Editorial

Zebrafische mit „Kropf“
Zebrafisch-Screening

Larissa Kaufmann


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Das Europäische Zebrafisch Ressourcen-Zentrum am Karlsruher Institut für Technologie (KIT)stellt Biowissenschaftlern nicht nur einen riesigen Bestand transgener Zebrafische zur Verfügung. Es bietet interessierten Forschern auch Zugang zu automatisierten Zebrafisch-Screenings. Foto: KIT

Goitrogene Substanzen führen zur Vergrößerung der Schilddrüse und stören den Thyroid-Hormon-Signalweg, der eine wichtige Rolle bei Entwicklungsprozessen, Zellproliferation und -differenzierung sowie dem Glukose-Metabolismus spielt. Welche chemischen Verbindungen besonders goitrogen wirken, kann man mit einem automatisierten Screen transgener Zebrafische herausfinden.

Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist das Europäische Zebrafisch Ressourcen-Zentrum (EZRC) beheimatet, die größte Datenbank und Lagerstätte Europas für Zebrafisch-Linien mit fast 30.000 verschiedenen Stämmen und einer Kapazität von bis zu 300.000 lebenden Zebrafischen. Fische mit unterschiedlichen genetischen Eigenschaften werden vom EZRC charakterisiert, gesammelt, gezüchtet und in alle Welt verschickt.

Das 2012 eröffnete EZRC ist aber weit mehr als nur ein Depot für transgene Zebrafisch-Linien. Unter der Leitung des Zebrafisch-Forschers Uwe Strähle mauserte es sich auch zu einem wichtigen Zentrum für Zebrafisch-Screenings. Wissenschaftler können diese selbst am EZRC durchführen oder beim Chef der Screening Facility Ravindra Peravali als Serviceleistung in Auftrag geben.

Doch warum gerade Zebrafisch? Der kleine, circa zwei Zentimeter große Fisch, der ursprünglich in Brackwasser in Südasien zu Hause ist, bietet optimale Voraussetzungen für Screenings. Besonders interessant sind die durchsichtigen Embryos, die einen Blick in das Innere eines lebenden Organismus gestatten. Zebrafische legen pro Woche 200 bis 300 transparente Eier, aus denen bereits nach zwei Tagen Larven schlüpfen. Diese gelten bis zu ihrem fünften Lebenstag nicht als Versuchstiere – Zebrafisch-Versuche senken also auch die Anzahl von Tier-Experimenten.

Zebrafische lassen sich leicht genetisch verändern, und bei einer Generationszeit von zwei bis drei Monaten können viele Tiere in kurzer Zeit untersucht werden. Verglichen mit dem Menschen läuft die Embryonalentwicklung wie im Zeitraffer ab. Zudem existieren viele genetische Parallelen zwischen Fisch und Mensch, trotz fehlender Lunge. Da siebzig bis achtzig Prozent des Erbguts übereinstimmen, ist der Zebrafisch ein wichtiger Modellorganismus für Krankheiten des Menschen – auch für solche, bei denen man zunächst nicht an Zebrafische als Modellsystem denken würde.

Vergrößerte Schilddrüse

Zu diesen zählen zum Beispiel Funktionsstörungen der Schilddrüse, die durch Schilddrüsen-vergrößernde, sogenannte goitrogene Substanzen ausgelöst werden. Eine Gruppe um Uwe Strähle vom KIT sowie Stefan Scholz vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig, zu der auch holländische und tschechische Wissenschaftler gehörten, entwickelte in der Screening Facility des EZRC ein Testverfahren, mit dem man die Hemmung des Thyroxin-Signalwegs durch Umweltsubstanzen und die hierdurch hervorgerufenen Auswirkungen auf den Schilddrüsenstoffwechsel untersuchen kann (PLoS ONE 13(8): e0203087).

In der Vergangenheit wurden hierzu bereits etliche In-vitro-Assays entwickelt. Im Gegensatz zu diesen kann man mit dem Karlsruher Test jedoch auch in vivo beobachten, wie sich die Verbindungen auf einen Organismus auswirken, bei dem die Rückkopplungs-Schleife zwischen Hypothalamus und Schilddrüse bereits ausgebildet ist.

Wie funktioniert der Test? Zebrafische entwickeln natürlich keinen Kropf, der bei Menschen auf eine Schilddrüsenunterfunktion und die damit assoziierten Krankheiten hindeutet. In Zebrafischen kann man die Expression des Thyroxin-Vorläufers Thyroglobulin (Tg) im Primordium (früher embryonaler Zellhaufen) aber bereits 32 Stunden nach der Befruchtung des Zebrafisch-Eies nachweisen, in den Anlagen der Schilddrüse nach 55 Stunden.

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Unter dem Fluoreszenzmikroskop sind in transgenen Fischembryos die Regionen des Schilddrüsengewebes, die den mCherry-Reporter exprimieren, deutlich zu erkennen. Foto: KIT
Thyroxin-Reporter

Die Gruppe kreierte hierfür einen Zebrafisch-Stamm, der eine Fusion aus dem Tg-Promotor und dem Gen für das rot fluoreszierende Reporterprotein mCherry beherbergt. Da der Zebrafisch-Embryo durchsichtig ist, können Zellen, die den mCherry-Reporter exprimieren, mit dem Fluoreszenzmikroskop lokalisiert werden. Um auszuschließen, dass das Schilddrüsengewebe zum Zeitpunkt des Tests eine frühe Entwicklungsphase durchläuft, verwendete die Gruppe zwei Tage alte Fisch­embryos, die drei Tage mit den potenziellen Inhibitoren inkubiert wurden.

Die mittlere letale Dosis (LC50) der Chemikalien bestimmten die Forscher mit zusätzlichen Toxizitäts-Tests: Herzstillstand, Verklumpung des Embryos, fehlende Somiten sowie ein angehefteter Schwanz sind Zeichen dafür, dass die Fisch-Larven nicht überlebt haben. Die Gruppe um Strähle und Scholz untersuchte mit dem Screening verschiedene bekannte Inhibitoren des Schilddrüsenhormons – etwa Ethylenthioharnstoff, Thiamazol, Phloroglucin, Propylthiouracil, Kaliumperchlorat, Pyrazol und Resorcinol. Als Negativ-Kontrolle diente 3,4-Dichloranilin.

Je schwächer die Fluoreszenz des mCherry­Proteins, desto geringer ist die ­Ex­pression von Thyroglobulin. Um die ­Fluo­res­zenz des Reporters mit automatisierten Bildgebungs- und Auswertungs-Verfahren quantifizieren zu können, werden die Embryos auf 96-Well-Platten verteilt, wobei jedes Well nur einen Embryo enthält. Ein sogenannter Large Particle (LP) Sampler saugt die Fischlarven an und übergibt sie an den Vertebrate Automated Screening Technology (VAST)- Bioimager, der ihre weitere automatische Analyse übernimmt. Dazu platziert die VAST-Plattform die Embryos in Dorsal-Ventraler Ausrichtung unter einem Fluoreszenzmikroskop. Die Embryos befinden sich weiterhin in Wasser, sind aber in einer Agarosekammer fixiert und liegen auf dem Bauch.

Automatisches Imaging

Die Mikroskop-Kamera nimmt neun Bilder pro Embryo in verschiedenen Ebenen auf, um Fehlfokussierungen des Autofokus auszuschließen. Für die automatische Platzierung, Fokussierung und Bildaufnahme benötigt der VAST-Imager etwa zwei Minuten. Anschließend werden die Bilder mit dem Bildanalyseprogramm KNIME ausgewertet. Die Software erkennt die rot fluoreszierenden Stellen in der Zelle, reduziert die Hintergrundfluoreszenz auf Null und übersetzt alle fluoreszierenden Pixel in ein Bild, das mit dem Original abgeglichen wird. Die Software kann auf diese Weise die fluoreszierenden Pixel ohne störende Hintergrundfluoreszenz zählen und setzt die Fluoreszenz-Stärken schließlich in die Hill-Gleichung ein, um die jeweiligen Transkriptionsraten von Thyroglobulin zu berechnen.

Aus Pixeln werden ­Transkriptionsraten

Aus der Lösung der Hill-Gleichung resultiert eine Kurve, die die Dosis-Wirkungsbeziehung für die Thyroglobulin-Transkriptions­rate in Abhängigkeit von der Konzentration der getesteten Chemikalie darstellt. Liegt die Steigung des Graphen unter eins, wirkt sich die Substanz in dieser Konzentration negativ auf die Transkription aus, liegt sie über eins, ist der Effekt positiv.

Dies ist nur ein Beispiel für ein erfolgreiches Zebrafisch-Screening-Verfahren am Screening Center des KIT. Mithilfe der automatisierten Orientierung, Aufnahme und Auswertung der Embryos durch den VAST-Imager können auch andere Areale der Fischlarven oder einzelne Organe gescreent werden – etwa das Gehirn, Nervenbahnen oder das Herz. Darüber hinaus sind auch Screenings auf Microarrays möglich, für die nur geringe Mengen an Flüssigkeiten und Chemikalien nötig sind.

(Larissa Kaufmann ist promovierte Biologin und managt die BioInterface International Graduate School am KIT)



Letzte Änderungen: 17.06.2019