Editorial

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Produktübersicht: Elektronische Pipetten

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Die Gruppe des amerikanischen Mechanik-Ingenieurs John Hart (vorne, stehend) vom Massachussetts Institute of Technology (MIT) hält manuelle Pipetten nicht für Auslaufmodelle. Sie konstruierte eine Universalpipette, die eine Volumenspanne von 0,1 bis 1000 Mikroliter abdeckt. Den weiteren Siegeszug elektronischer Pipetten dürfte aber auch Harts Universalpipette nicht aufhalten. Foto: MIT

Elektronische Pipetten sind den Kinderschuhen längst entwachsen und nicht nur in Sachen Ergonomie manuellen Pipetten überlegen. Ganz aus den Laboren verschwinden düften letztere aber dennoch nicht.

Als die ersten elektronischen (Mikro)Pipetten vor etwas mehr als dreißig Jahren in den Laboren auftauchten, konnten sich nur wenige Wissenschaftler oder TAs für sie begeistern – was auch nicht weiter verwunderlich war: Die klobigen Dinger lagen nicht nur bleischwer in der Hand; auch das Einstellen der Volumina über unhandliche eckige Druckknöpfe in der Steuereinheit am Kopf der Pipette war umständlich und nur mit zwei Händen möglich. Und natürlich gaben die Akkus genau dann den Geist auf, wenn man die Pipette am dringendsten brauchte, und benötigten Stunden, bis sie wieder geladen waren.

Und dafür sollte man dann auch noch erheblich mehr Geld hinblättern als für die seit Jahrzehnten bewährte, tadellos funktionierende manuelle Pipette? Viele Wissenschaftler ließen von vorneherein die Finger weg von den unausgegorenen Geräten, oder warfen sie nach einer kurzen Testphase frustriert in den Mülleimer und rührten sie nie wieder an.

Unbegründete Skepsis

Heute ist diese Skepsis gegenüber elektronischen Pipetten in den meisten Fällen unbegründet. Aus dem teuren Elektroschrott der achtziger und neunziger Jahre wurden in der Zwischenzeit äußerst präzise funktionierende, einfach zu bedienende und Handgelenk-schonende Geräte, die sich mehr und mehr zu ernsthaften Konkurrenten manueller Pipetten entwickeln. Sie sind zwar immer noch deutlich teurer, aber aufgrund ihrer vielen Vorteile fragt sich inzwischen so mancher Pipettenexperte, wie lange es noch geht, bis elektronische Pipetten ihre manuellen Pendants endgültig ablösen.

Einer ihrer größten Trümpfe ist natürlich das ergonomischere Handling. Hieran ändert auch das etwas höhere Gewicht nichts, zumal die leichtesten elektronischen Einkanal-Modelle inzwischen nur noch etwas mehr als hundert Gramm wiegen. Nachdem bei vielen Modellen selbst der Spitzenabwurf elektronisch erfolgt, ist die Belastung für den Daumen beinahe auf Null gesunken.

Das zu pipettierende Volumen oder ein gespeichertes Pipettierprotokoll stellt der Anwender über Touchwheel, Joystick, Softkeys, Touchpad oder leichtgängige Druckknöpfe am Kopf der Pipette ein und drückt anschließend ohne Kraft­aufwand einen Knopf, um den Pipettier­vorgang zu starten. Insbesondere bei sich wiederholenden Pipettieraufgaben oder mehrschrittigen Protokollen, bei denen die Elektronik das Volumen automatisch anpasst, ist er dabei erheblich schneller als sein Kollege mit der manuellen Pipette, der jede Volumenänderung immer wieder aufs Neue von Hand einstellen muss. Die meisten elektronischen Pipetten sind zudem mit einer Dispensierfunktion ausgestattet, die das zeit­raubende Hin und Her mit manuellen Pipetten zwischen Vorratsbehälter und Zielgefäß überflüssig macht.

Kleine Schönheitsfehler

Neben dem höheren Preis haben aber auch elektronische Pipetten einige weitere kleine Schönheitsfehler. Aufgrund der empfindlichen elektronischen Bauteile kann man sie meist nicht so einfach desinfizieren wie manuelle Pipetten, die man hierzu einfach in den Autoklaven packt.

Nicht besonders anwenderfreundlich sind die sehr unterschiedlich ausgeführten Bedienelemente elektronischer Pipetten. Während sich der Wechsel zwischen verschiedenen Marken bei manuellen Pipetten nur unwesentlich im Gewicht, etwas anderen Druckpunkten der Bedienknöpfe sowie kleinen Variationen bei der Volumeneinstellung bemerkbar macht, fällt der Umstieg bei elektrischen Pipetten oft schwerer. Einige Modelle lehnen sich sehr stark an das Ur-Modell der elektrischen Pipetten an, das die amerikanische Firma Matrix Mitte der achtziger Jahre herausbrachte. Die Steuereinheit mit Display und Bedienbuttons ist hier in eine mehr oder weniger stark angewinkelte Verlängerung des Pipettenkopfes integriert. Diese Anordnung macht durchaus Sinn: Die Finger der Hand können den Pipettenschaft ungestört umfassen und der Daumen erreicht die Bedienelemente. Gleichzeitig ist die Sicht auf das Display frei, auf dem zum Beispiel das eingestellte Pipettiervolumen, das aufgerufene Pipettierprogramm oder der Pipettier-Modus angezeigt werden.

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Mit einem simplen Diaphragma verwandelte die Gruppe von John Hart eine Standardpipette in eine Universalpipette. Foto: MIT

Andere Hersteller weichen von diesem ursprünglichen Design jedoch ab und orientieren sich an der Volumeneinstellung und dem Handling manueller Pipetten. Der Bedienknopf ist bei diesen wie der Druckknopf einer manuellen Pipette auf dem Kopf der Pipette angebracht. Das Display und die weiteren Steuerelemente sitzen im oberen Teil des Pipettengriffs. Die Handhabung ähnelt hierdurch mehr dem einer manuellen Pipette – die Finger der Hand verdecken jedoch das Display.

Angelehnt an manuelle Pipetten

Die Annäherung an manuelle Pipetten geht teilweise so weit, dass auch die Volumeneinstellung wie bei entsprechenden manuellen Modellen durch Drehen des Bedienknopfes erfolgt. Lediglich ein kleines Display auf dem Pipettenkopf erinnert daran, dass es sich um eine elektronische Pipette handelt.

Die Pipettenkonstrukteure mögen mit diesen unterschiedlichen Designs ihre Kreativität demonstrieren. Anwender, die auf ein neues Modell umsteigen müssen, weil der Chef mal eine andere Marke ausprobieren wollte, dürften darüber nicht so glücklich sein. Zumal nicht nur das Handling immer wieder unterschiedlich ist, sondern auch die Menüs und Programmführungen für die Einstellung der Volumina oder Pipettiermodi.

Solange diese Nachteile elektronischer Pipetten bestehen, sollte man manuelle Pipetten noch nicht abschreiben. Zumal es auch bei diesen immer wieder Verbesserungen gibt. Eine wirklich clevere Neuerung, die alle Hersteller manueller Pipetten aufhorchen lassen müsste, schlug Ende letzten Jahres die Gruppe des Mechanik-Ingenieurs John Hart vom Massachusetts Institute of Technology vor (Rev Sci Instrum 87, 115112).

Manuelle Pipetten sind als Luftpolsterpipetten konzipiert, deren maximale Volumenspanne vom Kolbenhub und damit von der Bewegung des Daumens abhängt, der den Kolben über den Drucknopf nach unten drückt. Mehr als ein Zentimeter Hub ist meist nicht drin, wenn der Daumen nicht überstrapaziert werden soll. Das einstellbare Volumen manueller Pipetten ist deshalb in der Regel auf eine Größenordnung (Zehnerpotenz) beschränkt, also zum Beispiel von 1 bis 10 Mikroliter oder 100 bis 1000 Mikroliter.

Erweiterte Volumenspanne

Harts Mitarbeiter haben sich einen simplen Trick ausgedacht mit dem sie die Volumenspanne auf vier Größenordnungen, zum Beispiel von 0,1 bis 1000 Mikroliter, ausdehnen können. Hierzu fügten sie unterhalb des Kolbens ein elastisches Diaphragma in den Hubzylinder ein, das durch das Luftpolster zwischen Kolben und Pipettenschaft verformt wird. Die Verformbarkeit hängt hierbei von der Steifheit des Diaphragmas ab.

Das aus der Pipettenspitze durch die Bewegung des Kolbens verdrängte Luftvolumen, das letztlich die Flüssigkeit in der Spitze ansaugt, wird hierdurch verkleinert und entspricht dem Volumen der Diaphragma-Ausbeulung. Um verschiedene Volumina abdecken zu können, installierte die Gruppe mehrere unterschiedlich steife Diaphragmen in den Hubzylinder, die der Anwender über einen einfachen Schiebemechanismus von aussen zuschalten kann.

In der Praxis ist das Ganze zwar etwas komplizierter: Die zwischen Kolben und Diaphragma komprimierte Luft erzeugt Wärme, die wiederum die Verformung des Diaphragmas beeinflusst.

Aber Harts Leute wären schlechte Ingenieure, wenn sie dies nicht in den Griff bekommen hätten. Nach einigen Berechnungen und Anpassungen funktionierte ihre Universal-­Pipette, die vier Größenordnungen abdeckt, genauso exakt und präzise wie eine übliche manuelle Pipette.

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(Erstveröffentlichung: H. Zähringer, Laborjournal 07/2017, Stand: Juni 2017, alle Angaben ohne Gewähr)




Letzte Änderungen: 12.07.2017