Editorial

LAMP-Seq rückt Massentests in Reichweite

Im Gespräch: Jonathan L. Schmid-Burgk, Bonn
Das Gespräch führte Henrik Müller, Laborjournal 09/2020


(01.09.2020) Als Postdoc in Feng Zhangs Gruppe am Broad Institute of MIT and Harvard entwickelte Jonathan L. Schmid-Burgk die LAMP-Seq-Methode, mit der populationsweite SARS-CoV-2-Tests möglich sind. Inzwischen arbeitet er mit seiner Gruppe an der Universität Bonn an der Automatisierung von LAMP-Seq.

Laborjournal: Was qualifiziert LAMP-Seq im Vergleich zur herkömmlichen RT-qPCR für SARS-CoV-2-Massentests?

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Jonathan L. Schmid-Burgk Foto: Universität Bonn

Schmid-Burgk » Die Methode ist hochskalierbar und läuft auf existierender Infrastruktur. Jedes der etwa 190 Illumina-NextSeq-Geräte in Deutschland könnte mit LAMP-Seq einhunderttausend Proben pro Tag analysieren. Natürlich ist unser Verfahren auch mit größeren und kleineren Geräten kompatibel. Allein hier in Bonn verfügen wir am West-German Genome Center über Sequenzierkapazitäten von bis zu zwei Millionen Proben pro Tag.

LAMP-Seq kommt also ohne PCR aus?

Schmid-Burgk » Nein, die isothermale Amplifikation ersetzt die PCR nicht. Im RT-LAMP-Schritt amplifizieren wir vorhandene virale RNA exponentiell mit strangversetzenden DNA-Polymerasen. Dadurch müssen wir die Doppelstränge nicht immer wieder in einem Thermocycler denaturieren und erzielen einen höheren Durchsatz. Aufgrund des Amplifikations-Mechanismus, der die Verdopplung einer Haarnadelstruktur ausnutzt, entstehen allerdings Concatemere derselben Sequenz jedoch in unterschiedlicher Länge – ein Agarosegel zeigt eine Leiter vieler Banden.

Für eine Short-read-Sequenzierung benötigen Sie doch aber eine DNA-Bibliothek definierter Länge?

Schmid-Burgk » Genau, und zwar von unter 1.000 Basen. Außerdem müssen die DNA-Fragmente über Adaptersequenzen an ihren Enden verfügen. Deshalb amplifizieren wir die mit LAMP erzeugten Wiederholungseinheiten mit einer PCR und fügen gleichzeitig die notwendigen Adaptersequenzen an.

Wenn Sie nicht um eine PCR herumkommen, wo liegt der Vorteil?

Schmid-Burgk » Erstens benötigt die isothermale Amplifikation nur einfache Heizgeräte, funktioniert also selbst im Wasserbad. Zweitens muss die virale RNA für den RT-LAMP-Schritt nicht aus Abstrichen gereinigt werden. Das macht unser Verfahren skalierbar. Wir haben Bedingungen gefunden, die RNA-Genome freisetzen und gleichzeitig Nukleasen inaktivieren. Leider ist die Zusammensetzung unseres besten Lysepuffers ein Betriebsgeheimnis der Lucigen Corporation. Ich wünschte, in Anbetracht der gegenwärtigen Pandemie wäre solches Wissen Open Source. Drittens, und das ist unser eigentlicher Entwicklungsschritt, fügen wir mit den LAMP-Primern Barcodes ein. Dadurch kann ein einziger Labormitarbeiter die PCR hunderttausender Proben in nur einem Thermocycler in weniger als einer Stunde durchführen.

Wie sehen diese Barcode-LAMP-Primer aus?

Schmid-Burgk » Das Besondere an LAMP-Primern sind ihre zwei entgegengesetzt orientierten Bindestellen am 5‘- und 3‘-Ende, die beide im Verlauf der LAMP-Reaktion mit Teilen der gesuchten Zielsequenz hybridisieren müssen. Unsere Barcodes liegen deshalb in der Primermitte, also zwischen den beiden Bindestellen. Zehn Nukleotide lange Barcodes funktionieren in unseren Händen sehr gut.

Barcodes dieser Länge erlauben es, etwa eine Million (410) unterschiedliche Sequenzen und somit Proben parallel zu verarbeiten!?

Schmid-Burgk » Theoretisch ja. Natürlich wollen wir aber eine Verwechslung von Proben durch falsch gelesene Basen vermeiden. Deshalb unterscheiden sich alle Barcodes mit einer Levenshtein-Distanz von drei oder mehr Positionen. Für eine Verwechslung müsste ein Sequencer also drei Positionen gleichzeitig falsch lesen. Da wir jede Probe ungefähr eintausend Mal sequenzieren und die Fehlerraten derzeitiger Verfahren des Next-Generation-Sequencing bei 0,24 Prozent pro Base liegen, ist das fast ausgeschlossen. Allerdings begrenzen wir uns so auf 9.000 verschiedene Barcodes.

Sie können also 9.000 Proben parallelisieren?

Schmid-Burgk » Ja, fast. Als wir die ersten 480 Barcodes testeten – eine Notwendigkeit für die Zulassung als Diagnostikverfahren – funktionierten zehn Prozent der LAMP-Primer zu unserer Überraschung nicht. Es dauerte ein wenig, bis wir empirisch herausgefunden hatten, dass sie keine Motive enthalten dürfen, die eine Homologie zu den vier Basen an ihrem 3‘-Ende aufweisen. Denn eine inerte Haarnadelstruktur verhindert die isothermale Amplifikation, die Nukleinsäuren ja nicht wie die PCR aufschmilzt. Das ist wahrscheinlich das wissenschaftlich interessanteste Ergebnis unseres bioRxiv-Manuskripts.

Wie viele Barcodes verwenden Sie also?

Schmid-Burgk » Bisher haben wir 7.000 Stück designt, wir können pro LAMP-Schritt folglich 7.000 Proben gleichzeitig bearbeiten. Wenn wir mit den Primern der nachfolgenden PCR aber zum Beispiel zehn weitere Barcodes einführen, analysieren wir schon 70.000 Proben pro Durchlauf und pro Sequenziergerät.

Bisher sind etwa einhundert Mutationen im SARS-CoV-2-Genom identifiziert. Detektieren Ihre Barcode-Primer alle diese Genomvarianten?

Schmid-Burgk » Erstens wählen wir alle Primer so aus, dass sie mit keinen Mutationen der über viertausend SARS-CoV-2-Genome in der NCBI-Datenbank überlappen. Zweitens verwenden wir zwei Primerpaare, die unterschiedliche Regionen der N- und E-Gene binden. Ich vermute, unsere klinische Validierungsstudie am Uniklinikum Bonn wird zeigen, dass LAMP-Seq selbst bei Proben mit unbekannten Mutationen nicht ausfällt.

LAMP wurde bereits vor zwanzig Jahren entwickelt. Warum etabliert es sich erst jetzt als PCR-Ersatz?

Schmid-Burgk » Tut es nicht. Denn es kommt immer darauf an, was Sie wollen. Zwar produziert LAMP keine saubere DNA definierter Länge, ist aber wesentlich einfacher als PCR. Es braucht nur eine Heizquelle, um die exponentielle Amplifikation eines Virusgenoms durchzuführen und etwa durch eine Farbreaktion oder einen Papierstreifentest nachzuweisen. Solch ein SARS-CoV-2-Schnelltest könnte die Pandemiebekämpfung zum Beispiel in Pflegeheimen, an Flughäfen oder in Entwicklungsländern entscheidend unterstützen. Tatsächlich basieren die FDA-zugelassenen SARS-CoV-2-Tests von Abbott Laboratories und Color Genomics bereits auf LAMP.

Deren Tests sicher weniger sensitiv sind als LAMP-Seq!?

Schmid-Burgk » LAMP-basierte Schnelltests können grundsätzlich ähnlich sensitiv sein. Denn die Sensitivität hängt nur von der Anzahl vorhandener Virusgenome und der ersten Amplifikationsreaktion ab. Unser Detektionslimit mit 95-prozentiger Konfidenz liegt derzeit bei etwa fünfzig RNA-Molekülen, ist somit etwas schlechter als das einer qPCR. Allerdings überführen wir als Ausgleich einfach mehr vom Abstrich in die Reaktion. Unsere Volumina werden ja nicht durch die Gefäßgrößen von Thermocyclern begrenzt. Im Gegensatz zu Farbreaktionen in Schnelltests funktioniert LAMP-Seq aber auch zuverlässig mit ungereinigten Proben und verursacht keine falsch-positiven Ergebnisse.

Da Sie durch Sequenzierung detektieren?

Schmid-Burgk » Genau. Nur eine Sequenzierung verleiht absolute Gewissheit, dass tatsächlich eine virale Sequenz ein positives Ergebnis ausgelöst hat. Wir sequenzieren jeweils zwanzig Nukleotide des Virusgenoms je eintausend Mal pro Probe. Falsch-positive Ergebnisse durch Zufallsprodukte schließt das nahezu komplett aus. Ein weiterer Vorteil der Sequenzierung besteht darin, die Ergebnisse Hunderttausender Personen direkt digital verfügbar machen zu können. Das ist natürlich die ideale Datengrundlage für Gesundheitsämter und Kontaktverfolgungs-Apps, da es wesentlich skalierbarer ist als Farbreaktionen oder das Ablesen von Papierstreifen.

Was sind Ihre konkreten Pläne für populationsweite Testungen?

Schmid-Burgk » Aus den epidemiologischen Berechnungen von Sten Linnarsson am Karolinska Institute in Stockholm und anderen wissen wir, dass wir die SARS-CoV-2-Pandemie nur mit Tests und Quarantäne Infizierter beenden können. Dafür müssten wir ganz Deutschland alle elf Tage testen. Das wären 7,5 Millionen Proben pro Tag, was an beispielsweise zwanzig teilnehmenden Standorten weniger als 400.000 Proben pro Standort macht. Da LAMP nur Sequenziervorlagen in Gegenwart von SARS-CoV-2 generiert, blieben selbst bei hoher akuter Durchseuchung der Gesamtbevölkerung von, sagen wir, fünf Prozent nur wenige Zehntausend Sequenzierungen pro Standort. Ein lllumina NovaSeq 6000 schafft pro Tag etwa zehn Milliarden Lesevorgänge.

Pro Land reicht theoretisch also eine einzige Sequenziermaschine, insofern alle Proben am gleichen Standort wären. Scheitert Ihre Eindämmungsstrategie nicht an dieser logistischen Mammutaufgabe?

Schmid-Burgk » Testung und Rückmeldung von Ergebnissen innerhalb von 24 Stunden ab Abstrich sind möglich. Beispielsweise hat die Berliner IT-Firma Healthmetrix bereits digitale Lösungen entwickelt, um Testergebnisse anonymisiert an Smartphones zurückzumelden. Die Logistik am Anfang ist die Herausforderung. Wir brauchen Personal, das die Abstriche durchführt und inventarisiert, ein Unternehmen, das sie zu Analysezentren transportiert, und Roboter, die sie automatisiert prozessieren. Während all dem muss die Adresse oder das Smartphone der getesteten Person zum Beispiel durch eine maschinenlesbare Kennung auf ihrem Probenröhrchen mit den Nukleotid-Barcodes in ihrer Probe korreliert bleiben. Proben so früh wie möglich in ein automatisierbares Format zu überführen, ist entscheidend.

Vielleicht könnten Testwillige selbstgenommene Speichelproben einschicken, ähnlich wie bei DNA-Sequenzierungsfirmen wie 24genetics oder MyHeritage?

Schmid-Burgk » Dann bräuchten wir ein Logistikunternehmen als Partner, das Proben millionenfach transportiert und den Infektionsschutz gewährleistet. Wir denken eher an Container in der Innenstadt oder mobile Fahrzeuge, an denen sich Leute in hohem Durchsatz abstreichen lassen. Eine Fachkraft vor Ort würde jeden Tupfer abbrechen und direkt in eine Mikrotiterplatte stellen. Ab dann wäre alles automatisierbar. Für solche Fragen arbeiten wir im Rahmen des gerade eingereichten BMBF-Antrags „Bundesweites Forschungsnetz ‚Angewandte Surveillance und Testung‘ (B‐FAST)“ mit Michael Knop in Heidelberg zusammen. Während wir das LAMP-Seq-Verfahren hier am Universitätsklinikum Bonn an Rachenabstrichen validieren, evaluieren unsere Heidelberger Kollegen unter anderem die Speicheltestung.

Bei 83 Millionen Bundesbürgern bräuchten Sie ebenso viele Tupfer für eine einzige Momentaufnahme von ganz Deutschland. Wie schätzen Sie die Gesamtkosten ein?

Schmid-Burgk » LAMP kostet momentan fünfzehn Euro pro Probe, hauptsächlich weil die strangversetzenden DNA-Polymerasen urheberrechtlich geschütztes Firmeneigentum sind. Ein Entgegenkommen seitens der Herstellerfirmen wie New England Biolabs und Massenexpression vor Ort könnten die Kosten um den Faktor zehn verringern. Die Sequenzierkosten sind dank der Leistungsfähigkeit moderner Sequenziermaschinen mit etwa zwei Cents pro Probe vernachlässigbar. Bleiben die Logistikkosten.

Für die Sie Unterstützung von lokalen Behörden erhalten?

Schmid-Burgk » Zumindest sind wir bereits im Gespräch mit der Landesregierung von NRW, um LAMP-Seq als Massentestverfahren für pathogene Erreger zu etablieren. Die meiste Zeit verwenden meine Bonner Team-Kolleginnen Ricarda Schmithausen, Kerstin Ludwig und ich aber momentan darauf, mehr Proben zur klinischen Validierung von LAMP-Seq zu akquirieren und die finanziellen Mittel zum Bau einer Roboteranlage zu sichern. Um 100.000 Proben pro Tag automatisiert zu prozessieren, müssen wir sechs verschiedene Roboter im Wert von drei Millionen Euro kombinieren. Sobald diese Summe steht, können wir den Prototyp bauen.

Bestimmt wird das öffentliche Interesse an einem solchen Massentestverfahren nicht steigen, falls ein SARS-CoV-2-Impfstoff erhältlich ist!?

Schmid-Burgk » Ich hoffe für uns alle, dass ein Impfstoff schnell zugelassen wird! Noch sind SARS-CoV-2-Vakzine aber Zukunftsmusik, während wir unser Verfahren schon jetzt zum Pandemieausstieg einsetzen könnten. Und selbst falls wir unsere Infrastruktur nicht mehr bräuchten, wäre sie binnen Wochen auf zukünftige Pandemien umstellbar. Doch können wir politische Entscheidungsträger davon überzeugen?



Letzte Änderungen: 01.09.2020