Editorial

Wer wird denn weinen,...

von Cornel Mülhardt


,...wenn zwei sich finden und vereinen - Hauptsache, sie geben eine Bande.


Transiente Ganzkörper-Hybridisierung
zweier Humangenome

Es gibt so ein paar grundlegende Dinge, ohne die wäre unser Geschäft nur schwer vorstellbar. Restriktionsenzyme beispielsweise. Können Sie sich Klonieren ohne Eco und Konsorten vorstellen? Bei genauerer Überlegung scheint mir, es wäre machbar - aber, bei Gott, welch’ Pein! Die PCR ist ein weiteres solches Beispiel. Eigentlich gar nicht so grundlegend, aber mittlerweile derartig weit verbreitet, dass man sich nackt ohne sie vorkommt. Aber, Hand aufs Herz, würden Sie die Hybridisierung zu den grundlegenden Techniken zählen? Dem Begriff haftet irgendwie der Staub der grauen Vorzeit an. Vor meinem geistigen Auge erscheinen unweigerlich unzählige Stunden in schlecht belüfteten Strahlenschutzlabors und trübe Autoradiographien, denen man nach tagelanger Exposition einen Schatten zu entreißen versucht. Vielen dürfte die Szene nur zu vertraut sein:

"Schau dir mal diesen Film an. Siehst du eine Bande?"
"Hm. Wo?"
"Da. Also, ich seh da einen ganz schwachen Schatten. Guck mal, wenn du den Film so hältst..." (hält den Röntgenfilm gegen den trüben Novemberhimmel)
"Hm. Naja. Also da oben seh ich was!"
"...das ist ein Schmutz, das ist uninteressant, aber da, hier..."
"Na ja, also wenn du mich fragst, ich seh da nichts."
"Also, ich finde schon..." (verlässt das Labor auf der Suche nach einem Kollegen, der ihm/ihr den Gefallen tut, an der gewünschten Stelle eine Bande zu sehen.)


Theater nach E. T. A. Hoffmann

Wenn ich’s mir recht überlege, müsste sich daraus ein Theaterstück schneidern lassen, Arbeitstitel Die Suche nach dem verlorenen Schatten” - frei nach E. T. A. Hoffmann. Erste Szene: Doktorvater und -sohn/-tochter sitzen zusammen, letzterer lässt sich das Projekt erklären, und was es zu finden gilt. Zweite Szene: Die Vorarbeiten verschlingen Monate wertvoller Zeit, der Doktorvater verliert langsam das Interesse. Dritte Szene: Endlich das entscheidende Vorexperiment. ...Heute muss die Bande werden, frisch Gesellen, seid zur Hand." Ausgang siehe oben. Vierte, fünfte und sechste Szene: Mehrere Wochen lang wird die Hybridisierung wiederholt und optimiert, anschließend einige andere Experimente entworfen, die das Ergebnis stützen sollen. So richtig tun sie’s jedoch nicht. Am Ende verliert der Doktorand die Lust, der Doktorvater hat sich schon längst vielversprechenderen Mitarbeitern zugewandt, trotzdem wird aus den vorhandenen Daten irgendwie ein drittklassiges Paper gezimmert und die Doktorarbeit abgeschlossen. Am Ende stehen eine wissenschaftliche Erkenntnis, die die Welt nicht braucht, und ein frischgebackener Doktor, der an jener verzweifelt, während seine Eltern MÄCHTIG stolz auf ihn sind. Naja, ich schweife ab.


Der gute alte Ed

Hybridisierung, das ist nicht nur der gute alte Southern Blot. A propos: Ich weiß nicht, ob man das heute noch lernt, aber den Herrn Southern, den hat’s tatsächlich gegeben. 1975 hatte der alte Ed die Welt mit einer Methode beglückt, die es erlaubte, in einem wilden Gemisch von DNA-Fragmenten per Hybridisierung spezifisch ein ganz bestimmtes nachzuweisen. Den alten Ed gibt’s immer noch, er publiziert bis heute munter vor sich hin, und raten Sie mal, mit welchem Thema er sich beschäftigt?! Einen Herrn Northern gibt’s übrigens nicht, genau so wenig wie einen Herrn Western (obwohl sich unzählige Damen und Herren mit diesen Namen in der Medline tummeln). Die entsprechenden Blots verdanken ihre Namen der bekannten guten Laune und Kreativität der Wissenschaftler.

Hybridisierungen kann man auch an Gewebedünnschnitten oder Chromosomen oder ganzen Organismen durchführen (beliebt, wenn auch unwissenschaftlich, ist dabei die im Bild dargestellte Technik). Ulkigerweise spricht man in all diesen Fällen von in situ-Hybridisierung, das heißt so viel wie Hybridisierung vor Ort" und bedeutet offensichtlich alles und nichts. Inwiefern die Hybridisierung an ein sorgsam auf einen Objektträger geklatschtes Chromosom mehr "in situ” ist als an eine genauso sorgsam an eine Membran geklebte DNA sei dahingestellt.

Aber hätten Sie bei Hybridisierung auch an PCR gedacht? Ohne spezifische Hybridisierung der Primer wäre an eine Amplifikation gar nicht zu denken! So ein Dummi, werden Sie jetzt sagen, das heißt doch Annealing. Auch richtig. Aber wussten Sie, was annealing" eigentlich bedeutet? Vermutlich so wenig wie ich. Annealing" heißt im Englischen ein Prozess, der die Molekülanordnung in Materialien wie Glas oder Metallen verändert, und damit deren Eigenschaften verbessert: das Material wird geschmeidiger und lässt sich leichter bearbeiten. Interessant ist der Weg, auf dem dies bewerkstelligt wird: Man erhitzt das Material und kühlt es anschließend langsam und gleichförmig ab. Zeit und Temperatur bestimmen die gewünschten Eigenschaften. Na, kommt Ihnen das nicht bekannt vor?


Fröhlicher "Trial and Error"

Auch am Anfang jeder heutigen Sequenzierung steht eine Hybridisierung. Und selbst brandneue Methoden wie die DNA-Microarrays sind letztendlich nichts anderes als Hybridisierungen im großen Stil und kleinen Maßstab. Die Liste der Methoden, die ohne Hybridisierungen nicht funktionieren würden, ist noch viel länger, aber ich denke, diese Beispiele reichen aus, um ein paar Artikel zu diesem Thema zu rechtfertigen.

Ich habe immer versucht, meine Studenten davon zu überzeugen, wie wichtig es ist, genau zu verstehen, was sich in unseren Tubes abspielt, wenn wir Lösung A und Enzym B zusammenpipettieren, erhitzen, herumschleudern und auf jede erdenkliche Weise quälen. Wie unangenehm, zugeben zu müssen, dass ausgerechnet der Prozess der Hybridisierung sich dem pingeligen analytischen Verständnis entzieht. Dabei sind die Voraussetzungen denkbar günstig. Jede DNA ist aus gerade mal vier Nukleotiden zusammengeschustert, die wie an einer Perlenschnur aufgereiht sind, jedes Nukleotid hat genau einen passenden Partner, es gibt nur zwei mögliche Paarungen - die Zahl der Freiheitsgrade ist folglich denkbar gering. Um so erstaunlicher, dass eine präzise Vorhersage, ob eine Hybridisierung funktionieren wird oder nicht, bis heute nicht möglich ist. Das Prinzip des Trial-and-Error feiert fröhliche Urständ und am dümmsten sehen häufig diejenigen aus, die den paar Formeln und Programmen glauben, die uns zur Verfügung stehen. Ich erkläre mich: Für Southern Blot Hybridisierungen existiert eine steinalte Gleichung (jaja, von 1962), mit der man die Schmelztemperatur zweier DNA-Stränge ermitteln kann, unter Berücksichtigung der Salzkonzentration, des GC-Gehalts, der Formamidkonzentration und der Länge des DNA-Fragments: das berühmte Tm=81.55°C+16.6(log10[Na+]+... (findet sich in jedem Methodenbuch). Ich habe meinen Lebtag keinen gesehen, der damit gerechnet hätte!


Alles erlaubt, solange eine Bande zustande kommt

Bei uns wurden alle Hybridisierungen bei 65°C durchgeführt, der Rest wurde übers Waschen hingebogen - irgendwo zwischen fünf Minuten und zwei Stunden, je nach Bedarf mit Hoch- oder Niedrigsalzlösungen, es war alles erlaubt, solange dabei eine Bande zustande kam. Generationen von Doktorarbeiten wurden so um beeindruckende Abbildungen bereichert. Schade eigentlich, vielleicht hätten Biologen mehr Ahnung von Mathematik, wenn das Sich-durchmogeln weniger erfolgreich wäre. Vielleicht wäre dann die theoretische Biologie schon viel weiter und wir könnten Mäuse am Computer simulieren, statt sie mit dem Ultra-Turrax zu zerkleinern. Aber ich befinde mich schon wieder auf Abwegen. Nächstes Mal mehr zum Generalthema Hybridisierung. Indes: Beschwerden und Anregungen wie immer an cornel. muelhardt@web.de




Letzte Änderungen: 08.09.2004