Editorial

Die Matrix-Mafia

3D-Zellkultur-Praxis

Nils Cordes


In LJ 3 führte Sabine Schmitz in die 3D-Zellkultur ein. Im zweiten Teil der Serie erkärt ein glühender Verfechter und ausgewiesener Experte der 3D-Kultur, wie er an die Sache herangehen würde.

Vor mehr als fünfunddreißig Jahren – ich wurde gerade eingeschult – hielten die ersten 3D-Zellkulturen Einzug in die Zellbiologie. Multizelluläre Sphäroide waren ein annehmbares Modell für solide maligne Tumore und eigneten sich besonders für Untersuchungen über Sauerstoff, Metabolismus und Nekrose. Nach schneller Verbreitung dieses neuen, genial-einfachen Ansatzes hinterfragten Forscher die Relevanz der Sphäroide für die Zell-Wirklichkeit. Runde Zellhaufen und Metabolomics okay, aber das Gewebe von Säugern enthält doch noch weitere Komponenten?

So war Mina Bisell, die Grand Dame der Erforschung von Signalwegen in der Extrazellären Matrix (EZM) vom ­Lawrence­ ­Livermore Laboratorium, eine der treibenden Kräfte der „extrazellulären Matrix-Mafia“. Untermauert durch hinreichende Beweise forderte diese die Implementierung der EZM in dreidimensionale (3D) Zellkulturmodelle.

Wofür? Für noch physiologischere Wachstumsbedingungen in vitro! Zahlreiche Studien in 3D-EZM-basierten Zellkulturmodellen zeigen, wie unterschiedlich Transkriptom, Proteom, Phosphoproteom, Zellverhalten etc. in 3D-EZM-Zellkulturen und herkömmlichen Monolayer-Zellkulturen auf artifiziellem Kulturplastik sind.

Summa summarum kann der Phänotyp von Zellen in einer ex vivo 3D-EZM-Kultur konserviert werden, und sich um bis zu 90% bei ex vivo Kultur in 2D auf Kulturplastik verändern. Dramatisch und überzeugend, oder etwa nicht? Nun stellen Sie sich verschiedene Fragen. Auf die an mich als 3D-Zellkultivierer am häufigsten gestellten möchte ich kurz eingehen.

Für wen ist die 3D-EZM-Zellkultur wichtig und relevant?

Für alle, die den Anspruch haben, das wirkliche (Zell)Leben zu erforschen. Ja, das ist eine provokante Ansage, aber für irrelevante Forschung haben wir weder Zeit noch Geld. Weitere wichtige Argumente sind wissenschaftlicher und inhaltlicher Natur. Alle Zellen in unserem Körper sind von einer Matrix umgeben. Auch Zellen, die man herkömmlicherweise in vitro in Suspension kultiviert, etwa ­Leukämiezellen­­, sind im Knochenmark und im Blut von EZM eingehüllt und wechselwirken mit dieser.

3D-Zellkultur

Vom Patienten zum Gewebe und zur Zellkultur. Immunfluoreszenz gegen Aktin-Zytoskelett und DNA (DAPI) zur Darstellung der morphologischen Ähnlichkeiten zwischen Gewebe und 3D Zellkultur.

Altes Missverständnis

Zum Thema „Tumorzellen“ möchte ich an dieser Stelle das Missverständnis des „adhäsions-unabhängigen Wachstums“ von Tumorzellen aufklären. Damit ist die Fähigkeit von Zellen gemeint, ohne Wechselwirkung mit einem adhäsiven Substrat (= EZM) zu wachsen, beziehungsweise zu überleben. Dazu nur so viel: Auch Tumorzellen jeglicher Couleur hängen von Zelladhäsionssignalen ab und benötigen diese für eine optimierte Signaltransduktion, die die Proliferation und das Überleben der Zellen reguliert. Das lässt sich sehr schön mit dem „Soft-Agar“-Assay zeigen. Bei diesem bilden die Tumorzellen innerhalb kurzer Zeit ihre eigene EZM und stimulieren durch „Outside-in“-Signale die Zelladhäsionsrezeptoren.

Welche 3D-Zellkulturtechnik ist für mich die richtige?

Gute Frage. Um diese beantworten zu können, muss ich rückfragen, in welchem Feld und mit welchen Zellen oder Gewebe Sie arbeiten und welches Ihre Forschungsfragen und -ziele sind. Die optimale Herangehensweise wäre die detaillierte Untersuchung der Matrix ihres Forschungsobjektes mittels Histologie und Massenspektrometrie, um die Matrix in vitro nachbauen zu können.

Im Labor müssen wir uns jedoch auf ein Modell beschränken, mit all seinen Abstrichen hinsichtlich Heterogenität, Mikromilieu, etc. Für den Anfang kann man ruhigen Gewissens kommerziell erhältliches EZM verwenden. Für Zellen ­epithelialen Ursprungs ist die EZM des Engelbreth-Holm-Swarm (EHS) Maussarkoms gut geeignet, die von unterschiedlichen Firmen erhältlich ist. Andere Zellen benötigen vielleicht eher eine kollagenhaltige EZM, im Gegensatz zur EHS-Matrix, die hauptsächlich Laminin, Hyaluronsäure, Kollagen Typ IV und Fibronektin enthält. Unendlich sind die Wege zur 3D-Kultur, was man auch an der Überflutung des Zellkulturmarktes mit 3D-Zellkultur-Assays sehen kann.

Alles schön und gut. Aber was hilft es, wenn diese Assays doch nur bessere und vor allem teurere Zellkulturplastik-Wachstumskonditionen darstellen? Ausschlaggebend am Ende des „Labortages“ ist nur eines: Zeigen die Zellen in der 3D-EZM-basierten Zellkultur einen Phänotyp, der dem Gewebe ähnelt, aus dem sie entstammen (oder einem anderen in vivo Modell)?

Viele Forscher haben dies in der Vergangenheit ohne eindeutige Beweise behauptet. Schauen Sie also in der Literatur genau hin, ob dies tatsächlich der Fall ist oder ob die 3D-Zellkultur nur zum „Aufpeppen“ der ­Studie­ durchgeführt wurde. Nehmen Sie sich die Zeit für eine vergleichende Charakterisierung auf Transkriptom-, Proteom- und Phosphoproteomebene! Es lohnt sich.

Monokultur- oder Mischkulturexperimente?

Beginnen würde ich mit Monokulturen und einem ausführlichen Kennenlernen des Systems. Schwierig wird‘s von ganz allein.

Wie komme ich an die entsprechenden Techniken, um mein Methodenspektrum beizubehalten und nicht selbst etablieren zu müssen?

Dies ist ein Thema, bei dem ich­ etwas­ weiter ausholen muss. Begonnen hat bei mir alles 2004 mit einer Reihe von Forschungsarbeiten zu Zelladhäsionsmolekülen. Die zahlreichen Arbeiten der damals noch recht kleinen „extrazellulären Matrix-Mafia“ im Hinterkopf, stolperte ich über eine Beschreibung der Engelbreth-Holm-Swarm Maussarkom EZM, die vielen Lesern eher als „Matrigel“ bekannt sein dürfte. 3D-EZM-basierte Zellkultur und Gewebe – das passte.

Freudig erregt über diese retrospektiv etwas simpel anmutende Erkenntnis bestellte ich noch am gleichen Tag die erste Flasche Matrigel. Nach anfänglichem Ausprobieren und „Nachkochen“ der publizierten Rezepte wechselte ich meinen Arbeitsplatz von München nach Dresden, mit dem Wunsch, die 3D-Zellkulturtechnik zu verfeinern und hinsichtlich klinisch relevanter Endpunkte weiterzuentwickeln.

Zwei Postdoktorandinnen meiner Arbeitsgruppe, Iris Eke und Stephanie Hehlgans, unterstützten maßgeblich den Optimierungs- und Etablierungsprozess der heute in unserem Labor verwendeten 3D-EZM-basierten Zellkultur. Vier bis fünf Jahre harte Arbeit für die Entwicklung und Charakterisierung eines Basismodells, das nun beliebig an die Bedürfnisse individueller Forschungsprojekte angepasst werden kann (in Auszügen beschrieben in: S. Schmitz: Der Experimentator. Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg, 2011, 3. Edition, S. 239-245; Eke & Cordes. Koloniebildungstest – Bestimmung des klonogenen Zellüberlebens unter zwei- und drei-dimensionalen Wachstumsbedingungen).

Warum die Kulturmethoden etablieren, werden Sie sich fragen? Die Reproduzierbarkeit der publizierten Methoden war inakzeptabel, weshalb wir beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Aus der 2D-Zellkultur kennt man zum Beispiel das Abschaben von Zellen zur Gewinnung der Gesamtproteine in Lysepuffer. Um die Signaltransduktion zu konservieren, muss dies schnell gehen; ein vorheriges Ablösen der Zellen mit Trypsin oder Ähnlichem ist ein „No Go“. Die Integrin-vermittelten Zell-EZM-Wechselwirkungen würden dadurch gekappt werden und im Nu wäre die Signaltransduktion verändert. Insbesondere diesen Schritt in die 3D-Zellkultur zu überführen, stellte sich als entscheidend heraus.

Lust auf mehr

Matrigel ist für unsere Untersuchungen an Karzinomen eine annehmbare physiologische Grundlage. Einzelzellsuspensionen vermischen wir mit Matrigel; vielfach reicht ein 96-Well Format aus, um Zellüberleben (zum Beispiel Klonogenität, Apoptose), subzelluläre Lokalisation (Immunfluoreszenz, Immunhistochemie) und RNA/miRNA-Expression zu analysieren. Im größeren Maßstab (etwa in 24-Well Platten) muss die Kultur für Proteine, Immunpräzipitationen und Proteinkinase-Assays angesetzt werden. Der Zeitpunkt der Isolierung, der zwischen Minuten und Wochen liegen kann, ist natürlich durch Ihre Fragestellung bestimmt. Gleiches gilt für die Konzentration des EZM-Gemisches oder die eingesetzte(n) Zellzahl(en).

Nach diesem Amuse-Gueule haben Sie hoffentlich Lust auf mehr. Sollten Sie zum Sternekoch avancieren wollen, möchten wir Ihnen noch unseren 3D-Zellkulturkurs ans Herz legen, der zweimal jährlich in Dresden stattfindet (nils.cordes@oncoray.de). Inhalte sind zum Beispiel der Koloniebildungsassay, der aufgrund der Messung des Langzeitüberlebens einer der wichtigsten Endpunkte für die Testung von zytotoxischen Agenzien ist, die Gewinnung von Gesamtproteinen für Western Blot oder Proteinkinase-Assays und vieles mehr.

Bei all dem mit Herzblut geschriebenen möchte ich mit einem Zitat von Sokrates enden: „Das gute Gelingen ist zwar nichts Kleines, fängt aber mit Kleinigkeiten an.“ In diesem Sinne: Viel Spaß, viel Erfolg und auf zu neuen Ufern!






Letzte Änderungen: 11.05.2013