Editorial

Klonieren im Eilschritt

Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp

von CORNEL MÜLHARDT


Die Molekularbiologie ist eine bewegte Wissenschaft. Vielen (eigentlich allen) Chefs gehts aber bei den eigenen Leuten immer viel zu langsam voran. Cornel Mülhardt gibt Tipps, wie man bei langwierigen Klonierungs-Marathons den Turbo startet und so beim Boss Punkte sammelt.

Seinerzeit, vor vielen Jahrzehnten, als ich noch sehr sehr jung war, war eine meiner wildesten, sehnlichsten Phantasien, durch die Betten der Heerscharen meiner Verehrerinnen zu hüpfen. Tja, wie man sich das als Mit-Müh-und-Not-Pubertierender halt so erträumt – sie wissen vermutlich, was ich meine. Wovon die parallel zu mir vor sich hin pubertierenden Damen träumten, weiß ich nicht, jedenfalls ganz offensichtlich nicht dasselbe.

Früh im Leben also bereits vernichtend gescheitert, verlagerten sich die Sehnsüchte langsam. Das kennen Sie vermutlich ebenfalls. Im Zuge von Diplom- und Doktorarbeit vom Erfolgsdruck zur Nachtarbeit verdonnert, wurde der Traum vom Hoppeln durch die Betten zunehmend abgelöst von der Sehnsucht nach nur einem Bett, nämlich dem eigenen. Decke über den Kopf und aus die Maus!


Hüpfen sah ich in meinen wilden Phantasien angesichts endloser Reihen von Klonierungen nur noch eines, nämlich DNA-Fragmente, die von ganz alleine in ihre Vektoren sprangen.

Denn egal, woran man in der Molekularbiologie auch arbeitet, irgendwie ist man immer damit beschäftigt, Fragmente hin- und herzuklonieren, mal auf der Suche nach der Mutter aller Klone, dem Konstrukt, das alles kann, oder aber, ganz bescheiden, einfach nur in der Hoffnung, mal endlich ein Expressionssystem zu finden, mit dem man das Protein, mit dessen Analyse man ursprünglich seine Doktorarbeit bestreiten sollte, endlich in nennenswerten Mengen exprimiert bekommt.


Ganz nach dem Leitspruch "Hingeschaut und mitgebaut"

Zur Bekämpfung von Widrigkeiten dieser Art finden sich seit einigen Jahren Rekombinasesysteme auf dem Markt, mit denen sich das Klonieren quasi von alleine erledigt. Das Prinzip dahinter fasziniert mich ungeheuer, weil es sich um eine elegante Ausnutzung von Prinzipien handelt, die eigentlich schon länger bekannt sind, ganz nach dem Motto "Hingeschaut und mitgebaut". Rekombination ist ja fürwahr keine Neuigkeit. Es gibt sie in einer primitiven, sprich unspezifischen Variante, wie sie beispielsweise unsere Keimdrüsen betreiben, damit unsere Nachkommen vielleicht einmal besser sein werden als wir, und in einer hochspezifischen Version, die sich bei den kleinsten unserer Zeitgenossen, den Bakteriophagen, findet. Winzig, wie sie sind, haben es sich einige schon lange zur Gewohnheit gemacht, ins Genom ihrer Wirtszelle und wieder heraus zu hüpfen.

Sie erinnern sich vielleicht noch an Ihr Grundstudium, an den Phagen l mit seinen lytischen und lysogenen Zyklen? Dahinter steckt ein System aus Rekombinase einerseits und Erkennungssequenzen im bakteriellen wie im viralen Genom andererseits. Dieses erlaubt dem Phagen, sein Genom ganz gezielt an einer bestimmten Stelle des bakteriellen Genoms zu integrieren und dort auf bessere Zeiten zu warten, nur um es irgendwann wieder zu verlassen und sich selbstständig zu machen.


Unschuldige Bakterien, grausig transformiert

Ein Enzymkomplex und ein, zwei Erkennungssequenzen. Ein so simples System musste einfach irgendwann für Laborzwecke missbraucht werden. Verschiedene Varianten sind auf dem Markt, basierend auf den Rekombinasesystemen des Phagen lambda beziehungsweise dem Cre-lox-System des Phagen P1.

Vom Ablauf her sind alle gleich einfach: Man nehme einen Donorklon, der das zu klonierende Fragment enthält, und einen Akzeptorklon, in den man es hineinbugsieren möchte, pipettiere Rekombinase dazu, inkubiere und transformiere unschuldige Bakterien mit dieser Mixtur. Zieht man die Bakterien im richtigen Selektionsmedium heran, überleben nur die Guten (in der Praxis schaffens natürlich immer auch ein paar Böse, aber im allgemeinen sind es erfreulich wenige).

Die simpelste Variante besteht darin, dass man Donor- und Akzeptorklon einfach miteinander fusioniert. Der Donor enthält dabei die cDNA-Sequenz, der Akzeptor einen passenden Promoter, und weil Rekombination so schön sequenz- und orientierungsspezifisch ist, steht dann im Produkt die cDNA unter der Kontrolle des gewünschten Promoters und kann exprimiert werden. Invitrogen bietet dieses System unter dem Namen "Echo" an, mit geeigneten Akzeptorvektoren für die Expression in Bakterien, Hefen, Insekten oder Säugerzellen.


Komplexer und doch viel kleiner

Komplexer ist da schon die Variante, die Clontech unter der Bezeichnung "Creator" vertreibt. Statt Donor und Akzeptor einfach miteinander zu verschmelzen, wird hier nur die gewünschte cDNA (zusammen mit einem Selektionsgen) aus dem Donorkonstrukt herausgeschnitten und in den Akzeptor eingesetzt. Das Produkt ist folglich deutlich kleiner, weil der Vektorhintergrund des Donorkonstruktes nicht mitkloniert wird.

Akzeptorvektoren gibt es natürlich auch hier in rauhen Mengen, zwecks Expression in verschiedenen Systemen, zur Herstellung von Fusionsproteinen (zum Beispiel mit fluoreszierenden Proteinen), zur regulierten Expression und so weiter. Ein wenig störend ist nur, dass das rekombinierte Fragment einen Selektionsmarker (in diesem Fall für Chloramphenicol) enthalten muss, um gute von bösen Produkten zu unterscheiden.


Flexibel: Kassettentausch am Gateway

Am flexibelsten ist da bislang das "Gateway"-System von Invitrogen. Das liegt an der l-Rekombinase, die vier verschiedene Erkennungssequenzen unterscheidet und so eine "gezieltere" Rekombination erlaubt. Übertragen wird nur das gewünschte DNA-Fragment (an beiden Enden flankiert von jeweils einer Erkennungssequenz), was nicht nur das Umklonieren in andere Vektoren, sondern auch das Austauschen von Kassetten innerhalb eines Proteins erlaubt. Bei Invitrogen experimentiert man gegenwärtig mit weiteren spezifischen Erkennungssequenzen herum; am Ende soll es dann möglich sein, in einer einzigen Reaktion drei bis fünf Fragmente zu einem Produkt zusammenzusetzen – ein faszinierender Gedanke...

Schönheitsfehler hat dieses Klonierungsparadies auf Erden natürlich auch. Der erste wäre, dass bei aller Flexibilität, die die genannten Systeme bieten, das Produkt in jedem Fall die Erkennungssequenz der Rekombinase enthält. Die ist zwar nicht sonderlich groß – 25 bp im Fall von l, 34 bp im Fall von Cre-lox – und stört auch nicht weiter, sofern sie nicht in einem kodierenden Bereich liegt.


Schönheitsfehler eins: Die Rekombinase-Sequenz

Wenn das aber doch der Fall sein soll, dann hat man ein im Vergleich zur klassischen Klonierung vergleichsweise großes Problem. Restriktionsschnittstellen lassen sich meist ohne allzu große Schwierigkeiten unauffällig in einer kodierenden Sequenz unterbringen, während das Einfügen von acht bis elf Aminosäuren vom Protein nicht so einfach weggesteckt wird.

Der zweite Schönheitsfehler ist die Sache mit den Patenten. Natürlich sind all diese Herrlichkeiten durch Patente geschützt. Diese gestatten normalerweise problemlos den Einsatz des jeweiligen Systems im Forscheralltag, sobald Sie aber das Ergebnis Ihrer Arbeit gewinnbringend nutzen wollen, werden Sie tributpflichtig.


Schönheitsfehler zwei: Patenteigner wollen Cash

Doch selbst wenn Sie Ihre Doktorarbeit nicht versilbern wollten, entkommen Sie der Problematik nicht ganz, weil die Vertreiber der Systeme natürlich ihrerseits ebenfalls an Patente gebunden sind und daher nur ganz bestimmte Promotoren oder Fusionsproteine im Angebot haben. Da die Systeme untereinander nicht kombinierbar sind, legen Sie sich mit der Wahl für ein System bereits ganz zu Beginn für den Rest Ihres Projektes fest. Eine Gewissensfrage, die nicht jedem schmecken dürfte.

Oder, um mit Friedrich Schiller zu sprechen: "Denn wo das Strenge mit dem Zarten, wo Starkes sich und Mildes paarten, da gibt es einen guten Klang. Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet. Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang."

So ist das also, mit Qualitätsglocken genau so wie mit Express-Klonierungen. Lob, Kritik, Anmerkungen und Beschwerden übrigens wie immer an: cornel.muelhardt@web.de




Letzte Änderungen: 08.09.2004