Editorial

PCR ist immer noch Voodoo

Polymerase-Kettenreaktion

Kay Terpe


1983 entdeckte Kary Mullis die spezifische DNA-Amplifikation mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR). 25 Jahre später ist die PCR längst eine Standardtechnik - ihre Tücken hat sie aber immer noch.

Das Prinzip der PCR ist einfach. Zwei Oligonukleotid-Primer binden an ein DNA-Fragment, dNTPs werden zugegeben und eine Polymerase vervollständigt die Lücke zwischen den Primern. Der entstandene Doppelstrang wird durch Temperaturerhöhung denaturiert. Durch Wiederholung dieses Zyklus aus Primerbindung (Annea-ling), Kettenverlängerung (Elongation) und Denaturierung, wird das DNA-Fragment jeweils verdoppelt (amplifiziert). Die Forscher übernahmen die Methode mit Begeisterung - unter anderem weil sie eine Alternative zu den radioaktiven Detektionsmethoden zu bieten schien. Denn in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts arbeiteten die Mollis überwiegend mit radioaktivem Phosphor.

Jeder, der die Zeit miterlebt hat, weiß, wie damals in den Isotopenlaboratorien von allen Seiten, und vor allem von unten, die β- und γ-Strahlung auf einen einbrach. In diesen verschlunzten Höllen rauschten die Geigerzähler, der Schweiß lief einem über die Nase und die Beseitigung des radioaktiven Mülls konnte Anlaß endloser Streitereien und lebenslanger Feindschaften sein. Der ärmste Mann unter der Sonne war der Isotopenbeauftragte. Die PCR hat mit zur Einführung nicht radioaktiver Nachweismethoden beigetragen. Dafür sei ihr Preis und Dank.

Auch die PCR hatte ihre Probleme. So setzte man für die Elongation zuerst thermoinstabile Klenow-Polymerase ein und musste nach jedem Denaturierungsschritt frisches Enzym zugeben. Zudem arbeitete man mit drei verschieden temperierten Wasserbädern. Bei einer PCR von 30 Zyklen bedeutete dies: 30mal Klenow zugeben und 90mal umsetzen. Mühsam nährte sich das Eichhörnchen. Den methodischen Durchbruch verdanken wir Sakai et al., die 1988 die Taq-Polymerase einführten. Das thermostabile Enzym überstand die Denaturierung und musste nicht nach jeder Runde neu zugegeben werden. Zudem wurden Spezifität, Nachweisempfindlichkeit und Ausbeute verbessert. Dank der Taq-Polymerase konnte die PCR automatisiert werden und schon Ende der 80er Jahre kamen die ersten Thermocycler auf den Markt.


Taq, Tth und Tfl

Die Taq-Polymerase ist immer noch ein beliebtes Enzym. Isoliert wurde sie aus dem Wärme liebenden Thermophilus aquaticus, das in der Nähe von heißen Quellen und Geysiren lebt. Die optimale Extensionstemperatur des Enzyms liegt zwischen 75 bis 80 °C und es hat eine Halbwertszeit von 10 Minuten bei 97 °C. Gibt man das Enzym erst nach dem ersten längeren Denaturierungsschritt zu, verlängern sich Lebensdauer und Aktivität deutlich. Die gleiche Wirkung hat das Absenken der Denaturierungstemperatur auf 95 °C. Zusätzlich können Sie ein Nachlassen der Aktivität durch Zeitinkremente in der Elongationsphase kompensieren.

Die Taq hat eine Extensionsrate von 2 bis 4,5 Kilobasen pro Minute - und macht dabei natürlich auch Fehler. Sie soll durchschnittlich alle 4200 Basen einen Fehler produzieren, aber viele Publikationen belegen, dass nur alle 10 000 bis 125 000 Basen ein falsches Nukleotid eingebaut wird. Die Taq besitzt eine 5'-3'-Exonukleaseaktivität und produziert einen 3-Adenin-Überhang, der Verwendung in den TA-Kloning-Kits findet. Aus der Gattung Thermus wurden weitere thermostabile DNA-Polymerasen isoliert: Die Tfl aus Thermus flavus und die Tth aus Thermus thermophilus. Diese Enzyme haben vergleichbare Eigenschaften wie die Taq. Nähme man die Hitzstabilität als alleiniges Kriterium für die PCR-Verwendbarkeit einer Polymerase, läge die Deep-Vent-Polymerase aus der Pyrococcus Spezies GB-D wohl an der Spitze. Das Enzym besitzt eine Halbwertszeit von acht Stunden bei 100 °C oder fast einen ganzen Tag bei 95 °C. Es scheint, als ob die Stabilität auf Kosten der Extensionsgeschwindigkeit ginge: Sie ist mit 1,4 Kilobasen deutlich niedriger als bei der Taq. Ein Nachteil ist auch die hohe 3'-5'-Exonuklease Aktivität von Deep Vent. Es gibt zwar eine Enzymvariante ohne Exonuklease-Aktivität, doch deren Fehlerrate liegt ein bis zwei Zehnerpotenzen unter der Rate des Wildtyp-Enzyms. Auch scheint sich der Wildtyp besser zum Klonieren zu eignen, da er 95 % blunt Enden produziert, während die Mutante 30 % Einzelbasen und 70 % blunt Enden generiert.

Tli oder Vent

Die Tli- oder Vent-Polymerase aus Thermococcus litoralis besitzt eine 4-fach geringere Exonukleaseaktivität als die Deep-Vent. Wie die Deep-Vent produziert die Vent 95 % Blunt Enden. Es gibt auch eine Mutante ohne Exonuklease, die nur 70 % Blunt Enden produziert. Vermutlich geht dies wieder zu Lasten der Fehlerrate, auch wenn die eine oder andere Publikation von einer guten Fehlerrate berichtet. Die Vent ist mit einer Halbwertzeit von 1,8 Stunden bei 100 °C stabiler als die Taq. Allerdings besitzt das Enzym eine Extensionsrate von nur einer Kilobase pro Minute.


KOD1 und Pfu

Bei langen Fragmenten mit hohem GC-Gehalt kommt die Taq zu hohen Fehlerraten oder bildet gar kein Produkt. Hier könnten die Pfu aus Pyrococcus furiosus und die KOD1 aus Thermococcus kodacaraensis helfen. Beide Enzyme zeigen sehr geringe Fehlerraten: Die Pfu scheint etwas genauer zu sein, dafür ist die KOD1 schneller. Die Halbwertszeiten sind länger als die der Taq und die Enzyme produzieren keine Überhänge. Sowohl die KOD1 als auch die Pfu besitzen 3'-5'-Exonuklease Aktivität, die Pfu zusätzlich noch eine 5'-3'-Exonuklease-Aktivität und es gibt eine Pfu-Mutante ohne Nuklease. Die produzierten DNA-Fragmente beider Enzyme eignen sich zur Blunt-End-Klonierung.

Pab, Pwo und UITma

Die Pab-Polymerase aus den Archebakterien Pyrococcus abyssi und die Pwo aus Pyrococcus woesei sind wenig bekannt und schlecht charakterisiert. Die Enzyme produzieren ebenfalls Blunt-Enden, sind sehr stabil und arbeiten mit geringer Fehlerrate. Nebenbei: Die Pyrococci sind die wirklichen thermophilen Extremisten auf unserm Planeten, ihre optimale Wachstumstemperatur liegt bei 100 °C. Ein weiteres exotisches Enzym ist die UITma-Polymerase aus Thermotoga maritma.

Lassen wir es mit diesem Zoo von Polymerasen bewenden: Die eine hat lange Beine aber schlechte Augen, die andere Kartoffelstampfer aber lange Finger. Wie immer in der Biologie gibt es nichts was es nicht gibt, außer einem Enzym, das perfekt auf alle Anwendungen paßt. Es gibt keine beste Polymerase“! Die Wahl des Enzyms hängt von der Anwendung und den Kosten ab. Zudem beziehen sich alle obigen Daten auf optimale Bedingungen. In der wirklichen Welt haben sowohl die Salzkonzentration im Puffer als auch das zu amplifizierende Material einen Einfluss auf die Qualität der PCR. Ausgangsmaterial wie Blut, Käse oder Fleisch hemmen die Polymerasen. Je nach Enzym werden unterschiedliche Konzentrationen toleriert. So toleriert die Taq nur 0,002 Prozent Blut, die Tfl-Polymerase hingegen 20 Prozent. Zudem haben die Qualität der dNTPs, der verwendete Thermocycler und die Probenträger Einfluss auf die PCR.

Protokolle sind nicht immer von einem Thermocycler auf einen anderen übertragbar, auch dann nicht, wenn die gleichen Parameter eingestellt werden. Es können Unterschiede im Aufbau des Thermoblocks vorliegen oder in der Art der Kühlung. Die Heiz- und Kühlraten hängen vom Material des Thermoblocks ab. Silberblöcke leiten die Wärme deutlich besser als solche aus Aluminium. Die Leitfähigkeiten der Reaktionsgefäße und des Reaktionsansatzes dagegen sind schlecht, daher kann auch der Probenträger die Reproduzierbarkeit beeinflussen. Zu hohe Heiz- und Kühlraten können PCR-Prozesse inhibieren. Multiplex-PCRs fährt man deswegen häufig nur bei 1 °C/s Heiz- und Kühlrate.


Annealingtemperatur

Die Annealingtemperatur wird meist anhand der Schmelztemperatur (Tm) geschätzt. In den meisten Labors werden von der berechneten Tm 3 °C bis 5 °C Grad abgezogen. Die am häufigsten verwendeten Formeln zur Bestimmung der Schmelz sind:

Tm = (A+T) * 2 °C + (G+C) * 4 °C

Diese Formel wurde ursprünglich für Hybridisierungsversuche mit Oligonukleotiden bei 1M Salz entwickelt. Sie ist für Primer größer 20 bp zu ungenau. Besser sind die Formeln:

Tm = 81,5 °C + 16,6 °C * log10 ([Na+] + [K+]) + 0.41 °C * (G+C) % - 675/bp Primer

Tm = 81,5 °C + 16,6 °C * log10 (J+) + 0,41 °C * (G+C) % - 600/bp Primer
J+ = gesamte Kationenkonzentration

Tm = 69,3 °C + 0,41 °C * (G+C) % - 650/bp Primer

Die PCR ist und bleibt ein komplexer Prozess, der nicht immer hundertprozentig reproduzierbar ist. Wer kennt nicht das Problem, dass eine bestimmte PCR nur auf einem bestimmten Gerät läuft. Und nur bei Vollmond. Ein bisschen Voodoo gehört bei der PCR immer noch dazu. Bei Fragen zu den einzelnen Polymerasen können Sie mich jederzeit unter k.terpe@sensoquest.de erreichen.


Polymerasen-Übersicht als PDF-Datei








Letzte Änderungen: 31.03.2008