Editorial

Zellen mögen’s rau
Produktübersicht: Zellkulturflaschen,-schalen und -platten

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Mit bloßem Auge sind keine Unterschiede zwischen den Oberflächen von Zellkulturflaschen und -schalen einzelner Hersteller zu erkennen. Unter dem Rasterkraftmikroskop offenbaren sich jedoch deutliche Unterschiede in der Rauigkeit sowie bei den Mustern der vorhandenen Strukturen, die sich auf das Wachstum der kultivierten Zellen auswirken können. Foto: Gruppe Krystyn van Vliet

„Was soll sich bei Zellkulturgefäßen schon groß getan haben“, werden sicher einige denken. Seit Jahrzehnten die gleichen Formen und immer die gleichen Plastikmaterialien. Aber Vorsicht: Plastik ist nicht gleich Plastik und auch bei den Oberflächenbehandlungen gibt es Neues.

Schon seit mehr als hundert Jahren kultivieren Biowissenschaftler Zellen in Schalen oder Flaschen. Zellkulturpioniere wie der amerikanische Physiologe Ross Harrison versuchten bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, entnommene Gewebe als hängende Tropfen an der Unterseite von Deckgläschen oder als Plasma-Klümpchen auf dem Boden von Glasflaschen zu kultivieren. Richtig los ging die Zellkultur in Schalen, Flaschen und Platten jedoch in den fünfziger Jahren, als Forscher die ersten Zellkulturlinien, wie zum Beispiel HeLa-Zellen, entwickelten, die als adhärente Zellen an der Oberfläche der Zellkulturgefäße anhafteten. Wurden die Zellen von einem entsprechenden Zellkulturmedium mit den notwendigen Nährstoffen versorgt, breiteten sie sich als Einzelzellschichten auf der Oberfläche aus und vermehrten sich.

Die Zellkultivierer mussten jedoch schnell feststellen, dass nicht alle Zellen mit den damals üblichen Zellkulturgefäßen aus Borosilikatglas zurecht kamen. Insbesondere primäre Zellen taten sich sehr schwer damit, auf den glatten Glasoberflächen halt zu finden. Nach verschiedenen Versuchen die Glasoberflächen zu beschichten, um den Zellen das Anhaften zu erleichtern, kam den Forschern letztendlich Kollege Zufall zu Hilfe. Bei Experimenten des Plastikherstellers Falcon Plastics in den sechziger Jahren, Plastikoberflächen für die Zellkultur ausgerechnet mit Glas zu beschichten, stießen die Ingenieure auf ein plasmabasiertes Verfahren, mit dem sie die äußerst hydrophobe Oberfläche von Polystyrol in eine hydrophile Oberfläche umwandeln konnten.

Benzolreste werden rausgekickt

Das Prinzip der Plasmabehandlung ist im Grunde simpel: Das mithilfe von Korona-Entladungen oder Mikrowellen erzeugte energiereiche Plasma kickt Benzolreste aus den Polystyrol-Polymeren heraus und ersetzt sie durch sauerstoffhaltige, hydrophile Gruppen. Das hieraus resultierende Tissue Culture Polystyrol, kurz TC-PS, bietet adhärenten Zellen einen perfekten Untergrund zum Anhaften und ist zudem sehr gut wasserbenetzbar.

Seit dem Siegeszug von Zellkulturgefäßen aus Polystyrol oder anderem Plastikmaterial in den sechziger und siebziger Jahren haben diese die früher üblichen Glasschalen oder -flaschen beinahe vollständig verdrängt. Verschiedene Firmen bieten sie mittlerweile in allen erdenklichen Größen sowie Ausführungen an. Obwohl alle Hersteller sehr ähnliche Produktionstechniken und Plasmabehandlungen einsetzen, kommt es aber immer wieder vor, dass Zellen nicht auf allen Kulturschalen oder -flaschen gleich gut wachsen.

Die Gruppe der amerikanischen Materialwissenschaftlerin Krystyn van Vliet vom Massachusetts Institute of Technology hat sich die Zellkulturgefäße verschiedener Hersteller deshalb genauer angeschaut (Acta Biomater. 9: 7354-61). Mit dem winzigen Ausleger eines Rasterkraftmikroskops (AFM) tasteten van Vliets Mitarbeiter im Kontaktmodus kleine Areale der Gefäßoberflächen ab. Ein entsprechendes Imaging-Programm berechnete hieraus hochaufgelöste Bilder der Oberflächen-Topographie.

Schon auf den ersten Blick ist auf den AFM-Abbildungen zu erkennen, dass die Oberflächen alles andere als glatt sind (siehe Abbildung auf Seite 53). Die meisten sind mit einem Netz feinster Riefen und Furchen überzogen, so als hätte man sie mit Schmirgelpapier geschliffen. Einige sehen zwar glatt aus und enthalten keine Rillen, dafür sind sie mit winzigen Kratern und grubenförmigen Löchern übersät.

Interessant ist, dass die verschiedenen Gefäßtypen eines Herstellers jeweils gleiche Furchen-Charakteristika (Rillentiefe und Breite) sowie Muster (Ausrichtung der Furchen) aufweisen. Diese physikalischen Oberflächen-Merkmale unterscheiden sich aber eindeutig zwischen den einzelnen Herstellern und können diesen zugeordnet werden. Offensichtlich wirken sich selbst kleine Variationen bei der Fertigung auf die Oberflächen-Topographie der Gefäße aus.

Um zu sehen, wie Zellen auf die unterschiedlichen Oberflächenstrukturen reagieren, säte die Gruppe hMSC-Stammzellen sowie NIH 3T3-Fibroblast-Zellen auf den einzelnen Platten aus und maß die Fläche, auf der sich die Zellen nach einem Tag ausgebreitet hatten. Gleichzeitig analysierten die Forscher die Proliferationsrate der beiden Zelllinen auf den Platten.

Tatsächlich stellte sich heraus, dass die Größe der von den Zellen eingenommenen Fläche bei hMSC-Zellen signifikant von der verwendeten Marke der Zellkulturplatte abhing. Bei den NIH 3T3-Zellen fanden die Forscher jedoch keinen relevanten Unterschied. Dafür teilten sich die 3T3-Fibroblasten auf unterschiedlichen Plattenmarken verschieden schnell. Die Proliferationsrate der ­hMSC-Zellen war auf allen Platten hingegen annähernd gleich.

Die Analyse der Zellverdopplungsrate lieferte aber noch ein weiteres bemerkenswertes Ergebnis: Die Fibroblasten teilten sich umso schneller, je rauer die Oberfläche der Kulturschale war. An die genaue Untersuchung dieser Beobachtung trauten sich die amerikanischen Forscher zwar nicht heran (das dürfte auch ziemlich vertrackt sein). Stattdessen versuchten sie mit Immunfärbungen des mit ­Adhäsionsprozessen assozierten Proteins Vinculin, eine Interaktion der 3T3-Fibroblasten mit den faserartigen Strukturen der Plattenoberfläche nachzuweisen. Die Gruppe fand hierbei Hinweise, dass die Fibroblasten sich entlang der Furchen und Rillen auf der Oberfläche ausrichten. Möglicherweise dienen die „Polystyrolfasern“ als Ersatz für Fasern der extrazellulären Matrix (ECM), die in der natürlichen Umgebung mit den Zellen wechselwirken und ihre räumliche Anordnung beeinflussen.

Zerfurchte Oberfläche

Inzwischen gibt es Zellkulturgefäße mit vorgefertigten Nanostrukturen, die sich dieses Prinzip zunutze machen. So sind zum Beispiel die Plattenoberflächen des amerikanischen Herstellers Nanosurf Biomedical mit parallelen Furchen durchzogen, die einige hundert Nanometer breit und genauso tief sind. Die zerfurchte Oberfläche soll die Faserstruktur und Biomechanik der extrazellulären Matrix nachahmen und die Adhäsion, Migration sowie Proliferation adhärenter Zellen unterstützen.


Die Flügel des Schmetterlings Morpho menelaus sehen nicht nur wunderschön aus. Sie eignen sich auch zur Oberflächenstrukturierung von Gefäßen für die Zellkultur. Nach einer entsprechenden Vorbehandlung richten sich Fibroblasten an den rillenförmigen Nanostrukturen der Schmetterlingsflügel aus. Foto: Wikipedia

Die winzigen Nanogräben und Grate kann man mit einer sterilen serologischen Pipette aber auch selbst in die Plastikoberfläche kratzen. Eine indische Gruppe kultivierte mesenchymale Stammzellen in einer T-25 Flasche mit glatter Oberfläche und in einer, deren Oberfläche die Wissenschaftler sowohl in Längs- als auch in Querrichtung mit einer serologischen Pipette durch hin und her bewegen der Pipette bearbeitet hatten. Nach den Angaben der Inder proliferierten die Zellen auf der zerkratzten Oberfläche schneller und exprimierten mehr Oberflächen- und Pluripotenz-assoziierte Markerproteine (PLoS ONE 12(8): e0182128).

Wenn Sie es über das Herz bringen, Schmetterlingen die Flügel auszureißen, können Sie auch diese für die Oberflächenstrukturierung von Zellkultur­gefäßen verwenden. Kein Witz. Eine chinesische Gruppe behandelte die von Natur aus extrem hydrophoben Schmetterlingsflügel zunächst mit Plasma, um eine hydrophile Oberfläche zu erhalten. Anschließend tränkten die Forscher die Flügel zuerst in Salzsäure und dann in Natronlauge. Das in den Flügeln vorwiegend enthaltene Chitin wird hierdurch in Chitosan umgewandelt, das zum Beispiel auch häufig als Gerüst bei der 3D-Zellkultur eingesetzt wird. Gleichzeitig entfernt diese Prozedur störende Farbpigmente sowie Proteine.

Die durch die abwechselnde Behandlung mit Salzsäure und Natronlauge farblos gewordenen Flügel sterilisierten die Chinesen abschließend mit 75-prozentigem Alkohol sowie einer zusätzlichen einstündigen UV-Bestrahlung.

Nach dieser Vorbehandlung platzierten die Forscher die Schmetterlingsflügel schließlich auf dem Boden von Zellkulturschalen. Kultivierten sie NIH 3T3-Fibroblasten auf den Flügeln, so richteten sich diese exakt an den faserartigen Nanostrukturen der Flügeloberflächen aus (Polymers 9: 386).

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(Erstveröffentlichung: H. Zähringer, Laborjournal 01/2018, Stand: Januar 2018, alle Angaben ohne Gewähr)




Letzte Änderungen: 04.02.2017