Editorial

Noch mehr PCR-Pleiten!

von Cornel Mülhardt


Experimentator-Autor Cornel Mülhardt führt uns heute ein in Biologie und Psychologie der Banden. Genauer: in die Subspezies der PCR-Banden, die der leidgeprüfte Altmeister einige Jahre in einiger Anzahl sammelte, prüfte und (in der Regel) verwarf. Mühlhardt geht streng wissenschaftlich vor: Er klassifiziert, charakterisiert und hört auf seine Frau. Inspiriert von dem großen Biochemiker Kurt Tucholsky und dessen Untersuchung des Loches, widmet Mülhardt die gründlichsten Überlegungen dem SCHMIER. In der Tat vermag es der gewöhnliche Schmier an Formenvielfalt mit dem gemeinen Loch aufzunehmen. Auch löst Schmier im Gel oft ähnliche sprachliche Reaktionen aus wie das Loch in der Hose. Nur bei der Tiefe scheint der Schmierologe dem Lochforscher unterlegen zu sein, ist doch dem Loch die 3. Dimension gewissermaßen immanent, während der Schmier einen mehr flächigen Charakter besitzt. Erstaunlichweiser weisen Mülhardts schmierige Überlegungen dennoch eine gewisse Tiefgründigkeit auf.

Was in der letzten Folge geschah: Der Autor behielt recht und die Welt ging nicht unter - Die PCR wurde erfunden - Der Kampf um die PCR-Maschine wurde erfunden - Das Gel, auf dem man nur den Größenmarker sieht, trat seinen Siegeszug um die Welt an.




Der Schmier

KEINE BANDE haben wir bereits durchgekaut, ZU VIELE BANDEN hatten wir auch schon. Machen wir weiter mit der Katastrophen nächstem Teil: dem SCHMIER. Der Schmier zeichnet sich dadurch aus, dass man irgendwas sieht, aber auch irgendwie wieder nichts. Und schon gar nichts, was einen glücklich machen würde.

Schmiers sind gefährlich, weil sie vielerlei Interpretationen erlauben - erst recht, wenn sich der Schmier hier und da verdichtet zu Strukturen, die der hoffende Geist als Banden interpretieren könnte.

Meist sind sie die Mühe nicht wert, die man in ihre Interpretation investiert - wenn man von einigen Spezialfällen wie beispielsweise dem Differential Display absieht. Ein Schmier kann beispielsweise die Tatsache kaschieren, dass sich während der Amplifikation haufenweise Unsinn abgespielt hat, weil kein passendes Template vorhanden war, da man beispielsweise im morgendlichen Blindflug das falsche Plasmid erwischt hat. Oder er entsteht, weil man die Zahl der Zyklen übertrieben hat - aus dem Wunsch heraus, wirklich ganz ganz ganz viel Produkt zu bekommen. Überhaupt ist der Schmier typisch für Momente, in denen man zu viel von der Wundermethode PCR erwartet. In meiner Sturm- und Drangzeit dachte ich noch, es müsse doch ausreichen, ein wenig von einem alten PCR-Produkt als Template für die nächste PCR zu verwenden, um eine Art Perpetuum Amplificabile zu erhalten.

Editorial

Editorial

Nach einigen Amplifikationen machte sich dann regelmä(section)ig DER SCHMIER breit. In der Zwischenzeit weiß ich: Wer solche Mätzchen treibt, sollte das Produkt zuvor Über ein Gel reinigen, sonst akkumuliert er von Amplifikation zu Amplifikation nur die allfälligen Nebenprodukte. Wann sich der Schmier offenbart, hängt dann hauptsächlich davon ab, wie ordentlich die erste PCR funktionierte. Ein weiterer Grund könnte das Zu-viel-des-Guten sein: Aus dem Bemühen heraus, möglichst alles richtig zu machen, geizt man nicht beim Template, programmiert wirklich laaaange Elongationszeiten, auf dass die Polymerase sich nicht so gehetzt fühlen muss, und viiiiele Zyklen, damit sich die Aktion auch richtig lohnt. Die Polymerase, das kleine Miststück, dankt es einem nicht unbedingt. Gelangweilt dreht sie auf dem Template ihre Runden und synthetisiert vor sich hin, bis ihr der Sprit, sprich die Nukleotide ausgehen. Wegen der großen Templatemenge ist das schon sehr früh der Fall, meinetwegen nach dem fünften Zyklus. Und was macht das doofe Ding in den restlichen fünfunddreißig Zyklen? Eben.


Die falsche Bande

Und dann wäre da noch die fiese Variante, die FALSCHE BANDE. Gemäß Murphy handelt es sich dabei um eine schöne fette saubere Bande, die einem das Herz höher schlagen Iässt. Bis man bei näherem Hinsehen feststellt, dass sie ein paar Basen zu klein oder zu groß ist, gerade so viel, dass es dem gehetzten Jungforscher nicht gleich auffäIlt. Es existiert allerdings auch die offensichtliche Variante, die deswegen nicht weniger unerklärlich bleibt. Der Purist in mir sagt "Klonieren, sequenzieren, stauned', doch wird man sich leider in den seltensten FäIlen diese Mühe machen. Dabei ist Klonieren wirklich lehrreich und würde letztlich in den meisten FäIlen die schnellste Erklärung liefern'. Denn die Alternative besteht darin, seinen Grips zu bemühen, wobei die Erfolgsrate stark vom verwendeten Grips abhängt und immer niedriger ist als man gerne hätte. Eine "Erklärung" bekommt man so natürlich schneller, doch stellt sich häufig nach einigen Tagen heraus, dass auch diese ein Holzweg war.

Die Ursachen für die falsche Bande liegen zumeist im Versuchstechnischen - vielleicht hat man bei den Primern danebengelangt, vielleicht hat man es mit einer Spleißvariante oder einer Isoform zu tun, oder man versucht, repetitive Elemente zu amplifizieren und wundert sich, dass man immer nur Monomere bekommt. Es kann sich also einfach um einen dieser dummen Artefakte handeln, vor denen man nie gefeit ist und die besonders gerne auftreten, wenn man genomische DNA als Template verwendet. Sollte der Grund kein technischer Fehler sein, liegt das Heil häufig in einem oder zwei neuen Primern.


Die schwindsüchtige Bande

Meine Frau meint gerade, ich solle die SCHWINDSÜCHTIGE BANDE nicht vergessen. Recht hat sie. Ich habe immerhin eine halbe Doktorarbeit damit verbracht, über die Gänge zu schleichen und jeden, der sich nicht rechtzeitig auf die Bäume rettete, zu fragen, wie man ein anderthalb-kaBee-Fragment amplifiziert. Meine verzweifelten Versuche, das Fragment meiner Träume zu ergattern, lieferten nämlich Ausbeuten, die regelmäßig knapp über der Detektionsgrenze des Agarosegels lagen. Ich fragte also und die Antworten lauteten (sinngemäß): Jubedeckel auf, Zutaten rein, Deckel wieder zu, ab in die Maschine damit und zwei Stunden später ist sie da, die Bande". Ob sie das vielleicht nur sagten, weil es so lustig war, mir zuzuschauen, wie ich meinen Wurmkörper mühsam wieder in mein angestammtes Labor zurückschob? Wie auch immer, wer Mist wiederholt wird wieder Mist ernten, und es klappte selten oder nie - bis in schlauen Leuten die Idee aufleuchtete, einen Teil Pfu- mit elf Teilen Taq-Polymerase zu mischen und heraus kam eine Mixtur, die nicht nur deutlich längere Fragmente amplifizierte, sondern auch kürzere Fragmente mit schwieriger Sequenz wesentlich besser meisterte. Meine Probleme waren gelöst. Solche Mixturen finden sich mittlerweile bei vielen Enzymvertreibern. Der Wechsel zu einer anderen thermostabilen Polymerase, vorzugsweise einer mit Korrektur-Aktivität, kann die gleiche heilvolle Wirkung haben. Manchmal helfen bei der Amplifikation auch DMSO (bis zu 10%) oder höhere Temperaturen.


Die perfekte Bande

Und schließIich wäre da noch die Bande, die so aussieht als ob und sich nach wochenlanger Arbeit als irgendein Unsinn aus dem Bakteriengenom entpuppt. Oder die perfekte Bande, die genau in den richtigen Ansätzen auftaucht, bis man sie eines Tages auch in der Leerkontrolle entdeckt und den Rest des Tages versucht zu verstehen, warum denn bitteschön einige Ansätze KEINE Bande aufwiesen. Oder...

Wie wär's mit einer weiteren Fortsetzung? Ohne mich. Wen nach mehr dürstet, der ist hiermit herzlich eingeladen, sich an die Bench zu stellen und drauflos zu pipettieren. Pro Tag zwier, macht's Jahr fünfhundertvier, beschert Anekdoten auch Dir.



l Klonieren und Sequenzieren dauert etwa vier Tage und ist damit zugegebenermaßen ziemlich langwierig. Experimentierfreudige Geister können allerdings die Bande reinigen und direkt sequenzieren - man braucht anfangs etwas Zeit, um das System einzuschießen, doch lassen sich derlei Fragen dann mit wenig Arbeitsaufwand in einem Tag beantworten.



Letzte Änderungen: 08.09.2004