Editorial

Nano-Leuchtballons

Fluoreszenz-Immunoliposomen

Heinz Langhals


Immunoliposomen

Immunoliposomen unter dem Fluoreszenmikroskop. Die stark leuchtenden Bereiche entstehen durch die Aufnahme des Fluoreszenzfarbstoffs in die Zellen.

Wenn man Antikörper mit zu viel Fluoreszenz-Ballast belädt, verändern sie ihre Eigenschaften. Wie man trotzdem 500 Chromophore auf einem Antikörper unterbringen kann ohne ihn zu behindern, erklärt ein Spezialist für Fluoreszenzfarbstoffe.

Antiköper sind unverzichtbare Werkzeuge in der biochemischen Analytik und medizinischen Diagnostik; aber so vielseitig wie sie auch sein mögen, ganz ohne Makel sind auch Antikörper nicht. So ist man mit ihnen an wässrige Phasen gebunden, der gewählte Temperaturbereich ist eine Gratwanderung zwischen Denaturierung und Reaktionsträgheit, und allgegenwärtige Proteasen nehmen auch Antikörper ins Visier und können ganze Tests unbrauchbar machen.

Das Hauptproblem ist jedoch die schwierige Detektion einzelner Antikörper. Bei den etablierten Tests verknüpft man die Antikörper häufig mit Enzymen, zum Beispiel Meerrettichperoxidase (HPR) und lokalisiert sie nachfolgend über eine Redox-Farbreaktion. Allerdings ist die Detektion der Antikörper dadurch nur indirekt, weil die Farbstoffe keinerlei Verbindung zu den Antikörpern haben.

Zu viel Ballast

Um die Nachweisempfindlichkeit zu erhöhen, verknüpfen Analytiker die Antikörper mit fluoreszierenden Molekülen (Tracern); bekanntestes Beispiel in der Biochemie ist das Grün-Flureszierende-Protein (GFP). Wegen der hohen Molekulargewichte von Antikörpern benötigt man für die visuelle Detektion aber verhältnismäßig viel Material und nur mit erheblichem Messaufwand gelingt es dann, einzelne Antikörper und deren Bindungsstellen zu lokalisieren. Will man einzelne Antikörper visuell lokalisieren, muss man das Fluoreszenzsignal verstärken und die Antikörper statt mit nur einem Fluorophor mit vielen verbinden. Ein klassisches Beispiel ist das Paar Biotin/Streptavidin, über das sich eine Vielzahl an Chromophoren einbauen lässt (King-Keung Sin et al. Anal. Bioanal. Chem. 2006, 384, 638–644).

Durch die direkte Verknüpfung mit Chromophoren belädt man die Antikörper aber mit immer mehr Ballast, bis sie schließlich ihre Eigenschaften ändern und das Anhängsel auch andere Eigenschaften dominiert, etwa die Tendenz zur Aggregation und die dadurch bedingte Konzentrations-Fluoreszenzlöschung (bei höheren Konzentrationen an Fluorophoren tritt häufig im Vergleich zu verdünnteren Systemen eine Abnahme der Fluoreszenz auf).

Besser wäre es, vom Antikörper aus eine einzelne flexible Verbindung zu einer stark fluoreszierenden Einheit herzustellen, so dass der Antikörper wie an einem Seil mit dieser verbunden ist. Die Verbindungsstelle sollte die Bindungs-Eigenschaften des Antikörpers möglichst nicht beeinflussen. Bringt man viele Chromophore in einem solchen „Leuchtballon“ unter, erreicht dieser Nanometer-Dimensionen. Wir haben bereits Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts, als noch niemand etwas mit den Begriffen Nanotechnologie oder Einzelmolekülspektroskopie anfangen konnte, an der LMU München (Arbeitsgruppe Heinz Langhals) ein System entwickelt, das diese Vorgaben erfüllt (H. Schott et al., Biochim. Biophys. Acta 1992, 1110, 151-157; R. A. Schwendener et al., Biochim. Biophys. Acta 1990, 1026, 69-79).


Liposomen erste Wahl

Das Material dieses Nano-Leuchtballons musste mit Wasser und dem Antikörper verträglich sein und die Aufnahme von vielen Chromophoren gestatten, ohne eine Konzentrationslöschung auszulösen. Liposomen erschienen uns hierfür als besonders gut geeignet, weil ihre Lipid-Doppelschicht der Zellmembran ähnelt und ihre Größe zu anderen analytischen Randbedingungen passte.

Zunächst dachten wir daran, die Vakuole der Liposomen mit Fluoreszenzfarbstoffen zu füllen. Dies hat aber zwei Nachteile: Erstens schlüpfen kleine Moleküle durch die Lipid-Doppelschicht der Liposomen, so dass diese langsam „ausbluten“ und stabile analytische Titer nicht möglich sind. Zweitens ist die Vakuole durch die Fluoreszenzfarbstoffe blockiert, so dass man keine weiteren Substanzen, zum Beispiel Wirkstoffe, mit dem Antikörper transportieren kann. Wir entschlossen uns deshalb, die Lipid-Doppelschicht mit Fluo­reszenfarbstoffen zu markieren, die wir über unverzweigte aliphatische Reste passgenau in der Doppelschicht verankerten.

Bei der Detektion wird der Fluoreszenzfarbstoff sehr hohen Anregungslicht-Dosen ausgesetzt, so dass man außergewöhnlich stabile Chromophore benötigt.

Wir benutzten deshalb Perylenfarbstoffe (1), die zu den lichtechtesten Fluoreszenzfarbstoffen überhaupt gehören, und verknüpften deren Stickstoffatome mit langkettigen sekundären-Alkylresten die der Struktur der Lipid-Doppelschicht nachempfunden sind (dieses Substitu­tionsmuster erhöht zudem die Löslichkeit der ansonsten sehr schwerlöslichen Perylenfarbstoffe). Prinzipiell kann man die beiden sec-n-Alkylrest-Zweige gleich- oder unterschiedlich lang wählen; in letzterem Fall entstehen jedoch stereogene Zentren und damit schwer zu trennende Diastereo­merenpaare.

Perylenfarbstoffe


Struktur der in die Lipid-Doppelschicht der Liposomen verankerten Perylenfarbstoffe.



Die so konzipierten Farbstoffe sind stark lipophil und damit für die Einlagerung in die Lipid-Doppelschicht geeignet, sie können aber als Fremdstrukturen die Lipid-Doppelschicht auch destabilisieren. Die Farbstoffe sollten zudem besonders rein sein, weil Fremdsubstanzen die Ordnung in der Lipid-Doppelschicht ebenfalls stören können. Die optimale Kettenlänge ermittelten wir durch ein Screening. Seitenketten mit jeweils 13 C-Atomen (Farbstoff 1a) erwiesen sich als sehr brauchbar; Farbstoff 1b mit 17 C-Atomen erhöhte die Stabilität der dotierten Liposomen deutlich, so dass wir diese mehr als ein Jahr im Kühlschrank aufbewahren konnten. Es lassen sich etwa 500 Farbstoff-Moleküle in einem Liposom unterbringen, ohne dass dies zu einer Fluoreszenzlöschung (Quenchen) führt. Messungen zur zeitlichen Entwicklung der Fluoreszenzdepolarisation ergaben, dass die Chromophore nicht starr in die Lipid-Doppelschicht eingebaut sind, sondern wie an vier Gummibändern aufgehängt und in begrenztem Maße beweglich sind.

Kopplungsmanöver

Im nächsten Schritt verknüpften wir die Fluoreszenzliposomen mit den Antikörpern, wofür wir diverse Strategien entwickelten. Als besonders effizient erwies sich die Aktivierung der Antikörper mit SPDP (N-Succinimidyl-3-(2-pyridyl)thio­propionat) und der Einbau von EMP-PL (N6-(6-maleimidocaproyl-N2-palmitoyl-L-lysinmethylester) in die Liposomen. Durch die Reaktion des am Antikörper freigesetzten Thiols mit der Doppelbindung des Maleinimids erzielten wir eine Kupplungsausbeute von 40 bis 60 %. Konkret gingen wir dabei so vor: Wir stellten zunächst aus Soja-Lecithin, Colesterol und a-Tocopherol unter Zusatz des Farbstoffs S-17 (1b) und des Verknüpfungsreagenzes EMPL-PL Liposomen her, die wir mit den aktivierten Antikörpern umsetzten; nicht verknüpftes Material trennten wir ab. Ein Liposom war im Durchschnitt mit einem, in seltenen Fällen mit zwei Antikörpern verknüpft, wobei der Liposom-Teil der Immunoliposomen etwa 80 Nanometer groß war (diese Immunoliposomen sind im Kühlschrank länger als ein Jahr stabil).

Leuchtende Mini-Sterne

Durch die Inkorporation von bis zu 500 lichtechten und stark fluoreszierenden Farbstoffmolekülen in ein Immunoliposom konnten wir diese einzeln wie leuchtende Sterne unter einem einfachen Fluoreszenzmikroskop beobachten und ihren Weg verfolgen. In der Abbildung auf Seite 92 sind Immunoliposomen als leuchtende Punkte zu sehen; die hellen Punkthaufen sind die Bindungsstellen auf der Zelloberfläche. Die Vitalität der Zellen wird dadurch nicht beeinträchtigt; bei längerer Inkubation beginnen die Zellen die gebundenen Liposomen jedoch zu verdauen. Die von den Zellen aufgenommene Farbstoffmoleküle verteilen sich in deren Lipid-Material und sind als große, leuchtende Punkte zu sehen.

Die hier vorgestellen Immunoliposomen sind universell einsetzbar. Man könnte zum Beispiel statt kompletter Antikörper auch Fab-Antikörperfragmente oder auch die ausgesprochen einfach gebauten Kamel-Antikörper einsetzen. Zudem ist die Markierung mit Immunoliposomen nicht auf Antikörper begrenzt, sondern lässt sich auch auf andere biologisch relevante Substrate, etwa Viren, ausdehnen. Auch die Liposomen, als spezielle Detergens-Struktur in Wasser, kann man gegen andere Strukturen, etwa mit Fluoreszenzfarbstoffen dotierte Nano-Micellen, austauschen (H. Langhals, New. J. Chem. 2008, 32, 21-23; H. Langhals & T. Pust, Z. Naturforsch. 2010, 65b, 291-294).




Letzte Änderungen: 20.10.2010