Editorial

Geht das nicht schneller?
Methoden-Special: SARS-CoV-2-Methoden: Varianten-Detektion mit SNuPE

Sascha Tierling


(10.05.2021) Sascha Tierling ist Postdoc am Institut für Genetik/Epigenetik der Universität des Saarlandes. Zwischen Uni-Lockdown, KiTa-Notbetreuung und zeitweiliger Quarantäne modelte er mit seinen Kollegen eine ursprünglich für DNA-Methylierungsanalysen entwickelte Technik für die schnelle Detektion von SARS-CoV-2-Varianten um.

Dezember 2019. Neuartiges Virus in China aufgetaucht, Mysteriöse Lungenkrankheit – na ja, ist weit weg, betrifft uns also nicht wirklich. Ähnelt dem SARS-Virus aus 2002/2003, das war ja schneller wieder weg, als es gekommen war. Unwichtig, Randnotiz.

Januar 2020. Erster Todesfall in China und erster Krankheitsfall in Europa – der muss ja schon vor der Infektion krank gewesen sein, und Erkältungsviren verbreiten sich nun mal, besonders im Winter.

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Sascha Tierling sucht mit der Single Nucleotide Primer Extension (SNuPE) normalerweise nach seltenen DNA-Methylierungen. Mit der Technik kann man aber auch schnell und zuverlässig SARS-CoV-2-Varianten aufspüren. Foto: AG Jörn Walter

Februar/März 2020. Was ist denn da in Italien los? Rasanter Anstieg von Infizierten, schwerste Krankheitsverläufe, volle Intensivstationen, Triage. Erste Fälle in Deutschland, ein größerer Ausbruch in Heinsberg, meine Uni geht in den Lockdown und die Bundesliga ist ausgesetzt – also jetzt ist es wirklich ernst!

Danach Home Office zusammen mit meinem vierjährigen Sohn, die ersten Videoschalten und virtuellen Meetings. Unser Gruppenleiter Jörn Walter begann darüber nachzudenken, wie man an Proben kommen könnte, um sie zu sequenzieren. Da Viren mutieren, wäre es epidemiologisch hochinteressant, den regionalen Verlauf innerhalb des Saarlandes (geographisch und kulinarisch im absoluten Zen­trum Europas) sowie den potenziellen Eintrag aus Frankreich, Rheinland-Pfalz und/oder Luxemburg zu untersuchen.

Im April 2020 bringt ein amerikanisches Unternehmen das erste kommerzielle Kit auf den Markt. Ich kontaktiere die Firma und lerne: Es wird teuer und die Lieferzeiten können lang sein. Ob sich das rentiert?

Mitangehängte Adaptoren

Die Charité arbeitet indes an einer Multiplex-PCR, die Amplikons des gesamten Virusgenoms liefert, die sich überlagern. Nach der Ligation von Illumina-Adaptoren werden diese auf dem MiSeq-Gerät sequenziert. Es gibt wohl auch Labore, die das Genom mit der Nanoporen-Technik sequenzieren wollen.

Hm, vielleicht kann man an die Sequenzen der Oligos kommen und die Adaptoren bei der Bestellung gleich anbauen – so wie wir es für die lokale Tiefensequenzierung von Bisulfit-Amplikons bei Methylierungsanalysen oder für 16S-RNA-Analysen bei Mikrobiomstudien schon seit Jahren machen.

Mein Chef ist euphorisch, also gleich ordern und die Technik etablieren. Vorher aber erst die Notbetreuung in der KiTa für meinen Sohn organisieren und dazu noch die Sondergenehmigung der Universität zur physischen Präsenz auf dem Campusgelände einholen.

Die bereits vorhandenen Kontakte zur Virologie am Universitätsklinikum Homburg sorgen dafür, dass wir in wenigen Tagen die ersten RNAs von positiv getesteten Saarländern auf der Laborbank haben – wow, mutet noch etwas exotisch an. Und sie haben niedrige Ct-Werte. Ct-Wert? Am Schwellenwertzyklus (Ct-Wert) der qPCR kann man die ungefähre Viruslast ablesen. Reverse Transkription, dann die ersten PCR-Versuche. Klappt recht gut, fette Bande auf erwarteter Höhe, aber auch viele Primer-Dimere.

Positive Ergebnisse

Die langen Oligos inklusive der Adaptoren sind doch nicht so unproblematisch. Kann man die mit magnetischen Beads überhaupt ausreichend reinigen? Ja, das bekommen wir nach ein paar Anläufen hin. Und die ersten Sequenzierungen sehen auch gut aus. Drei bis vier Regionen des Genoms sind nicht so gut abgedeckt, aber sonst kann man nicht meckern. Zu diesen positiven Ergebnissen kommt noch die Wiederaufnahme des Bundesliga-Spielbetriebs hinzu. Zwar ohne Fans in den Stadien, meine Stimmung hellt sich aber dennoch merklich auf.

Wir optimieren noch ein wenig die Kombination der Primer-Sequenzen in den Multiplex-PCRs und voilà: sehr passable Ergebnisse, auch im Vergleich zu anderen Laboren, die sich nun deutschlandweit zur Deutschen COVID-19 OMICS Initiative (DeCOI) zusammengeschlossen haben.

Es kommen jetzt mehr Proben aus der Virologie. Inzwischen sind wir in der zweiten Welle angekommen und gegen deren Ende setzen die Homburger Virologen nicht nur qPCRs ein, sondern auch Schmelzkurvenanalysen, mit denen man schnell und zuverlässig auf verschiedene Virusvarianten testen kann. Ach ja, da war was in der Presse. In England wurde eine Variante gefunden, die sich dort sehr schnell verbreitet. Na, dann wird es nicht lange dauern, bis wir die auch hier sehen werden. Und in Südafrika und Brasilien haben sich auch schon Varianten entwickelt. Bislang weiß noch niemand zuverlässig, ob diese ansteckender sind und/oder einen schwereren Krankheitsverlauf verursachen.

Plötzlich haben Bundes- und Landesregierung ein großes Interesse an der Sequenzierung von SARS-CoV-2. Dafür soll es sogar Geld geben. Aber: Können wir die Varianten schnell, zuverlässig und vor allem flächendeckend aufspüren, wenn wir fünf bis zehn Prozent aller positiv getesteten Proben sequenzieren?

Wiederbelebte Methode

Nach einer erwartbaren zweiwöchigen Quarantänephase in der KiTa (mein Sohn wurde glücklicherweise negativ getestet) saß ich mit meinem Chef zusammen. Wir diskutierten, ob es nicht Sinn machen würde, eine alte in unserem Labor gut etablierte und leicht aufzusetzende Technik zur Detektion von SNPs in größerem Maßstab wiederzubeleben. Aus den ersten Publikationen zu den Virusvarianten konnte man entnehmen, dass einige wenige Mutationen im Spike-Protein charakteristisch für die jeweilige Variante sind. Da es sich meist um SNPs handelt, wäre dies ein gangbarer Weg. Die Methode ist schnell sowie kosteneffizient, und das zu testende Portfolio lässt sich flexibel mit neu auftretenden Varianten erweitern.

Die in Frage kommende Technik ist eine Modifikation der guten alten Single Nukleotide Primer Extension (SNuPE), bei der die Varianten-spezifisch verlängerten Oligos mit einer HPLC getrennt werden. SNuPE wurde bereits 1999 von Hoogendoorn et al. beschrieben (Hum. Genet. 104(1): 89-93). In den vergangenen 15 Jahren haben wir die Methode immer wieder für Bisulfit-basierte Methylierungsanalysen spezifischer CpG-Stellen oder zur raschen Detektion von Krebs-relevanten Mutationen eingesetzt (J. Med. Genet. 47(6):371-6; Int. J. Cancer. 130(3): 567-74).

Analyse mit Multiplex-Ansatz

Das sah vielversprechend aus: Charakteristische Varianten wie N501Y und E484K liegen recht dicht beieinander und könnten mit einem PCR-Primerpaar und zwei SNuPE-Primern in einem Multiplex-Ansatz analysiert werden. Für A570D und D614G (diese Variante hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits weltweit durchgesetzt) sowie P681H und T716I gilt dies analog. Und mit V1176F kann man zwischen südafrikanischer und brasilianischer Variante unterscheiden – super! Also etablieren wir für V1176F eine Multiplex-PCR zusammen mit P681H sowie T716I und analysieren diese Stelle in der Routine mit.

Schnell und kostengünstig

Die Etablierung der PCRs und SNuPE-Reaktionen sowie der Acetonitril-Gradienten für die HPLC-Trennung schließen wir in kurzer Zeit ab. Erste Tests deuten darauf hin, dass diese Methode nicht nur schnell und kostengünstig ist, sondern auch Mutationen in Proben mit niedriger Viruslast zuverlässig bestimmen kann und damit sensitiver ist als die in der Homburger Virologie durchgeführte Schmelzkurvenanalyse. So gelang es uns, durch Optimierung der PCRs, Proben mit Ct-Werten bis zu 35 noch zuverlässig zu genotypisieren.

Die Homburger Kollegen meldeten unsere Ergebnisse, bei denen lokal sehr begrenzt englische oder südafrikanische Virusvarianten detektiert wurden, sofort an die Gesundheitsämter weiter. Die Träger der Varianten wurden von diesen dann unter besonderer Beobachtung in Quarantäne geschickt, der Anteil an Infektionen mit der südafrikanischen Variante so um Zweidrittel reduziert – mit der Sequenzierung wäre dies nicht so schnell möglich gewesen. Selbstverständlich haben wir die Proben stets auch zur Validierung sequenziert.

Die hundertprozentige Übereinstimmung zwischen SNuPE- und Sequenzier-Ergebnissen, die wir dabei fanden, hat uns dazu motiviert, die Technik als Schnelltest weiterzuverwenden und die Ergebnisse in einer wissenschaftlichen Publikation zusammenzufassen. Das Paper befindet sich zur Zeit im Review-Prozess und wurde von uns zusätzlich in medRxiv hochgeladen (doi.org/10.1101/2021.03.15.21253586).

Mittlerweile sehen wir mit der dritten Welle weitere Varianten, wie zum Beispiel B.1.1.318 und können nur hoffen, dass die Impfkampagne nicht durch Impfstoff-kompromittierende Mutationen erschwert wird. Auch wenn unsere Anstrengungen einen kleinen Beitrag zum besseren Verständnis der Epidemiologie leisten, so hoffe ich doch, dass wir sie im Laufe des Jahres reduzieren können, wenn die zunehmende Zahl geimpfter Personen die Verbreitung von SARS-CoV-2 zurückdrängt. Viele Kollaborationspartner, deren Labore an Universitätskliniken angeschlossen sind, wurden bereits geimpft. Wenn genügend Impfstoff da ist und das Impfangebot auf alle Bürger ausgeweitet wird, werde ich mich sofort um einen Impftermin bemühen. Die Stimmen aus dem Familien- und Freundeskreis hierzu sind einmütig. Und ich habe meinem Sohn ein Versprechen gegeben: nach der Pandemie werde ich mit ihm zu einem Bundesligaspiel ins Stadion gehen.