Editorial

Sequenzieren ist GAGA!

von Cornel Mülhardt


Na, wie würde es Ihnen schmecken, morgens mit diesen Worten begrüßt zu werden? Zum Beispiel von Ihrer Kaffeemaschine. Die teilt Ihnen anschließend mit piepsiger Stimme mit, dass Sie für die anstehende Grippewelle gut gerüstet sind und Ihre Neigung zu bröselnden Chromosomen im Augenblick noch kein Problem ist - wenngleich es nicht verkehrt sein könnte, sich demnächst mal wieder auf Hodenkrebs untersuchen zu lassen. Wenn ein prüfender Griff zwischen die Beine Ihnen dann bestätigt, dass Sie noch immer zu den anderen fünfzig Prozent der Bevölkerung gehören, dann wissen Sie, dass der Fortschritt auch nicht mehr das ist, was er mal war und dass es vielleicht an der Zeit ist, eine neue Kaffeemaschine zu kaufen.


Schneller als ein Ölwechsel

Oder gehören Sie etwa zu denen, die an die Versprechungen von einer schöneren neueren Welt noch glauben? Ich bitte Sie. Seit der maßlosen Übertreibung in Sachen Internet noch vor einem Jahr und dem Zusammenbruch zahlreicher virtueller Firmen (und des Nasdaq), der darauf folgte, sollten Sie eigentlich gelernt haben, dass auch in der schönen neuen Welt nur mit Wasser gekocht werden wird. Zum Glück! Sicher, das menschliche Genom ist mittlerweile entschlüsselt, und bei der derzeitigen Entwicklung ist nicht einmal ausgeschlossen, dass eine DNA-Analyse künftig schneller als ein Ölwechsel erledigt sein wird, aber glauben Sie, dass die Kontrolle über Ihr Genom die Versicherungsgesellschaften und Ihren Arbeitgeber wirklich schlauer machen wird? Mehr als Ihr Lebenslauf?

Wie immer man zu dieser Frage steht, man muss doch staunend anerkennen, dass sich auf dem Gebiet der Sequenzanalyse viel getan hat. HUGO und Craig Venter sei Dank. Wir erinnern uns: In grauer Vorzeit, genauer gesagt 1977, kloppten sich die Herren Maxam, Gilbert und Sanger um die Ehre, die genialste Sequenziermethode entwickelt zu haben. Zwar waren sie weder die Ersten noch die Einzigen, die sich mit dem Thema Sequenzieren auseinandersetzten, doch werden ihre beiden Publikationen bis heute als Meilensteine in der Geschichte der Biologie des Unsichtbaren angesehen. Mir scheint, als hätten Maxam und Gilbert zu Beginn des Rennens die Nase vorn gehabt (an der vorsichtigen Ausdrucksweise können Sie erkennen, dass Zeitzeugen von damals kaum noch anzutreffen sind. Die leiten heute allenthalben große Institute und sind very busy"). Offenbar brachte die Methode von Maxam und Gilbert in diesen frühen Tagen reproduzierbarere Ergebnisse und die notwendigen Ingredienzien waren leichter zugänglich (wir sprechen von einer Zeit, als die Labors häufig ihre Enzyme selbst aufreinigten, weil der regelmäßige Kauf von EcoRI das Labor-Budget zu sprengen drohte). Die Vorgehensweise bestand darin, radioaktiv markierte DNA-Fragmente mit Chemikalien so zu zerbröseln, dass eine bunte Mischung von Fragmenten unterschiedlicher Länge entstand. Die konnten dann über ein Polyacrylamidgel elektrophoretisch getrennt werden. Weil die Ausgangs-DNA nur an einem Ende markiert wurde, waren anschließend nur die Fragmente sichtbar, die dieses Ende noch enthielten. Auf dem Röntgenfilm konnte man sich dann von unten nach oben durchhangeln und anhand der Laufstrecke die Nukleotidabfolge im ursprünglichen DNA-Fragment ausknobeln. Der Schönheitsfehler war, dass es sich dabei um eine chemische Degradation handelte, die einerseits kontrolliert ablaufen musste, um nicht die gesamte DNA in Windeseile in ganz kleine Stückchen zu verwandeln, und andererseits die fünf Reaktionen nur bedingt basenspezifisch waren: Mit der ersten spaltete man hinter einem C, mit der zweiten hinter C oder T (sprich hinter einem Pyrimidin), mit der dritten hinter einem G und mit der vierten hinter G oder A (die bekanntlich beide Purine sind). Die fünfte schließlich spaltete eher hinter A als hinter C.



Das Ergebnis war eine Art Puzzle. Eine Bande, die in der ersten und in der zweiten Spur auftauchte, aber fast nicht in der fünften, war ein C, während eine Bande in zweiter und fünfter, aber nicht in der ersten Spur für ein A stand. Erscheint uns heute mühselig, lässt sich aber lernen. Leider waren auch die Leseweiten ziemlich begrenzt, ab 250 Basen Länge wurde es schwierig, was uns in Zeiten, in denen man im Prinzip (!) 800-1000 Basen lesen kann, lächerlich erscheint.

Warum erzählt er uns das eigentlich, werden Sie sich fragen. Nun, einerseits aus historischen Gründen, denn es ist immer gut zu wissen, um wieviel besser es einem heute geht als den Altvorderen - andererseits aber auch, um Ihren Horizont zu erweitern. Die Methode unterscheidet sich nämlich von der heute üblichen Sanger-Sequenzierung in zwei wesentlichen Punkten: erstens analysiert man dabei das DNA-Fragment selbst und nicht seine Kopie, was bedeutet, dass man chemische Modifikationen oder Interaktionen von Proteinen und DNA damit erfassen kann (ein Arbeitsgebiet, das sicherlich wieder an Bedeutung gewinnen wird, wenn erst einmal der letzte Strohhalm um uns herum dröge durchsequenziert worden ist), und zweitens benötigt man dafür keine Primer, ja eigentlich fast keine Sequenzinformation. Hatten Sie schon einmal einen Primer in der Hand, der nicht das war, was er zu sein vorgab? Oder waren Sie schon einmal mit einer mysteriösen DNA konfrontiert, die Ihnen das Leben schwer machte, ohne dass Sie die geringste Ahnung hatten, worum es sich handeln könnte? Das ist die Sorte Fragen, die Sie mit Maxam-Gilbert hätten beantworten können.

Schönreden hilft nichts

Doch letztlich hilft alles Schönreden nichts, die Methode der Wahl ist heute die Sequenzierung nach Sanger. Hier wird ein DNA-Fragment als Template für eine DNA-Synthese verwendet. Neben den vier üblichen 2'-Desoxynukleotiden enthält der Ansatz auch kleine Mengen an 2',3'-Didesoxynukleotid, das dort, wo es eingebaut wird, der weiteren Strangsynthese ein Ende setzt, weil dem Zuckeranteil die für die 3'-5'-Phosphodiester-Bindung notwendige 3'-OH-Gruppe fehlt. (Nix kapiert? Jedes handelsübliche Biochemie-Buch hilft hier weiter.) Da der Einbau eines Didesoxynukleotids zufällig erfolgt, erhält man am Ende, wie bei Maxam-Gilbert, einen Mix von Fragmenten unterschiedlicher Länge, die über ein Polyacrylamid-Gel getrennt werden müssen.

Die erste Version des Protokolls war noch recht mühselig. Da es sich um eine DNA-Synthese handelt, braucht man dafür eine Polymerase (damals die Klenow). Die aber war erstens nicht einfach zu bekommen, zweitens häufig nicht ausreichend sauber und drittens ziemlich teuer. Des weiteren braucht man einen Primer, weil die DNA-Polymerase sonst nicht weiß, wo sie anfangen soll. Oligonukleotide jedoch waren schwer erhältlich. Und nicht zuletzt benötigte man einzelsträngige DNA. Ja, man sollte es nicht glauben, aber die Sequenzierung doppelsträngiger DNA war tatsächlich lange Zeit ein Problem. Auch heute noch liefern Sequenzierungen von einzelsträngigen Templates deutlich bessere Ergebnisse als die von doppelsträngigen, doch wiegt der Gewinn beim Sequenzierergebnis den Arbeitsaufwand für die Herstellung einzelsträngiger DNA inzwischen nicht mehr auf.

Markiert wurden die Fragmente radioaktiv, entweder durch 32P-Phosphorylierung der Primer oder durch den Einbau radioaktiv markierter Nukleotide. Weil für jedes der vier Didesoxynukleotide eine eigene Reaktion durchgeführt werden musste, sah die Autoradiographie am Ende so ähnlich aus wie bei Maxam-Gilbert, mit dem Unterschied, dass die Zuordnung einfacher war: jedes Nukleotid im sequenzierten DNA-Fragment entsprach genau einer Bande auf dem Film. Kombinatorische Fähigkeiten waren im Prinzip nicht mehr nötig, nur noch stures Abzählen von unten nach oben. Naja, im Prinzip halt, denn die Praxis sah natürlich ganz anders aus.

Die Methode ist bis heute die gleiche geblieben, nur verwendet man nun für die Markierung Farbe statt Radioaktivität. Das ist bunt (zumindest sind es die Ausdrucke, die man erhält), gesundheitlich unbedenklich und bringt seine eigenen Probleme mit sich, mit denen wir uns in der nächsten Ausgabe beschäftigen werden. Sequenzieren Sie noch radioaktiv? Wirklich? Berichten Sie mir davon: cornel. muelhardt@web.de




Letzte Änderungen: 08.09.2004