Editorial

Einfach und doch so kompliziert

Alte Tests in neuem Licht

Hubert Rehm


Den Lowry-Test praktizieren Proteinbiochemiker nun schon ein halbes Jahrhundert. Wie eine Herde Schafe dem Schäfer, folgten sie dabei blind Lowrys Empfehlung, die Blaufärbung nach 30 Minuten zu messen. Erst einem "Quereinsteiger" fiel auf, dass Lowry die Biochemiker-Herde in die Irre führte.

Der Lowry-Protein-Test sorgt immer wieder für Überraschungen. Nicht nur, weil er anfällig ist gegen so ziemlich jede Chemikalie, besonders aber gegen Mercaptoethanol, Hepes, Triton X-100, sondern auch weil immer neue Varianten des 1951 publizierten Tests auftauchen. Oliver Howe Lowry starb 1996 im Alter von 86 Jahren, doch sein Assay ist nicht totzukriegen. Noch 2005 war Lowry et al., Journal of Biological Chemistry 193, 265-275 das meistzitierte Paper in der Geschichte wissenschaftlicher Publikationen. Das mag an einer gewissen geistigen Trägheit der Proteinforscher liegen, doch hat der "Lowry" auch Vorteile: So ist er im Gegensatz zu seinem Hauptkonkurrenten, dem Bradford-Test, unempfindlich gegenüber SDS und er scheint den Proteingehalt von Gewebeextrakten besser wiederzugeben.

Angesichts dessen ist es erstaunlich, dass in der langen Lowry-Herrschaft nie untersucht wurde, wie lange man warten muss, bis die Farbentwicklung stabil bleibt.

Die Theorie zum Lowry-Test

Zu den Grundlagen: Bekanntlich bildet Protein mit Cu2+-Ionen in alkalischer Lösung einen Komplex indem die Cu2+-Ionen zu Cu+-Ionen reduziert werden (Biuret-Reaktion). Das Cu+ wiederum reduziert das gelbe Folin-Ciocalteu-Reagenz (Molybdän(VI)- und Wolfram(VI)-Heteropolysäuren) zu Molybdänblau. Lowry empfahl, nach Zugabe des Folin-Ciocalteu-Reagenz 30 Minuten zu warten und dann die Extinktion bei 750 Nanometer zu messen.

Der Lowry-Test war nicht exakt linear, das heißt die Eichkurven, meist mit Rinderserumalbumin erstellt, blieben bei hohen Proteinkonzentrationen etwas unterhalb der idealen Gerade. Den meisten Forschern war das gleichgültig, vermutlich in der Annahme, dass dieser geringe Fehler gegenüber anderen Fehlern beim Lowry-Test keine Rolle spiele. Doch schon Kirazov et al. (1993) empfahlen, die Blaufärbung sich 80 Minuten zu entwickeln lassen, dies aber anscheinend ohne die Entwicklungszeit systematisch zu untersuchen. Mit anderen Worten: Der Lowry-Assay war 57 Jahre in Gebrauch, ohne dass es jemand für nötig hielt, sich um eine wesentliche Grundlage des Tests, die Zeitentwicklung der Blaufärbung, zu kümmern. Auch mir kam dieser Gedanke nie in den Sinn.

Diesem Missstand hat nun Christopher Pomory von der Universität West Florida abgeholfen (Analytical Biochemistry 2008, 378, 216-217). Von seinen Publikationen her zu urteilen ist Pomory kein Proteinbiochemiker, wie man das erwarten würde, sondern ein Beinchenzähler (jedenfalls soweit marine Invertebraten Beinchen besitzen). So hat er einen "Key to the common shallow-water brittle stars (Echinodermata: Ophiuroidea) of the Gulf of Mexico and Caribbean Sea” veröffentlicht. Eine andere Arbeit widmet sich dem Zusammenhang zwischen dem Vorkommen von Apfelschnecken und dem Nitratgehalt von Quellwasser.

Christopher Pomory

Vielleicht hat ja das blaue Wasser der Karibik Christopher Pomory dazu inspiriert, die Entwicklung der Blaufärbung beim Lowry-Test zu untersuchen.

Wie um Gottes willen kam also gerade Pomory dazu, die Grundlagen des Lowry-Tests zu untersuchen? Ich habe ihn gefragt. Die Antwort: "You are quite correct in stating that I am not a protein biochemist. I work mainly on marine invertebrate ecophysiology. It is a testament to the Lowry procedure that it has uses across a wide variety of sub-disciplines in biology and chemistry. Part of my research involves energetics and part of that involves measuring protein content. My interest/motivation in working on the Lowry procedure was purely practical. When ever I use a procedure I try and learn as much about it as possible, so I know what it is doing beyond just giving me a number. In running many samples at one time I noticed that the first sample changed its reading by the time I got to the last sample. That is when I decided to do the time trial experiments to see if I could find a stable time frame in order to reduce the variation in readings. I did several sets of experiments all of which had similar outcomes. The last set of experiments lead to the note in Analytical Biochemistry.”


Geduld lohnt sich

Dem sind nur noch Pomorys Ergebnisse hinzuzufügen. Das Experiment war einfach. Eine Rinderserumalbumin-Eichkurve von 40-600 mg/ml (18 Zwischenpunkte) wurde angesetzt und die Blaufärbung nach 30, 60, 90, 120, 180, 240 Minuten und 24 Stunden bestimmt. Dies wurde viermal in unabhängigen Messungen wiederholt. Das Ergebnis: Die Blaufärbung nahm im Zeitraum zwischen 30 und 120 Minuten zu, blieb stabil zwischen zwei und vier Stunden und nahm dann wieder ab. Während der ersten zwei Stunden nahmen die Messwerte bei niedrigen und hohen Konzentrationen unproportional zu, auch waren die Standardabweichungen größer als zwischen den Werten von zwei bis vier Stunden. Die Korrelationskoeffizienten (r2 Werte) der Standardkurve betrugen bei 30 Minuten r2=0,9872 und bei 180 Minuten r2=0,9961. Die ideale Gerade hat bekanntlich r2=1,000. Wer also drei Stunden auf die Entwicklung seines Lowry wartet, erhält genauere Werte. "Geduld lohnt sich", schreibt Pomory. Er empfiehlt zudem, die Lowry-Reagenzien mit Wasser statt NaOH anzusetzen, die Proteinlösungen aber in 1 M NaOH. Die Extinktion solle man bei 660 Nanometer messen.

Leider gibt Pomory keine Zeitkurven für Gewebeextrakte oder auch nur für andere Proteine als Rinderserumalbumin an, obwohl er darauf hinweist, dass der Lowry-Test heute vor allem zur Proteinbestimmung von Gewebeextrakten dient.

Ich erlaube mir zudem darauf zu verweisen, dass sich die Reproduzier- und Vergleichbarkeit des Lowry-Test erhöht, wenn man die Proben zuvor mit Chloroform/Methanol ausfällt, die Chloroform-Reste mit der Speed-Vac entfernt und das Pellet in 1 M NaOH auflöst. Dadurch werden störende Salze etc. entfernt. Auch das braucht natürlich Geduld ...


Plasmid-Präp ohne Lauge

Eine andere Standardmethode, bei der man meinen sollte, dass methodisch alles ausgereizt sei, ist die Präparation von Plasmiden. Schon zu einer Zeit, gleich nach der Jungsteinzeit, als ich noch am Heidelberger ZMBH pipettarisch tätig war, war die Plasmid-Präp das tägliche Brot des Molekularbiologen. Ein Brot, das oft bitter schmeckte. Ich meine mich erinnern zu können, dass die Doktorandinnen G. und H. für gewöhnlich unanständige Wörter in den Mund nahmen wenn von "Plasmid-Präps" die Rede war - und sie redeten oft davon (ich dagegen sagte nie "Scheiße" wenn ich einen Lowry ansetzte und nach 20 Minuten schon vermaß und die Standardkurve sich bog wie Uri Gellers Löffel).

Damals war es üblich, für eine Plasmidpräparation die Bakterien mit Detergenz unter alkalischen Bedingungen zu lysieren, zum Beispiel mit NaOH/SDS (Birnboim, H. C., A rapid alkaline extraction method for the isolation of plasmid DNA. Meth. Enzymol. 1983, 100, 243 - 255). Dabei denaturiert die chromosomale DNA, während die Struktur der Plasmide erhalten bleibt. Aus dem Lysat wurden die Proteine und die chromosomale DNA durch Zugabe von 5 M K-Acetat gefällt. Die RNA entfernte man mit RNAse A oder ignorierte sie. Nach dem Abzentrifugieren schwammen die Plasmide im Überstand, wurden mit Alkohol gefällt und danach mittels CsCl-Gradienten, Phenol-Chloroform Extraktion, Ionenaustauscher- oder Nucleobond Säulchen gereinigt.


Vorsichtig vortexen

Derartige Plasmid-Präps sind immer durch chromosomale Bakterien-DNA verunreinigt. Dies unter anderem, weil es fast unvermeidlich ist, dass die chromosomale Bakterien-DNA bei der Reinigung in Stücke bricht, so durch Scherkräfte beim Vortexen. Alkali-denaturierte chromosomale DNA lässt sich zum Beispiel auf Ionenaustauschersäulchen nicht von Plasmiden trennen und sie färbt im Agarosegel schlecht an. Darüber hinaus stört sie bei der Bestimmung der DNA-Konzentration und bei der PCR. Ein weiterer Nachteil alkalischer Plasmid-Präps ist die gelegentliche Denaturierung von supercoiled (verdrillten) Plasmiden: Wenn sich zuwenig pufferndes Zellmaterial in der Probe befindet, wird der pH-Wert zu alkalisch. Denaturierte supercoiled Plasmide sind resistent gegenüber Restriktionsendonukleasen und daher für Klonierungen nicht zu gebrauchen.

Ihrer Plasmid-Präp droht also Gefahr von allen Seiten - doch gemach! Wieder haben Amerikaner die Welt gerettet. Bonnie Paul aus der Gruppe von Stan Metzenberg an der kalifornischen Staatsuniversität Northridge hat eine nicht-alkalische Methode zur Isolierung von Plasmiden entwickelt (Analytical Biochemistry 2008, 377, 218-222). Die Methode produziere Plasmide von einer Reinheit und in einem Zustand, die es erlaube, sie mit Restriktionsenzymen zu verdauen, in PCR-Reaktionen einzusetzen und zu sequenzieren. Zudem werde die bakterielle RNA entfernt, es müsse also keine RNAse mehr eingesetzt werden. Paul et al. haben auch eine Methode entwickelt, die die Kontamination mit chromosomaler DNA verringert: Sie behandeln die Zellen vor der Lyse mit DNAse I. Dem liegt die Idee zugrunde, dass chromosomale DNA-Bruchstücke hauptsächlich aus toten Zellen stammen. Schließlich geben Paul et al. noch drei Methoden an, wie sich kontaminierende chromosomale DNA denaturieren lässt.

Wie funktioniert diese Plasmid-Präp? In ihrer einfachsten Version so: Zu E. coli Zellen in Medium wird ein gleiches Volumen von 6 M Li-Acetat pH 4,8, 0,5% SDS, 2 mM EDTA gegeben und vorsichtig (Scherkräfte!) gemischt. Bei Raumtemperatur 5 Minuten stehen lassen und dann für 10 Minuten bei 10.000 g abzentrifugieren. Den Überstand mischen Sie mit 0,8 Volumen Isopropanol. Daraufhin fallen die Nukleinsäuren aus und werden für 10 Minuten bei 10.000 g abzentrifugiert. Das für gewöhnlich kompakte Präzipitat wird mit 70% Ethanol gewaschen im Vakuum getrocknet und in Wasser oder Tris-EDTA Puffer aufgelöst. Das war's, Säulchen erübrigen sich. Die Prozedur dauere 30 bis 40 Minuten, behaupten Paul et al. und koste nur ein Zehntel bis die Hälfte eines kommerziellen Kits. Der Lysepuffer halte sich ewig. Zwar falle bei Raumtemperatur mit der Zeit das SDS aus, doch gehe dieses wieder in Lösung, wenn man den Lysepuffer erwärme.


Geringe Ausbeute

Wie jede Methode, so hat auch diese Nachteile: Im Vergleich zur alkalischen Extraktion von Birnboim ist die Ausbeute bei Paul et al. 5 bis 30 mal niedriger. Doch vergessen Sie nicht: Es gibt keine Denaturierung von supercoiled Plamiden und die Birnboim Präparate sind wesentlich stärker mit RNA und chromosomaler DNA verunreinigt. Die RNA lässt sich zwar mit RNAse beseitigen, aber dann schwimmt RNAse in der Präp, was oft unerwünscht ist.

Für den Fall, dass Sie keine PlasmidPräp brauchen oder die ideale schon haben: Es lohnt sich dennoch Paul et al. zu lesen: Als Beispiel eines ausnehmend gut geschriebenen und leicht lesbaren Textes. Der korrespondierende Autor Stan Metzenberg ist einer der bekanntesten Förderer des kalifornischen Schulbuchwesens.








Letzte Änderungen: 26.07.2008