Editorial

Plasmablitze in der Tüte

Oberflächenmodifikation mit kaltem Plasma

Thorsten Lieke


Manchmal ist es nicht das dümmste, wenn Lebenswissenschaftler bei den Chemikern um die (Instituts) Ecke nach Rat fragen.

Anfang November veröffentliche die Fraunhofer-Gesellschaft eine Pressemitteilung, in der sie mitteilte, dass es Forschern am Fraunhofer-Institut für Schicht-und Oberflächentechnik (IST) in Braunschweig gelungen sei, Plasma in Tüten herzustellen. Das rief auch Laborjournal auf den Plan und wenig später saß der LJ-Reporter in einer Runde mit Michael Thomas (Abteilungleiter Atmosphärendruckverfahren), Kristina Lachmann, (Projektleiterin Atmosphärendruck-Plasmaverfahren) sowie der Pressesprecherin des IST, Simone Kondruweit, und ließ sich das neu entwickelte Plasmaverfahren erklären.

Auf die unbedarfte Frage des LJ-Reporters, was man sich unter einem Plasma vorstellen muss, hebt der gelernte Chemiker Michael Thomas lässig den Arm und deutet auf die Leuchtstoffröhre an der Decke. In dieser findet ein ähnlicher Prozess statt, wie in der klassischen mit dem Edelgas Neon gefüllten Neonröhre. Um eine Neonröhre zu starten, wird an beiden Enden eine sehr hohe Spannung anlegt. Erreicht diese einen kritischen Wert, schießen Elektronen aus dem Metall der Elektroden heraus und fliegen durch die Röhre. Wie die Kugeln eines Flipperautomaten prallen sie dabei gegen die Neonatome und befördern deren Elektronen auf ein höheres Energieniveau oder schleudern sie ganz aus ihrer Bahn.

Vierter Aggregatzustand

Diesen Zustand aus Neutralteilchen, Ionen, Elektronen und Radikalen, bezeichnet man als Plasma. Da das ionisierte Gas ganz eigene Charakteristika hat, spricht man bei einem Plasma auch vom vierten Aggregatzustand. Wenn die Edelgas-Ionen umherschwirrende Elektronen einfangen, wird sehr viel Energie frei und es entstehen sehr hohe Temperaturen. Dies lässt sich verhindern, wenn man die Energiemenge, die das Plasma induziert so einstellt, dass zwar Edelgas-Ionen entstehen, die Atome aber nicht in Schwingung geraten. Das Plasma erwärmt sich dann nicht wesentlich über Raumtemperatur.

Durch seinen hohen Energiegehalt ist Plasma in der Lage, Bindungen zu spalten und kann selbst die äußerst stabile Dreifachbindung von Stickstoffmolekülen auseinanderreißen.

Plasmen werden deshalb häufig in technischen Prozessen benutzt, etwa um die Oberfläche von PET-Flaschen gleichzeitig zu sterilisieren und zu versiegeln. Dazu setzt man dem zu ionisierenden Edelgas Silane und Sauerstoff (im gasförmigen Zustand) zu und überführt die Mischung in ein Plasma. Die entstehenden Siliziumoxidmoleküle sowie deren Spaltprodukte schlagen sich auf der PET-Oberfläche nieder, „dichten“ diese dadurch ab und verhindern so den Gasaustausch. Der Nachteil dieses Verfahrens ist allerdings, dass das Plasma im Vakuum initiiert werden muss.

Kaltes Plasma

Michael Thomas arbeitet schon seit etlichen Jahren daran, Plasmaprozesse unter Normaldruck zu optimieren. Dieses kalte Plasma kann man aufgrund des geringen Temperaturanstiegs nutzen, um temperaturempfindliche Materialien, wie Kunststoffe, zu modifizieren.

Unter Normaldruck lassen sich die Oberflächen von nahezu beliebigen geometrischen Strukturen ortsselektiv verändern. Dazu hat Thomas einen „Stempel“ mit einer Aussparung an den Rändern entwickelt, den man auf die Oberflächen aufdrückt. Dadurch entsteht ein von der Umgebung hermetisch abgeriegelter Hohlraum, in den man Gas einleiten und ionisieren kann. Hierbei wird nur die Oberfläche unter dem Stempel durch die Plasmaenergie modifiziert, während Bereiche, die dem entstandenen Plasma nicht ausgesetzt sind, ihre Eigenschaften beibehalten.

Aha-Erlebnis

Ingenieure, Chemiker und Physiker nutzen die Plasmatechnik schon lange für ihre Zwecke – an den Lebenswissenschaftlern ist sie aber offensichtlich spurlos vorbeigegangen. Als Wissenschaftler des Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), bei Thomas anfragten, und sich erkundigten wie man handelsübliche Zellkulturbeutel für Suspensionskulturen so verändern kann, dass adhärent wachsende Zellen an der Beuteloberfläche anhaften können, staunten sie nicht schlecht, als der Chemiker ihnen die Möglichkeiten der Plasmatechnik zur Oberflächenmodifikation erklärte.

Zellkulturbeutel sind recht simpel aufgebaut. Sie bestehen aus transparentem Plastik, haben meist eine rechteckige Form und verfügen über einen angeschweißten Schlauch, der als Ausfluss dient, sowie einen verschließbaren Einlass. Durch diesen gelangen Zellen, frisches Medium oder Wachstums-Zusätze in den Beutel oder können über diesen ausgetauscht werden. Das Plastik ist gasdurchlässig, sodass die Zellen in normalen Brutschränken gelagert werden können.

Trotz des vorhandenen Know-Hows, war die Idee des Braunschweiger Teams, die Beutelinnenseite mit Plasma zu ­modifizieren, technisch nicht so einfach umzusetzen. Hier war insbesondere die Erfahrung von Kristina Lachmann im Umgang mit Plasma gefragt. Dass man für die Oberflächenmodifikation ein Helium-Gasgemisch einsetzen würde war sofort klar. Und auch über die Art der Oberflächenmodifikation war sich die Gruppe rasch einig. „Dass Aminogruppen die Adhärenz von Zellen fördern, weiß man schon lange“, bemerkt Kristina Lachmann. „Herausfordernd war das Vorhaben, das Plasma nur im Beutel stattfinden zu lassen.“ „Und“, fügt Thomas hinzu, „überall im Beutel gleiche Bedingungen zu erzeugen, um eine gleichmäßige Beschichtung zu erzielen.“

Plasmaexperten
Zwei clevere und sympathische Plasmaexperten: Michael Thomas und Kristina Lachmann, die Entwickler des Braunschweiger Tütenplasmas vor der Plasmamaschine.


Um dies zu erreichen konstruierten die Tüftler am IST eigens eine Maschine. In dieser wird der Beutel so angebracht, dass seine Ober- und Unterseite auf ganzer Fläche von zwei Elektrodenplatten bedeckt sind. Eine Kanüle fährt automatisch durch den Gummipfropfen des Beutels und befüllt und entleert diesen mehrmals mit dem entsprechenden Gas, um eine gleichmäßige Verteilung und Zusammensetzung zu garantieren. Dem verwendeten Heliumgas setzen die Braunschweiger verschiedene Schichtbildner zu, etwa Diaminocyclohexan oder 3-Aminopropyl-trimethoxysilan sowie reaktive Gasgemische wie N2/H2. Damit überall im Beutel gleiche Bedingungen herrschen, wird ein Hochspannungs-Wechselfeld an die Kathoden angelegt.

Im Beutel leuchtet es violett, wenn an der Oberfläche und im Gasgemisch Radikale entstehen, die neue kovalente Bindungen eingehen und eine Molekülschicht auf der Oberfläche des Beutels bilden. Die Beschichtung soll den Zellen das Anhaften erleichtern und ihnen ermöglichen auf der Beuteloberfläche zu wachsen. „Natürlich könnte man auch Folien beschichten und dann zusammenschweißen, damit ein Beutel entsteht. Doch dann hätte man einen wesentlichen Pluspunkt der neuartigen Technik nicht erreicht: die vollständig homogene Beschichtung der Beutelinnenseite ohne dass die Sterilität der Beutel gestört wird“, hebt Michael Thomas das Novum des Verfahrens hervor. „Außerdem besteht die Gefahr, dass sich die Folien nach der Beschichtung nicht mehr zu einem Beutel verschweißen lassen.“

Patentiertes Verfahren

Inzwischen wissen die Plasmaexperten um Thomas und Lachmann sehr genau, welche Zusammensetzung das Plasma haben muss, um unterschiedlichen Zelltypen das Wachstum zu erleichtern. So koppeln sie zum Beispiel Streptavidin-Moleküle an die Oberfläche, die biotinylierte Proteine binden können, um so spezifische Interaktionen der Beuteloberfläche mit den Zellen zu beeinflussen. Beschichtet man das Beutelinnere mit Protein G, so kann man in einem weiteren Schritt Antikörper an den Beutel anheften, um gezielt einzelne Zellpopulationen isolieren zu können.

Natürlich haben sich Thomas und Lachmann das „Plasma in der Tüte“ patentieren lassen und warten auf Interessenten, die es für Beutel-Zellkulturen einsetzen wollen. Also nicht lange zögern, wenn der Zellkulturbeutel spezielle Eigenschaften haben soll, und bei den Plasmaexperten in Braunschweig um Rat fragen.


Letzte Änderungen: 27.02.2012