Editorial

Probenaufbereitung & 3D-Gele

Alte Legenden und neue Dimensionen

von Hubert Rehm


Selbst in schnöden wissenschaftlichen Bibliotheken schlummern seltene Perlen der Dichtkunst. In einer der letzten Proteomics-Ausgaben zum Beispiel ist eine solche versteckt. Unser Methoden-Autor war begeistert.

Paper sind keine spannende Lektüre und falls doch, dann ziehen sie die Spannung aus dem Inhalt und nicht aus dem Stil: Konventionelle Wendungen, standardisierter Aufbau, zurückhaltende umständliche übervorsichtige und doch geschwollene Sprache, kurzum sprachlich sind Paper fast noch langweiliger als DFG-Anträge und das will viel heißen. Paper lesen tu ich mir inzwischen nur noch an, wenn ich muß, wenn ich zum Beispiel einen Beitrag für "Neulich an der Bench" zu schreiben habe.

Und so saß ich wieder mal in der Bibliothek und blätterte und blätterte und da sprang mir folgender Satz ins Auge: Artefacts, artefacts! This was the typical battle cry of the science establishment when a new, revolutionary technique abruptly burst onto the stage and shake the flimsy equilibria of pre-existing knowledge, dispersing it to the wind like a house of cards.


Donnerwetter! Ein Dichter unter den Forschern. Stilistisch zwar nicht ganz sauber, typical und abruptly beispielsweise hätte er besser weggelassen, aber welch ein Unterschied zu den bräsigen Eingangssätzen anderer Publikationen. Nichts mit is anticipated to advance our understanding oder the ultimate goal of xyz must be oder xyz is a powerful technique widely used for, nein, Wörter wie battle cry, house of cards und ein Erdbeben. Selbstverständlich habe ich weiter gelesen und in der Tat, es lohnte sich. Es ist die Rede von glorious examples, urban legends, von persistent myths, von mysteries, vom Stolpern in unerwartete Ergebnisse. Hier schrieb sich einer die Wut von der Seele, hier donnert eine Retourkutsche für 30 Jahre Ärger, das ist kein Paper, das ist Triumphgeschrei.


Es geht um die Probenaufbereitung für die IEF

Worum geht es? Um die Aufbereitung der Proben für die isoelektrische Fokussierung (IEF). Hier galt bisher für Wahrheit, daß die übliche Aufbereitung (Denaturierung) der Proben mit 8M Harnstoff zu Deamidierung von Asparagin und Glutaminresten und zu Carbamylierung führen könne, wenn man nicht sehr aufpasse.

Carbamylierung? Harnstoff steht im Gleichgewicht mit Ammoniumcyanat und das reagiert mit den Aminogruppen von Lysinresten. Deamidierung? Umwandlung von Asparagin- und Glutaminresten in Aspartat- bzw. Glutamatreste. Aus einer Proteinspezies entstünden so mehrere und damit in der IEF Artefaktbanden. In der Tat ist das ein weitverbreiteter Glaube, auch ich warne in der 4. Auflage des "Experimentators" vor Carbamylierungsartefakten bei der IEF (Seite 182).


Irrglaube, Einbildung, Hysterie

Das, so die Autoren des Papers, ist Irrglaube, kalter Kaffee, Einbildung, Hysterie. Es sei nie nachgewiesen worden, daß es bei einem Protein zu Artefaktbanden oder -Spots wegen Carbamylierung oder Deamidierung gekommen sein, derartige Vorwürfe seien a kind of mischievous way to turn down the competitors results in the absence of any evidence. Man müsse die Proben schon in 8 M Harnstoff kochen um aus reinen Proteinen Artefaktbanden zu erzeugen. Bei Raumtemperatur dauere es länger als zwei Tage, bis Carbamylierung auftrete und das auch nur im Reagenzgläschen. Im elektrischen Feld, also während der IEF, komme es zu keiner Carbamylierung, weil die entstehenden Cyanationen in der Anode verschwinden.

Ähnlich stehe es mit der Gefahr der Deamidierung. Um Deamidierung zu erreichen müsse man die Proteine drei Wochen in Puffer pH 9,5 bei 55 °C inkubieren. Also alles in Butter bei der IEF? Keineswegs. Zwar haben die Autoren alte Sorgen beseitigt, dafür aber eine neue gefunden: Die b-Eliminierung von SH-Gruppen in Cystein-Resten. Die soll bei langen Fokussierungszeiten und alkalischen pH-Werten auftreten und zum Bruch der Peptidbindung führen.

Was b-Eliminierung ist, wußte ich auch nicht mehr genau und habe es für Sie nachgeschlagen: Bei alkalischem pH wird aus Cystein-Resten H2S abgespalten und es entsteht ein Dehydroalaninrest. Damit einher geht ein Molekulargewichtsverlust von 34 Dalton, der zum Beispiel im MALDI-Tof gemessen werden kann. Der alkalische pH alleine reicht übrigens nicht um b-Eliminierung auszulösen. Es ist die Feldstärke, also die Fokussierung, die den Prozeß treibt. Und es bleibt nicht bei der Molekulargewichtsreduktion. Die Doppelbindung des Dehydroalanin nimmt Wasser auf und das wiederum führt zur Spaltung der Peptidbindung. Am Ende ihrer IEF steht ein Peptidsalat.

Nicht traurig sein, lieber Leser, die Autoren wissen einen Ausweg. Sie empfehlen, die Proteine vor der IEF zu alkylieren und zwar mit Acrylamid statt mit dem üblichen Iodacetamid. Wie sie überzeugend zeigen, verhindert das die Degradation in Peptide fast vollständig.


Ein schönes Paper – und gar nicht innovativ!

Ist das nicht ein schönes Paper? Es benützt nicht nur eine ungewöhnliche Sprache, es entblößt Mythen, zeigt das echte Problem auf und gibt gleich eine Lösung dafür. Es ist ein Paper aus Proteomics (2003, 3, 826-831) und der Erstautor und corresponding author heißt Ben Herbert. Dieser umfangreiche, spärlich behaarte Australier ist Executive Vice President einer Firma, von der ich noch nie etwas gehört habe. Es muß aber eine ganz ungewöhnliche Firma sein, deren Vize-Präsident der Versuchung widerstehen kann, das Wörtchen "innovative" zu verwenden. Wie dem auch sei, Herbert gehört nicht zum akademischen Establishment, was vielleicht den ungewöhnlichen Ton des Artikels erklärt: Der Mann muß keine Rücksichten nehmen.


Auf in die nächste Dimension

Noch um einiges ungewöhnlicher – nicht im Stil aber im Ansatz – ist, was Bao-Shian Lee und Kollegen in Analytical Biochemistry 317 (2003) 271-275 berichten. 2D-Gele kennt ja inzwischen jeder, aber 3D-Gele? Jawohl, auch das gibt's. Das Bao-Shian Lee-Labor macht das so: 1. Dimension ist, wie gehabt, die IEF. Als 2. Dimension dient ein 12 % SDS-Gel in Mes-Puffer und die 3. Dimension ist ein 7,5 % SDS-Gel Würfel mit Tris-Glycin Laufpuffer. Die Idee: Die 2. Dimension trennt Proteine mit niedrigem Molekulargewicht und die 3. Dimension die Proteine mit hohem Molekulargewicht.

Technisch braucht man für 3D-Gele eine Wanne mit Platindraht-Elektrode, einen oben und unten offenen Glaskasten und ein passendes Kupfernetz als obere Elektrode. Ein Netz deswegen, weil sich unter einer Platte Gasbläschen ansammeln würden. Haben Sie alles? Dann kann sie losgehen, die Reise in die 3. Dimension.

Zuerst wird wie üblich ein 2D-Gel hergestellt. Zudem wird in den Glaskasten ein Gelwürfel gegossen. Dann setzen Sie den Glaskasten in die Wanne, legen das 2D-Gel obenauf, das Kupfernetz darauf, dann oben und unten Laufpuffer zugeben, Strom anschließen und nach 5 Stunden ist das 3D-Gel fertig.

Und schon tauchen die ersten Probleme auf. Wie den Gelwürfel anfärben? Das geht nicht, es sei denn man hat ein Jahr Zeit, um zu warten bis das Coomassie in den Würfel diffundiert ist – und dann heißt es einige Jahre waschen... Die Autoren färben daher ihre Proteine vorher kovalent an. Das hat natürlich auch wieder seine Probleme. Zudem sieht der Gelwürfel, zu urteilen nach dem Bild, das die Autoren lieferten, scheußlich aus. Des weiteren schweigen sich die Autoren darüber aus, wie man solch einen Gelblock aufbewahrt. Trocknen läßt er sich wohl nicht – und falls doch, hat man wieder ein 2D-Gel. Wunder der Technik.

Die Methode von Bao-Shian Lee nachzukochen kann ich also beim besten Willen nicht empfehlen. Da scheint mir der Aufwand entschieden größer als die zu erwartende Trennwirkung zu sein. Besser, Sie beschränken sich auf 2D-Gele und nehmen für die 2. Dimension ein langes 10 % Gel.


Mehr Spaß mit 3D-Gelen

Das heißt aber noch nicht, daß 3D-Gele überhaupt keine Zukunft haben. Diese steht und fällt mit der dritten Dimension. Die muß unabhängig von den beiden ersten sein und von ähnlicher Trennwirkung. Also nicht noch eine IEF, nicht noch eine SDS-Gelelektrophorese, sondern... Ja, was eigentlich? Das ist die große Frage lieber Leser, mit deren Lösung Sie ihren Professor berühmt machen können. Falls letzteres ihre Motivation nur unerheblich steigert, einen Vorteil des 3D-Gels sehe ich doch. Man hat hinterher nicht ein glibberiges unfaßbares Blatt in der Hand, sondern einen soliden viereckigen Kuchen, der sich prächtig werfen läßt. 3D-Gele sorgen für Spaß im Labor.




Letzte Änderungen: 08.09.2004