Editorial

Pleiten, Chaos, Rennerei

von Cornel Mülhardt


Experimentator-Autor Cornel Mülhardt, inzwischen weithin als Goethe der Molekularbiologie bekannt, hat sich diesmal die Polymerase-Kettenreaktion vorgenommen. Diese Technik scheint bei ihm einst so manche seelische Verstimmung ausgelöst zu haben, deren Auswirkungen bis heute anhalten. Doch steht es einem Autor an, Selbsttherapie auf Kosten der Forschergemeinde zu betreiben? Urteilen Sie selbst und genießen Sie die Beichte eines eines in vielen Schlachten gezeichneten PCR-Mannes.

Willkommen im neuen Jahrtausend (die Puristen mögen mir verzeihen). Ich hoffe, Sie haben den Jahreswechsel heil überstanden und auch den Jahrtausendkäfer, diesen elektronischen Godzilla, überlebt - Sie sehen, ich bin Optimist, denn zum Zeitpunkt, da ich diese Zeilen schreibe, ist nichts fraglicher als eben dieses. Sie haben bereits Ihre Runde im Labor gedreht und beruhigt festgestellt, daß die Pipetten noch pipettieren, der Kühlschrank noch kühlt und die PCR-Maschine... Gehen wir einmal davon aus, daß auch dieses Wunderwerk der Steuerungselektronik sich keine Gedanken darüber macht, ob wir heuer das Jahr 2000 oder 1900 schreiben. Was leider nichts daran ändert, daß auch im neuen Jahr so manche Amplifikation in den Sand gesetzt werden wird.

Dabei ist es doch so einfach, gewaltige Mengen DNA aus dem Nichts zu erschaffen. Man nehme eine thermostabile DNA-Polymerase, zwei Primer, Nukleotide, einen passenden Puffer und ein wenig Template und los geht’s. Im Gegensatz zu vielen anderen Methoden ist die PCR schnell - nach zwei bis drei Stunden hat man bereits ein Ergebnis vor Augen - und funktioniert meist. Sie funktioniert sogar so gut, daß man im Laufe der Zeit immer wagemutiger wird und zu experimentieren beginnt, bis schließlich die ganze Portion Glück, die der Gott der Anfänger jedem Neuling zugesteht, aufgebraucht ist. Es folgt ein tiefer Seufzer und von diesem Moment an wird nichts mehr so sein, wie es einmal war.


eine wundervolle Technik...

Wir alle wissen mittlerweile, daß die Polymerase-Kettenreaktion eine wundervolle Technik ist, mit der man mittels magischer Amplifikation aus einem DNA-Molekül zwei, aus denen vier und aus denen noch viel mehr macht, bis man am Ende auf dem Agarosegel eine schöne fette DNA-Bande sieht. Die Lehrbücher verschweigen allerdings, daß man, sobald man dem Übermut verfällt, auch ganz andere Dinge zu sehen bekommt. Das Ergebnis fällt dann in eine der folgenden Klassen: man sieht gar nichts, man sieht einen Schmier, man sieht mehr als eine Bande oder man sieht eine schöne Bande, die aber leider die falsche Größe hat.

Die Zahl der möglichen Ursachen ist Legion. Deshalb können auch erfahrene PCRisten nur Mutmaßungen darüber anstellen, was wohl diesmal wieder schiefgelaufen ist. Ich will hier meinen kleinen Beitrag zur allgemeinen Verwirrung leisten, wohlwissend, daß die Liste unvollständig bleiben wird. Wer weitere Möglichkeiten kennt, ist herzlich eingeladen, sie dem Laborjournal zukommen zu lassen.


Keine Bande - was tun?

Die Abwesenheit einer Bande mag als die hoffnungsloseste Variante erscheinen, ist aber oft am leichtesten zu erklären. Meist hat man irgendetwas beim Pipettieren vergessen - vor allem bei Anfängern beliebt - oder eine der Komponenten hat den Geist aufgegeben. Letzteres ein besonders fieses Phänomen, weil es aus heiterem Himmel kommen kann. Manchmal ist es die Polymerase, wenngleich dies Enzym, das man problemlos eine halbe Stunde lang kochen kann, nur schwer zu meucheln ist. Viel häufiger sind die Nukleotide schuld, die von Natur aus labil sind und häufiges Auftauen oder gar eine Lagerung bei 4 °C leicht übelnehmen. Auch die Primer können ihr Leben aushauchen, wenn man nicht sauber arbeitet und es zur Nukleasekontamination kommt. Doch in der Regel sind Primer pflegeleicht und im Kühlschrank monatelang stabil. Eine weitere banale Möglichkeit ist, daß das Template gar nicht die Sequenz enthält, die man gerne amplifizieren möchte. Raffinierter wird’s, wenn die Sequenz zwar vorhanden ist, aber in so geringen Mengen, daß man nach einer Amplifikation noch kein Produkt sieht. Die Lehrbücher erzählen zwar, daß es für eine erfolgreiche PCR nur eines Templatemoleküls bedarf, verschweigen dabei aber zumeist, daß man bei so geringen Mengen zwei aufeinander folgende Amplifikationen benötigt, um sichtbare Mengen an Produkt zu erhalten.



Eine originelle Variante ist, daß das Template zwar vermeintlich die richtige Sequenz enthält, man jedoch in der allgemeinen Laborkonfusion oder in einem Anfall geistiger Umnachtung die Primer für eine andere Spezies verwendet und beispielsweise versucht, mit Maus-Primern Menschensequenzen zu amplifizieren. Das kann klappen, tut’s aber meistens nicht.

Selbst mit den richtigen Primern und dem richtigen Template bleibt man erfolglos, wenn die Schmelztemperatur der Primer unter der verwendeten Annealingtemperatur liegt. Das braucht nur bei einem der beiden Primer der Fall zu sein, und das ganze Unternehmen scheitert. Es empfiehlt sich daher, immer zwei Primer mit ähnlicher Schmelztemperatur zu verwenden beziehungsweise von vornherein alle Primer so zu entwerfen, daß sie die gleiche Schmelztemperatur (+/- 2 °C) besitzen. Ein weiterer kritischer Punkt ist eine lausige Template-Qualität. Mitunter verwendet man in seiner Not ein schlecht gereinigtes Template, das irgendeinen Dreck enthält, z.B. Häm, SDS oder Phenol, der die ganze Reaktion lahmlegt. Oder das Problem liegt in der Sequenz der DNA, die man amplifizieren möchte. Manche Sequenzen können kunstvolle Sekundärstrukturen ausbilden, die die Taq-Polymerase nicht aufzudröseln vermag. In diesem Fall sollte man es mit einer anderen Polymerase versuchen. Auch dies kann zu Problemen führen, weil die Produktivität mancher Polymerasen wesentlich geringer ist als die der Taq und so die Ausbeute jämmerlich ausfällt1.


zu viele Banden?

Schwieriger wird’s, wenn man zu viele Banden sein Eigen nennt. Dann heißt es optimieren, bis die Primer nur noch dort hybridisieren, wo sie sollen. Gott weiß, wie schmerzhaft langwierig und frustierend solche Optimierungsarbeiten sein können, angesichts der vielen Parameter, an denen man schrauben kann. Am beliebtesten sind die Veränderung (meist Erhöhung) der Annealingtemperatur und Magnesiumkonzentration des Puffers. Wer eine PCR-Maschine mit Gradientenblock zur Verfügung hat, kann beides in einem Aufwasch testen. Die ideale Annealingtemperatur liegt etwa 5 °C unter der Schmelztemperatur der Primer, von dort aus hangelt man sich in Schritten von 1-2 °C nach oben. Höhere Temperatur bedeutet höhere Spezifität, allerdings leidet darunter häufig auch die Ausbeute. Der Einfluß von Mg2+ auf die Reaktion ist komplexer; abgesehen davon, daß die Polymerase freies Mg2+ benötigt, werden auch etliche andere Faktoren von Mg2+ beeinflußt. Da hilft nur ausprobieren: im Normalfall kommt man mit 2 mM MgCl2 ganz gut hin, sonst sollte man sein Heil irgendwo im Bereich zwischen 0,5 und 2,5 mM suchen. Auch die Zugabe von DMSO (bis zu 10%), Formamid (bis 10%) oder kommerzielle PCR Enhancer können in einigen Fällen helfen. Eine weitere Möglichkeit ist der Hot Start, mit dem man vermeidet, daß die Polymerase bereits in der Aufheizphase ganz zu Beginn des PCR-Programms Unsinn macht. Ursprünglich bestand der Trick darin, die Polymerase erst zuzugeben, wenn der Heizblock die Denaturierungstemperatur erreicht hat, inzwischen gibt es eine große Zahl von Protokollen, Zusätzen und Polymerase-Varianten, die dafür sorgen, daß die Polymerase nicht vorzeitig loslegt.

Viel billiger und mitunter genauso erfolgreich ist der sogenannte Cold Start - man pipettiert den ganzen Schamott konsequent auf Eis und stellt ihn erst in die Maschine, wenn der Block heiß ist. Manchmal kann man das Problem auch lösen, indem man die Komplexität des Templates reduziert, soll heißen die Zahl verschiedener Sequenzen im Template. So ist das Risiko, daß der Primer fremdgeht, bei einer genomischen DNA höher als bei cDNA oder gar einer Plasmid-DNA. Und wenn alles nichts hilft, gibt’s immer noch die ziemlich billige Lösung, einen neuen Primer zu bestellen. Meist ist nur einer der beiden Primer die Ursache des Übels, es reicht dann häufig, die Sequenz um einige Nukleotide zu verschieben, um blütenreine Banden zu bekommen. Fortsetzung folgt...


1 Die Zahl der thermostabilen Polymerasen ist mittlerweile so groß, daß es schwierig ist, den Überblick zu behalten. Ich wäre daher dankbar für jede Art von Erfahrungsberichten.




Letzte Änderungen: 08.09.2004