Editorial

Klonieren, Teil 1

Wie man das Ding in das Dingens bekommt

von Cornel Mülhardt


...da erscheint sofort ein Pfeil und da drücken Sie dann drauf, und schon geht die Tube auf! Sorry, aus schriftstellerischer Sicht war es zwar nicht notwendig, aber ich fühlte mich trotzdem getrieben, den gesamten Refrain unterbringen, weil dieses Kleinod deutscher Dichtkunst* sonst unterzugehen droht; mir selbst jedenfalls war nur noch die erste Zeile geläufig.

Man schneidet also ein Fragment aus einem beliebigen Konstrukt aus und ligiert es in einen anderes Plasmid hinein. Kann jeder Dummi. Das ist zumindest, was ein jeder Student, Doktorand oder Laborant zu hören bekommt. Im Prinzip stimmt das auch, selbst wenn ich einst ein halbes Jahr lang an einer solchen simplen Klonierung scheiterte. Offenbar reicht es nicht, dass der Dummi weiß, dass es geht, das Fragment muss das auch wissen.

Was tun bei uneinsichtigen Fragment en?

Welche Möglichkeiten aber hat man, wenn das Fragment sich uneinsichtig zeigt? Vermutlich sind es unendlich viele und definitiv mehr, als ich kenne, weshalb die folgenden Ausführungen auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sondern mehr als Anregung für Anfänger, Neueinsteiger und andere Hobbyklonierer gedacht sind. Bekanntlich scheitern große Aufgaben meist an den Kleinigkeiten; vielleicht finden Sie sich in einer davon wieder.

Sie wollen also einen DNA-Abschnitt aus einem DNA-Konstrukt in ein anderes transferieren. Kein Problem, sofern die passenden Restriktionsschnittstellen vorhanden sind: Verdau, Fragment reinigen, in den neuen Vektor ligieren. Manchmal sind die Schnittstellen des Fragments etwas exotischer als die im Vektor; wie gut, wenn man dann noch weiß, dass etliche Restriktionsenzyme kompatible Enden produzieren, die sich miteinander ligieren lassen. Auseinanderschneiden kann man das Produkt im Normalfall dann nicht mehr, aber damit lässt sich meist leben. Standardnachschlagewerk für diese Art von Fragen ist seit langem der Katalog der Firma New England Biolabs, die auch eine Seite mit allerlei nützlichen Tools unterhält (http://rebase.neb.com), welche bei der Planung von Klonierungen nützlich sein können. Zwei Kompatibilitäts-"Familien", auf die ich immer wieder gerne zurückgreife, sind BamH I /Bgl II/Bcl I/Sau3A und Spe I/Avr II/Nhe I/Xba I, doch finden Sie sicherlich noch mehr davon.

Häufig sind nicht alle Mitglieder einer solchen Familie pflegeleicht - so ist beispielsweise Bcl I absolut methylierungs-sensitiv - was die Sache etwas komplizierter gestaltet. Vielleicht findet sich ja noch eine Biotech-Firma, die sich um die Komplettierung und Vereinfachung solcher Familien verdient machen möchte!?



Gewaltklassiker aus Vor-PCR-Zeit

Wenn die Schnittstellen nicht kompatibel sind, kann man's manchmal trotz allem mit Gewalt erzwingen. Die Methode nennt sich (Partial) Fill-in und ist ein Klassiker aus der Vor-PCR-Zeit, der mir in Vergessenheit zu geraten scheint, weil er doch mit einem gewissen Aufwand verbunden ist. Der Grundgedanke lautet: Wenn ich keinen passenden Vier-Basen-Überhang finde, könnte es ein kleinerer, beispielsweise ein Drei-, Zwei- oder Ein-Basen-Überhang, ja auch tun. So sind Xba I (CTAG-Überhang) und Hind III (AGCT-Überhang) eigentlich nicht kompatibel, doch wenn man die beiden Basen nahe dem Doppelstrang auffüllt, bleibt in beiden Fällen ein AG-Überhang übrig, der ligiert werden kann. Dies gelingt, wenn man DNA-Fragment, DNA-Polymerase und die notwendigen Nukleotide - im obigen Beispiel wären das dCTP und dTTP für Xba I und dATP und dGTP für Hind III - miteinander inkubiert. Die verwendete Polymerase darf keine 5'->3'-Exonuclease-Aktivität besitzen, sonst wird der Überhang abgeknabbert; klassischerweise finden die T4-Pol oder das Klenow-Fragment Anwendung. Die genauen Versuchsbedingungen findet man in jedem Laborhandbuch. Die Methode funktioniert nur bei 5'-Überhängen, weil die Polymerase diese als Template benötigt, doch fallen glücklicherweise die meisten Standardrestriktionsenzyme in diese Kategorie.

Im Extremfall kann man auch den gesamten Überhang auffüllen, dann erhält man glatte Fragment-Enden, die mit jedem anderen glatten Fragment ligierbar sind, dann muss man nicht so viel nachdenken - diese Vorgehensweise ist daher in manchen Labors sehr beliebt.


Abknabbern statt auffüllen

Man kann einen Überhang allerdings nicht nur auffüllen, man kann ihn auch abknabbern lassen. Das gilt insbesondere für 3'-Überhänge, weil diese gar nicht aufgefüllt werden können. Wer nun meint, es handle sich dabei um die Fill-in-Version für Pipettierfaule, weil man da auf die Nukleotide verzichten könne, den muss ich leider enttäuschen. Der 3'->5'-Exonuclease-Aktivität des Enzyms ist es nämlich ziemlich egal, ob sie es mit einem einzelsträngigen oder einem doppelsträngigen 3'-Ende zu tun hat, sie knabbert einfach ab und wird bestenfalls durch die Polymerase-Aktivität gestoppt, welche wieder auffüllt, wenn sich ein Template-Strang auftut - was allerdings die Anwesenheit von Nukleotiden erfordert. So bildet sich ein stabiles Gleichgewicht zwischen Ab- und Aufbau heraus, das erst sein Ende nimmt, wenn die Nukleotide aufgebraucht sind und der Abbau wieder die Oberhand gewinnt. Weshalb man eine solche Reaktion nicht gerade über Nacht laufen lassen sollte.

Fill-in und Blunt ending setzen aber in jedem Fall eine Restriktionsschnittstelle voraus, die sich in den meisten Fällen genau dort, wo man ihrer bedürfte, nicht findet. Weil der gemeine Laborschleicher sich sowas in Zeiten der Genomsequenzierung natürlich nicht mehr bieten lässt, findet heutzutage die PCR beim Klonieren rege Verwendung. Da die Primersequenzen frei gewählt werden können, lässt sich jeder beliebige DNA-Abschnitt vorne und hinten mit den gewünschten Schnittstellen versehen, amplifizieren, reinigen und wie gewohnt klonieren.


Fallen Sie nicht auf die Nase mit endständigen Schnittstellen!

Diese Methode ist mittlerweile auch schon zum Klassiker avanciert und dementsprechend sind die Meisten mit den typischen Tücken der Methode vertraut, insbesondere der Tatsache, dass sich einige Schnittstellen nur schlecht schneiden lassen, wenn sie ganz am Ende des PCR-Fragments sitzen. Auch hier gibt der NEB-Katalog wertvolle Hinweise. Bei den meisten Feld-Wald-und-Wiesen-Enzymen reichen zwei Basen jenseits der Schnittstelle schon aus, um Verdauausbeuten von 90 Prozent und darüber zu erreichen, doch kann man immer wieder böse auf die Nase fallen, sofern man hier allzu blauäugig arbeitet, da sich einige gängige Enzyme wie Not I oder Xho I mitunter ganz schön anstellen können.

Perfide dabei ist, dass sich die Effizienz, mit der das Enzym geschnitten hat, nur mit großem Aufwand messen lässt. Schon deswegen sollte man angesichts der heutigen Preise pro Base das 5'-Ende eines solchen Primers lieber ein paar Nukleotide länger als kürzer ausfallen lassen, statt das Risiko von unvollständig geschnittenen, unklonierbaren Fragmenten einzugehen.

Zwischen den Extremen: Fehler oder schwache Ausbeuten

Von manchen wird leider auch heute noch die Tatsache ignoriert, dass die Taq-Polymerase recht viele Fehler macht. Thermostabile Polymerasen mit Korrekturleseaktivität arbeiten da wesentlich zuverlässiger, bieten aber mitunter wenig berauschende Amplifikationsausbeuten, während sich Polymerase-Mixe bezüglich Fehlerhäufigkeit irgendwo zwischen den Extremen bewegen. Egal, welche Polymerase man verwendet, wer seriös arbeitet, sollte in jedem Fall sequenzieren - die Wahl der Polymerase hat eigentlich nur Einfluss auf die Zahl der Klone, die man analysieren muss, bis man einen ohne Mutationen findet.

So, Ende des ersten Teils. Nächstes Mal mach ich Sie bekannt mit ein paar Enzymen, von denen Sie noch nie etwas gehört haben, und dann geht's weiter mit den etwas neueren Klonierungsmethoden. Wer eine pfiffige Methode kennt, ist übrigens gerne eingeladen, sie mir zu schicken (liebe Biotechs, jetzt ist eure Stunde gekommen - es ist kit time!). Ansonsten wünsche ich den Faulenzern eine geruhsame Sommerpause und den Unermüdlichen viel Spaß beim vergeblichen Kampf um den Nobelpreis.

Lob, Kritik, Anmerkungen oder Beschwerden bitte wie immer mailen an: cornel.muelhardt@web.de


*Michael Friedrich Wilhelm "Mike" Krüger (geb. 1951 in Ulm), deutscher Schauspieler, Sänger und Komödiant. Der Nummer-Eins-Hit "Der Nippel" des gelernten Betonbauers erreichte 1980 Goldstatus in Deutschland und in Österreich sogar Platin.




Letzte Änderungen: 08.09.2004