Editorial

Aufrechte Mikroskopie mit lebenden Zellen

Die verflixte Schwerkraft

Daniel Veith


Mikroskopieren ist ja so leicht! Einfach den Objektträger nehmen, Probe drauf, noch ein Deckglas oben drüber und schon kann es losgehen. Ja, wenn es nur so einfach wäre...

Spätestens, wenn Sie lebende Zellen über einen längeren Zeitraum beobachten möchten, wird es endgültig ganz schön knifflig. Wie erhält man die Zellen dauerhaft am Leben – am besten noch bei der jeweils gewünschten Temperatur? "Prima wäre es außerdem, wenn der pH und die Ionenkonzentration konstant bleiben würde!", schreit der Diplomand vom Nachbarlabor herüber. Ach ja, lieber Weihnachtsmann, und dann möchte ich auch noch Lösungen – etwa Hemmstoffe – bequem zupipettieren können, ohne daß die aktuell im Blickfeld liegende Zelle verrutscht und ich sie nicht mehr wiederfinde. "Klar", sagt der Weihnachtsmann, "wünsch' Dir doch einfach ein Inverses Mikroskop!"

Na logisch. Gleich am nächsten morgen besuche ich den Chef in seinem Büro und schwärme ihm von einem wunderbaren Inversmikroskop vor, noch besser wäre natürlich gleich ein konfokales Laser-scanning Mikroskop. Ob ich dann gleich bei der Firma anrufen kann, will ich wissen. Tja, von wegen. Falls er sich dazu aufrafft, einen Antrag zu schreiben, und falls dieser Antrag überhaupt durchgeht, darf man frühestens in einem Jahr daran denken, zur Tastatur zu greifen. Aber mein Chef hat immerhin Trost parat: Schließlich stehe doch im Hauptlabor das gute, aufrechte Standardmikroskop, leicht angestaubt zwar, aber technisch okay, unbenutzt herum ...

Wo liegt eigentlich das Problem?

Bei Inversmikroskopen befindet sich das Objektiv unterhalb der Probe. Mit kommerziellen Apparaturen, deren Boden aus einem 0,17 mm dünnen Deckgläschen besteht, kann man Zellen über einen längeren Zeitraum wunderbar beobachten. Durch die Schwerkraft bleiben die Zellen unten am Boden liegen und beliebige Flüssigkeiten können nachträglich zupipettiert werden, ohne dass das Präparat verrutscht. Wer ein Inversmikroskop hat, ist fein raus.

Was aber, wenn man keines hat? Eine Doppelausstattung an aufrechten und inversen Mikroskopen besitzt nun wirklich nicht jedes Labor, und endgültig glücklich schätzen kann sich jeder, dem zusätzlich ein aufrechtes, konfokales Laser-scanning Mikroskop (CLSM) zur Verfügung steht. Nur die allerwenigsten haben wohl ein inverses CLSM ... Wäre es da nicht schön, man könnte mit seinem aufrechten Mikroskop Langzeitstudien an lebenden Zellen durchführen und das mit einem einfachen Trick, der zudem auch noch fast nichts kostet?


Galileos Fluch: Die Schwerkraft

Aufrechte Mikroskope haben nämlich ein Problem mit der Schwerkraft. Weil die Zellen nach unten sinken, sich das Objektiv aber über der Probe befindet, kann sich zwischen der Objektivlinse und der Probe nur ein dünner Flüssigkeitsfilm befinden. Für lebende Zellen, die längere Zeit beobachtet werden sollen, ist das ungünstig. Wegen des geringen Flüssigkeitsvolumens trocknet die Probe schnell aus und Salzkristalle bilden sich.

Besser wäre es, wenn das Nährmedium für die Zellen ein größeres Volumen (ca. 4 ml) hätte. Ionenkonzentration und pH-Wert würden konstant bleiben, Stoffe könnten bequem zupipettiert werden und vor allen Dingen bliebe die jeweilige Temperatur wegen dem großen Flüssigkeits-volumen erhalten und wäre leicht regulierbar. Die Reihenfolge der wichtigen Elemente bei einem inversen Mikroskop (von oben nach unten aufgelistet) lautet: Flüssigkeit e Zellen liegen auf Deckglasboden e Deckglasboden e ggf. Immersionsöl e Objektivlinse. Für ein aufrechtes Mikroskop muß daher die Reihenfolge lauten: Objektivlinse e ggf. Immersionsöl e Deckgläschen e Zellen haften am Deckgläschen e Flüssigkeit in Schälchen. Der Aufbau an sich ist einfach, doch wie bleiben die Zellen unterhalb des Deckgläschens haften, ohne zu Boden zu sinken?


Den Spieß umdrehen

Verschiedene Zellarten kann man ganz leicht an einem Deckgläschen befestigen, wenn das Deckglas ziemlich genau eine Sekunde von beiden Seiten durch eine Bunsenbrennerflamme gezogen wird. Dabei verbrennt nämlich eine dünne Silikonölschicht auf dem Deckgläschen, wodurch die Adhäsion zwischen Glas und Flüssigkeit (hier mit Tinte gefärbtes Wasser) deutlich erhöht wird und eine totale Benetzung der Glasoberfläche erlaubt (Abbildung diese Seite).

In dieses Medium werden die Zellen hinein pipettiert (angeimpft). Die Zellen sinken auf den Boden des Deckgläschens und bleiben dort haften. Dieser Prozess benötigt allerdings einige Stunden. Danach haften die unterschiedlichsten Zelltypen, angefangen von Bakterien, auskeimenden Pilzsporen, Hefezellen, Blutzellen bis hin zu Epithelzellen, bemerkenswert fest an der Glasoberfläche. Kurzum: Alle Zellen, die sich nicht selbständig fortbewegen können, wie etwa begeißelte Bakterien oder schwimmende Protozoen, können so an dem Deckglas befestigt werden. Bei Bedarf kann das Deckglas nach dem Abflammen zusätzlich noch mit Poly-L-Lysin bestrichen werden, wodurch manche Zellen noch besser haften.

Die Methode eignet sich gleichermaßen für Immunostainings wie auch für Langzeitstudien mit lebenden Zellen an einem aufrechten Mikroskop. Einzige Voraussetzung: Der vorherige Erwerb einer einer speziellen Apparatur, in der das Deckgläschen befestigt wird (Abbildung rechts); diese ist beispielsweise bei der Firma Nadicom erhältlich. Wer noch weitere Hersteller kennt, kann diese unseren Lesern gerne mitteilen; einfach eine Mail an wk@laborjournal.de schicken.


Das Gläschen liegt in dieser Vorrichtung auf einem Rahmen (schwarz in der Abbildung oben) und wird links und rechts in einen Träger eingespannt. Natürlich befinden sich die haftenden Zellen jetzt auf der Unterseite und haben Kontakt zu einem großen Flüssigkeitsvolumen. Auf der jetzigen Oberseite des Deckgläschens kann Immersionsöl aufgetragen und mit jedem beliebigen aufrechten Mirkoskop verwendet werden. Die Bildqualität erleidet dabei keine Einbußen und man kann mit dieser einfachen Methode auf aufwendiges und teures Spezialzubehör verzichten.


Inversmikroskop für ein paar Euro

Benutzt man statt einer Plastikpetrischale eine aus Glas, kann die Wärmeleitung erhöht werden, wenn der Objekttisch beheizbar ist. Das formgenaue Design der Apparatur ist auf handelsübliche Petrischalen und Deckgläschen mit den Maßen 24 mm x 60 mm abgestimmt und erlaubt es, zelluläre Prozesse in vivo über kurze oder lange Zeiträume in Echtzeit zu beobachten. Das Präparat verwackelt nicht und die Probe bleibt im Fokus. Petrischale und Apparatur sowie auch das Medium können zudem steril eingesetzt werden. Vorteilhaft ist natürlich auch, dass der Gasaustausch gewährleistet ist, so daß unsere Schützlinge immer frische Luft bekommen.

So, genug der Schleichwerbung. Mir persönlich jedenfalls leistet die Schale seit langem gute Dienste bei der Timelapse-Mikroskopie und am konfokalen Laserscanning-Mikroskop. Und für die paar Euro, die man für ihren Erwerb ausgeben muß, ist sie erstaunlich langlebig und kann sogar nach vorheriger Teilsterilisation in der Mikrowelle wiederverwendet werden. Auch besteht keine Gefahr für die Optik, etwa durch auslaufende Flüssigkeiten, wovon mancher ein Lied singen kann, wenn er einmal Reparaturkosten für Objektive an einem Inversmikroskop berappen musste. Über die Bedienung muß man sich auch keine Sorgen machen, weil zu jeder Apparatur eine sehr ausführliche Bedienungsanleitung mit allen Tricks und Kniffen mitgelefert wird, so daß jeder, der auch Ikea Möbel zusammensetzen kann, damit keine Schwierigkeiten haben wird.



Letzte Änderungen: 08.09.2004