vira et al. die Frage nach der optimalen Derivatisierung an, das heißt sie stellen die Frage: Welches Verhältnis von FITC-Konzentration zu Fc125-Antikörper-Konzentration in der Reaktionslösung gibt den höchsten Substitutionsgrad bei erhaltener Bindungsfähigkeit? Sie nehmen an, dass die Verteilung des FITC auf die Antikörper, das heißt die relativen Anteile von unmarkiertem Antikörper, Antikörper mit einem FITC-Rest, mit zwei FITC-Resten und so weiter einer Poisson-Verteilung folgt. Daraus errechnen sie die Anteile an unmarkiertem Antikörper bei jeder relativen FITC-Konzentration. Diese nehme, so die Autoren, exponentiell mit der relativen FITC-Konzentration λ ab (nach e). Der Parameter β dagegen, der den Anteil der funktionalen (bindenden) Fraktion wiederspiegelt, nimmt linear mit der relativen FITC-Konzentration ab. Die Differenz zwischen den beiden Kurven gibt eine dritte Kurve deren Scheitelpunkt, so Vira et al., das gesuchte Optimum sei.

Zuviel Mathematik? Es ist nicht so schlimm, wie es sich hier liest. Für die Rechnerei und die Entwicklung einer einzigen 96er Mikrotiterplatte erhalten Sie den optimal markierten Antikörper – wenn auch ohne die Berücksichtigung von Quench-Effekten. Wie zuverlässig ist die Rechnerei?


Mehr Experimente nötig

Man hätte sich gewünscht, dass Vira et al. ihre errechneten Kurven experimentell bestätigt hätten, so die exponentielle Abnahme der unmarkierten Antikörper mit der relativen FITC-Konzentration. Das hätte nur eine isoelektrische Fokussierung mit anschließendem Scan des Gels benötigt. Auch hätte es nicht geschadet, die Werte für mehrere Antikörper zu bestimmen statt nur für einen einzigen.

Bei allen Meriten von Vira et al.: Der Autor zweifelt, dass ihr Manuskript bei Analytical Biochemistry angenommen worden wäre, hätte es Albert Coons referiert.




Letzte Änderungen: 10.08.2010