Editorial

Mikrosequenzierung - Schwierige Abfolgen

von Hubert Rehm


Cornel Mülhardt urlaubt noch. Also muss Kollege Rehm wieder ran. Sein Thema diesmal: Proteinsequenzierung

Euer Gnaden, sagte Sancho, taugt besser zum Prediger als zum irrenden Ritter. Die irrenden Ritter, Sancho, verstehen alles und müssen alles verstehen, antwortete Don Quichotte. Auch Doktoranden und Postdoks, die irrenden Ritter der Wissenschaft, müssen von allem etwas verstehen oder wenigstens den Eindruck machen, sie verstünden von allem etwas. Zu "allem" gehört die Mikrosequenzierung und wenn Sie Folgendes gelesen haben, sollten Sie imstande sein, im Kaffestübchen zu einschlägigen Diskussionen einen Klacks mittelscharfen Senf beizusteuern.

Trotz Massenspektrometer hat sich beim Proteinsequenzieren die gute alte Edman-Methode gehalten. Die liefert mit 0,1-10 µg reinem Protein Sequenzen von 20-30 Aminosäuren Länge. Bekanntlich baut eine Sequenziermaschine die Aminosäurekette vom N-Terminus her ab und identifiziert die Aminosäurederivate auf einer angeschlossenen HPLC. Voraussetzung ist ein freier N-Terminus.

Die Mikrosequenzierung war früher die Domäne spezialisierter Gruppen, die diese Dienstleistung gegen Koautorschaften an Bedürftige verkauften. Das liegt daran, dass eine Sequenziermaschine zwar in den Kofferraum eines Mercedes 500 SL passt, aber dreimal soviel kostet.


Wozu ist Mikrosequenzierung gut?

  • Bei kleineren Proteinen kann man die Gesamtsequenz aus den Sequenzen proteolytischer Bruchstücke zusammensetzen. Das macht heute keiner mehr, sagen Sie? Oh doch! Wenn sich das Protein nicht klonieren lässt, oder man es nicht klonieren darf, wie manche Toxine.

  • Die Mikrosequenzierung liefert die Information zur Synthese von Oligonukleotiden. Diese Zuarbeit zum Klonieren eines Proteins lief bis vor kurzem folgendermaßen ab: Der Proteinreiniger bereitete sein sauberes Produkt zur Mikrosequenzierung vor und gab die Präparation an den Mikrosequenzierer weiter. Der las auf seiner Maschine die Sequenz, worauf der Klonierer die Oligonukleotide bestellte und damit seine Banken screente. Da die Klonierung das Hauptergebnis lieferte, stand der Klonierer an erster Stelle der Autorenliste des Papers, und sein Prof an der letzten. Proteinreiniger & Prof erschienen zusammen mit Sequenzierer & Prof in der Mitte. Das war eine schöne Sache für den Mikrosequenzierer (und eine noch schönere für seinen Prof), denn der Aufwand war klein: War das N-terminale Ende des Proteins frei, lag die Sequenz in ein paar Stunden vor. Ein Paper in ein paar Stunden! Nicht mal schreiben musste er es, das erledigten die Klonierer.

    So konnte der Sequenzierer schon als Postdok einen professoralen Veröffentlichungsstil pflegen. Doch alles Schöne vergeht. Heute übernehmen Firmen das Sequenzieren, und die machen es gut und verlangen nur Geld.

  • Schließlich gibt die Mikrosequenzierung Hinweise auf posttranslationale Veränderungen des Proteins wie Phosphorylierung, Sulfatierung, Glykosilierung und die Lage der Disulfidbrücken.

Sie merken: Die zentralen Probleme beim Mikrosequenzieren sind Seniorautor-scharfe Professoren und blockierte N-terminale Enden.

N-terminale Ente


Glück mit Glycerin

Was man gegen die Professoren unternehmen kann, will ich hier nicht ausbreiten, zur N-terminalen Blockade kann ich folgendes sagen: Bei etwa 50% aller Proteine ist der N-Terminus durch N-Acetylaminosäuren, glykosilierte Aminosäuren, Pyrrolidongruppen oder anderes blockiert. Die Blockade entsteht bei der Reinigung oder in vivo. Der vorsichtige Experimentator verwendet daher nur p.a.-Lösungsmittel, die keine Aldehyde enthalten (z.B. p.a.-Ethanol, -Essigsäure). Auch setzt er sein Protein nur kurze Zeit oxidativen Bedingungen aus (z.B. Fixieren mit Essigsäure in offenen Schalen). Falls mit dem Protein ein SDS-Gel gefahren werden muss, sollten Sie Piperazindiacrylyl anstatt Bisacrylamid als Quervernetzer benutzen. Auch sollten Sie das Gel nicht in Gegenwart von SDS polymerisieren. SDS bildet Mizellen, die Acrylamidmonomere enthalten und unpolymerisiertes Acrylamid kann N-Termini blockieren oder Proteine vernetzen. Schließlich hilft 0,002% Thioglycolsäure im oberen Puffer gegen oxidative Veränderungen bei der SDS-Gelelektrophorese.

Selbstverständlich kann sich der N-Terminus auch schon früher, z.B. auf der Säu le, zusetzen. Hier scheint det Puffer eine Rolle zu spielen. Während der Reinigung des spannungsabhängigen K+-Kanalproteins z.B. habe ich glycerinhaltige Puffer benützt - nicht aus weiser Voraussicht, sondern weil die sich so glatt gießen ließen. Ergebnis: Der Kanal ließ sich problemlos ansequenzieren, gleich der 1. Versuch klappte. Anscheinend schützt Glycerin vor Oxidation. Der Konkurrent hatte kein Glycerin in den Puffern und ein Jahr später beschwerte er sich bei mir. Er hätte das Protein jetzt auch isoliert, aber bei ihm sei immer der N-Terminus blockiert. Wie das denn sein könne? Und guckte mich an, als sei ich ein Zauberer oder Schlimmeres. Ich zuckte mit der Schulter: "Don't know. In my hands it works". Ich wusste es tatsächlich nicht, auf das Glycerin kam ich erst später (und wenn ich's gewusst hätte, hätt ' ich geschwiegen). Mein Tip also: Schon beim Reinigen die N-terminalen Enden schützen.

Was aber tun, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist? Es bleibt Ihnen nicht viel mehr, als die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. Selten gelingt es, N-Termini zu deblockieren. Wellner et al. (PNAS 87, 1947-1949) befreien N-Termini, die durch N-Acetylserin oder N-Acetylthreonin blockiert sind, mit wasserfreier Trifluoressigsäure. Die Ausbeute schwankt zwischen 3% und 40%, dürfte aber eher beim unteren Wert liegen. Bei mit einer Pyrrolidoncarboxylatgruppe blockierten Proteinen hilft vielleicht eine Behandlung mit Pyrrolidoncarboxylatpeptidase nach Doolittle & Armentrout ( Biochemistry 7, 516-52 1).


Spalten, spalten, spalten

Wahrscheinlich werden Sie mit obigen Methoden kein Glück haben und müssen wie mein Konkurrent zum Proteaseverdau greifen, was ja jeden echten Proteinreiniger einige Selbstüberwindung kostet. Da hat man so aufgepasst mit den Proteasen, hat Inhibitoren zugegeben, hat im Kühlraum gebibbert und sich nachts Augenringe angearbeitet, nur damit es schnell geht, und jetzt - freiwillig! - Proteasen zugeben, das kostbare Produkt mutwillig zerstören? Aber da hilft alles nix: Willst Du 'ne Sequenz erhalten, musst Du spalten, spalten, spalten! Nehmen Sie wenigstens selektive Proteasen und so wenig wie möglich.


Weg von der Membran

Manche spalten das Protein vollständig in gegen die Protease resistente Peptide auf und trennen die auf der HPLC. Andere verdauen nur kurz zu größeren Spaltprodukten.

Der unvollständige Proteaseverdau spart Zeit und verringert Verluste. Das zu sequenzierende Protein wird direkt in der Tasche eines SDS-Gels verdaut, die Spaltprodukte elektrophoretisiert, auf eine geeignete Membran geblottet und sequenziert.

Beim vollständigen Verdau beliebt es Vielen, die Proteine auf dem Blot zu verdauen: Nach der Proteinfärbung des nicht geblockten Blots identifizieren Sie ihr Protein, schneiden das Blotstück aus und geben eine selektive Protease dazu. Die entstandenen Peptide trennen Sie auf der HPLC - und dann ab damit zum Sequenzierer. Die Sache hat zwei Haken: Wenn Sie Proteine direkt auf PVDF- oder Nitrocellulosemembranen verdauen, bindet die ungeblockte Membran die Protease, und manchmal werden sogar die entstehenden Peptide adsorbiert. Zudem lieben Proteasen gelöste Proteine. Besser, Sie lösen das Protein vom Blotstück ab und verhindern die Adsorption von Proteasen und Peptiden. Nach Fernandez et al. (Anal. Biochem. 218, 112-117) eignet sich dazu 1% hydrogeniertes Triton X-100 in 10% Acetonitril, 100 mM Tris pH 8,0. Wenn das nicht klappt, nehmen sie die Methode nach - aber ich sehe, kein Platz mehr. Bis zum nächsten Heft!



Letzte Änderungen: 08.09.2004