Editorial

Die Couleur der Plasmide

von Cornel Mülhardt


Experimentator-Autor Cornel Mülhardt untersucht in dieser Folge die besten Methoden zur Plasmid-Präparation. Dabei beschränkt sich der Literat der vier Buchstaben nicht auf oberflächliche Kochvorschriften. Er durchgeistigt das Geschehen auf Laborbank und im Eppendorf und geißelt Gleichgültigkeit und Grausamkeit des Forschers. Mülhardt stürzt das Dogma Mit Schnaps wird alles besser“ und weist auf die Leiden der Bakterien hin, auf die millionen-, ja milliardenfache Grausamkeit, der unsere Mitgeschöpfe täglich ausgesetzt werden. Nicht zuletzt erweist sich Mülhardt als einfühlsamer Psychologe der Schafseele. Oder, um mit seinen Worten zu sprechen: Vielleicht wäre ich besser Schäfer geworden.“

Vor meinem Wohnzimmerfenster grast ein Grüppchen herzallerliebster Schafe, die tagaus, tagein dumm rumstehen, dumm rumsitzen oder dumm rumlaufen. Neulich scharrte eines von ihnen gewissenhaft mit den Vorderbeinen über den kahlgefressenen Boden, um sich sein Bettchen herzurichten, plumpste dann auf den Bauch und trat zufrieden eine längere Ruhepause an. Doofes Vieh, dachte ich mir, dieser Rasen würde jedem englischen Kricketfeld Ehre erweisen, knüppelhart, topfeben, nicht ein Grashalm länger als zwei Millimeter und nicht ein Steinchen weit und breit. Was gibt es da zu scharren? Klassischer Fall von ritueller Handlung. Schafe! Kürzlich kam ich in ein Labor, wo ein eifriger Zeitgenosse gerade beschlossen hatte, seinen Platz sauberzumachen. Der Mitmensch griff zur Alkoholflasche, sprühte kreuz und quer, bis sich der Arbeitsplatz in einen Swimmingpool verwandelt hatte. Dann wischte er voller Inbrunst bis zur vollständigen Verdunstung der Flüssigkeit, um schließlich zufrieden auf seinen Hocker zu plumpsen und zu ruhen. Hm, dachte ich so zu mir.


Was ist der größte Feind des Molekularbiologen?

Wieso glauben Labormenschen eigentlich hartnäckig, Alkohol mache sauber? Liebe Lesergemeinde (hier fährt der Zeigefinger in die Höh’ und die Tonlage tut ein Gleiches, weil sich spitze Töne besser in den Gehörgängen festsetzen - wie, das erinnert Sie an Ihre Chefin?)! Was ist der größte Feind des Molekularbiologen? Seine DNA-Präp vom Vortag. Sie lauert auf der bench, um die nächste PCR zu befruchten, sie lauert in der Quarzküvette, um die nächste Messung zu versauen, sie schleicht sich als Schmierinfektion in die nächste Transformation ein. Kampf den DNA-Spuren - aber bitte nicht mit Schnaps! Wieso, bitteschön, soll etwas, das man mit 70% Ethanol fällt, sich bei 100% Ethanol in Wohlgefallen auflösen und verduften?


Heute schon ´ne Minipräp gemacht?

A propos DNA-Präp. Heute schon ‘ne Minipräp gemacht? Ein Tag ohne Suche nach dem heiligen Klon ist für den wahren Aficionado ein verlorener Tag. Ein Tag, der dieser Suche gewidmet ist, leider häufig auch. Das Schöne am Klonieren ist ja, dass es die Regel bestätigt, nach der jeder gute Versuch drei Tage dauert. Erster Tag: Fragmente reinigen, ligieren, transformieren. Zweiter Tag: Sich an den Kolonien erfreuen, Minikulturen ansetzen, in der Nase bohren und warten, bis sich die Bakis bequemen, das Wässerchen zu trüben, das man ihnen dargeboten hat. Zugegeben, das Zeug riecht nicht gut, aber könnten sie nicht vielleicht doch ein wenig schneller...? Dritter Tag: In weiser Erkenntnis, dass einem eine Minipräp abends um zehn die ganze Nacht versauen kann, hat man das große Ereignis um einen Tag verlegt. Jetzt ist es so weit, wir holen das Plasmid aus dem Bakterium. Aber wie?

Zugegeben, eine blöde Frage. Aber vor zehn Jahren hätte man damit noch Bücher füllen können (zumindest eines von der Sorte, die man in zwei Tagen schreibt, und die in jede Jackentasche passen, falls man jemanden unvorhergesehen beeindrucken muss). Mir ist noch die boiling prep bekannt, eine Technik für diplomierte Sadisten. Man muss sich das vorstellen: Bakterien erst mit Lysozym traktieren, bis sie weich werden, dann ins kochende Wasser werfen und zugucken, wie sie platzen. Die geistigen Nachkommen der Diplomsadisten haben die Technik perfektioniert und kochen - zumindest in den Medien - wesentlich größer, schneller und spektakulärer: mit Mäusen in der Mikrowelle. Aber zurück zur Bakterienpräp. Die lieferte letztlich eine DNA, die sich entweder schwer verdauen ließ oder wegen des zellulären Drecks schnell in ihre Bestandteile zerfiel. Eine andere Methode arbeitete mit Lithiumchlorid. Ich liebe das Zeug ja. Erstens ist es gut gegen Depression (also gut für Nachwuchswissenschaftler) und zweitens habe ich es schon in meiner Diplomarbeit benutzt, es handelt sich wohl um eine Art kindliche Prägung. Dennoch hat sich die Lithium-Methode nicht so richtig durchgesetzt. Tatsache ist: Bekommen Sie heute irgendwo ein Protokoll zur DNA-Präparation, handelt es sich garantiert um eine alkalische Lyse. Alle Kits bauen darauf, egal was darauf folgt, eine alkalische Lyse muss es sein, um die Bakterien zu knacken. Aus gutem Grund. Aus langjähriger Erfahrung kann ich sagen, dass es wenig gibt, das zu zuverlässig funktioniert, egal, in welches Labor einen die Unbillen des Schicksals verschlagen. Dabei ist das Protokoll denkbar einfach: Bakterien runterzentrifugieren, Lösung I drauf, resuspendieren, Lösung II drauf, ordentlich durchquirlen, Lösung III drauf, nochmal durchquirlen, fertig. Funktioniert für große Mengen an Bakterien ebensogut wie für kleine, man muss nur die Volumina und Zeiten entsprechend anpassen. Leute, lysiert alkalisch! Ende des Artikels.


Lysiert alkalisch!

Nun, es wäre natürlich kein Artikel von mir, wenn nicht noch ein Kleckschen Senf dazukäme. Wie kann man eine Methode jahrelang verwenden, ohne nicht wenigstens ein bißßßßchen herumzuspielen? Nehmen wir Lösung I. Sie besteht aus 50 mM Glucose, 25 mM TrisHCl pH 7.5 und 10 mM EDTA. Das muss erst einmal angesetzt werden. Heute könnte ich irgendjemanden bitten, mir Lösung I anzusetzen, ohne dafür rot werden zu müssen. Doch war mir, dem notorisch Faulen, das Glück nicht immer so hold. Allein die Glucose! Glucose bedeutete Horror. Schon das Zeug zu finden war eine zeitraubende Angelegenheit, eine Pilgerfahrt von einem Labor zum nächsten. Dann die Lösung ansetzen. Das hieß, Titanenkämpfe mit staubigen Substanzen. Das hieß Waagen schrubben, um von der Mutter des Labors nicht eine übergezogen zu bekommen. Wieso musste es Glucose sein? Weshalb nicht einfach Würfelzucker? Und zur Krönung des Ganzen konnte man die Flasche mit dem kostbaren Inhalt nicht einmal unauffällig auf dem Tisch mit den zu autoklavierenden Objekten deponieren. Man hätte sonst vermutlich Zuckercouleur zurückbekommen. Heute weiß ich, dass etwa die Hälfte der Fertignahrung, von der sich der Nachwuchsforscher ernährt, aus Zuckercouleur besteht. Ich hätte es einfach wagen sollen. Statt dessen wurde brav sterilfiltriert. Doch Faulheit siegt, Faulheit ist die Mutter des Fortschritts. Wozu brauchen Bakis Zucker? Etwa weil man ihnen eine Minute später die Peitsche gibt? Mittlerweile hat es sich gezeigt, dass TE-Puffer genausogut funktioniert, und den hat man in Literflaschen in Regal stehen. Oder 50 mM Tris. Selbst Wasser tut’s zur Not. Klasse, tolle Methode.


Faulheit siegt

Oder die Lösung II. 0,2 N NaOH, 1% SDS heißt die Formel, die Bakterien spontan zum Platzen bringt (Ob das nicht auch das ideale Wässerchen wäre, um die bench zu putzen?). Frisch soll man die Lösung ansetzen, stand da immer zu lesen. Da ist durchaus etwas Wahres dran. Ich hatte tatsächlich einmal eine Flasche mit Lösung II, die den Geist aufgegeben hat. Nach vielen Wochen. Ziehen Sie daraus die Schlüsse, die Sie wollen. Die Übervorsichtigen lassen sich sowieso nicht bekehren. Nur an der Lösung III (3 M Kaliumacetat pH 5.2) habe ich mich nicht versucht. Bis zu dem Tag, als sie alle war. Seither weiß ich, dass es das 3 M Natriumacetat pH 4.8, das man für die Ethanolpräzipitation von DNA verwendet, ebenfalls tut. Sicher, das SDS wird nicht so gut ausgefällt. Geklappt hat es trotzdem.




Und nun?

Trotz meiner Begeisterung muss ich zugeben, dass mit der Alkalischen Lyse alleine die Probleme noch nicht alle gelöst sind. Selbst die schönste Lyse liefert nur ein viel zu großes Volumen einer hoffentlich klaren Flüssigkeit. Damit ist noch nicht viel anzufangen. Doch naht das Ende der Seite und mich treibt der Hunger in die Mittagspause. Geduld, lieber Leser, die nächste Ausgabe des Laborjournals kommt bereits in einem Monat. Und mit ihr die Fortsetzung dieses packenden Tatsachenromans.




Letzte Änderungen: 08.09.2004