Editorial

Natur war schneller
Produktübersicht: Enzyme, Kits und Reagenzien fürs Genom-Editing

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Crispr

Auch die ausgetüfteltsten Cas9-Nukleasen und sgRNAs sind nur so gut wie das Transportsystem, das sie in die Zellen schleust. Für das In-vivo-Genom-Editing mit CRISPR/Cas9 sind Vehikel aus Lipid-Nanopartikeln eine vielversprechende Alternative zu herkömmlichen, Viren-basierten Systemen. Foto: North Carolina State University

CRISPR/Cas9 ist inzwischen synonym mit Genom-Editing. Entsprechend dominieren CRISPR-basierte Kits den Markt. Noch suchen Forscher aber das optimale Vehikel für den Transport der CRISPR-Komponenten in die Zelle.

Obwohl Maria Jasins Name selten in Verbindung mit dem gegenwärtigen Genom-Editing-Boom genannt wird, war sie es, die das Ganze mit ins Rollen brachte. 1994 entdeckte Jasins Gruppe am Sloan Kettering Institut in New York, dass künstliche, von Nukleasen ausgelöste Doppelstrangbrüche, von zwei zelleigenen Reparaturmechanismen geflickt werden: der Nichthomologen Endenverknüpfung (NHEJ) oder der Homologie-gerichteten Reparatur (HDR). Die NHEJ ist wesentlich häufiger als die HDR und führt meist zu Mutationen, die letztlich das betroffene Gen lahm legen. Seltener, aber umso interessanter ist die HDR, bei der die Zelle fremde DNA-Fragmente mit homologen Enden in das Genom einbaut.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wussten Molekularbiologen, wie sie Gene beziehungsweise Genome editieren konnten: Sie mussten Nukleasen so programmieren, dass sie an gezielten Positionen des Genoms Doppelstrangbrüche auslösten. Was sich in der Theorie sehr einfach anhört, erwies sich in der Laborpraxis aber als äußerst schwierig.

Clevere Idee

Eine interessante Idee, wie man die Programmierung bewerkstelligen könnte, entwickelte Albert Jeltschs Gruppe vom Institut für Biochemie und Technische Chemie der Universität Stuttgart bereits um die Jahrtausendwende. Die Stuttgarter verknüpften Restriktionsenzyme (oder Methyl-Transferasen für die Methylierung der DNA) mit Oligodesoxynukleotiden (ODN), die über sequenzspezifische Triple-Helices mit der Zielsequenz hybridisieren sollten (Front Genet 9, 5). Eigentlich keine schlechte Idee. Die Triple-Helices formierten sich jedoch nur äußerst langsam – und das war nur eines von vielen Problemen, mit denen Jeltschs Gruppe bei den ODNs kämpfte.

Mitte 2000 gab Jeltsch den Kampf mit den ODN-Nukleasen schließlich auf und stieg auf die damals gerade durchstartenden Zinkfinger-Nukleasen (ZFN) sowie Transcription activator-like effector-Nukleasen (TALEN) um. Aufbau und Funktionsprinzip von ZFNs sind ziemlich simpel: Die zwei Einheiten des dimeren Proteins bestehen aus einer Zinkfinger-Domäne mit mehreren Zinkfingern, die jeweils drei Basen der Zielsequenz erkennen. Über einen kurzen Linker ist die Nuklease FokI mit der Zinkfinger-Domäne verbunden. Sobald die Zinkfinger an den passenden DNA-Sequenzen binden, zerschneidet FokI die anvisierte DNA. Die Basenpräferenz der Zinkfinger hängt im Wesentlichen von der Peptidsequenz auf der Alpha-Helix des jeweiligen Zinkfingers ab. Ändert man die Sequenz, wird die ZFN auf eine andere DNA-Sequenz programmiert.

Auch bei TALENs ist die DNA-Bindedomäne zumeist mit der Nuklease FokI verknüpft. Sie ist aber etwas komplizierter aufgebaut als bei ZFN und besteht aus mehr als dreißig, nahezu identischen Peptiden mit jeweils etwa 34 Aminosäuren. Über zwei variable Aminosäuren erkennen die Peptid-Wiederholungen ihre korrespondierende Base auf der Zielsequenz und lenken die Nuklease hierdurch zur vorgesehenen Schnittstelle. Um TALENs auf andere DNA-Ziele einzustellen, muss man theoretisch nur die passenden Peptid-Wiederholungen einbauen. In der Realität ist dies jedoch mit ziemlich viel Aufwand verbunden.

Viel einfacher geht das Umprogrammieren mit dem CRISPR/Cas-System, das sich nicht zuletzt deshalb in Windeseile als Standardwerkzeug für das Genom-Editing etablierte und in den meisten Genom-Editing-Kits verwendet wird. Wie Albert Jeltsch in seiner lesenswerten persönlichen Retrospektive zu zwanzig Jahren Genom-Editing schreibt, war die Natur schon längst auf seine Idee mit den ODNs gekommen und hat sie im Verlauf der Evolution perfektioniert (Front Genet 9, 5).

Natur macht‘s vor

Die von der Natur erfundenen ODNs nennen sich CRISPR-RNAs (crRNAs) und wurden 2011 von Emmanuelle Charpentier entdeckt, damals noch an der Universität Umea in Schweden. Sie stammen vom Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats-(CRISPR)-Lokus von Bakterien und Archeen. Auf diesem Abschnitt des Genoms sammeln die Mikroben eingedrungene Fremd-DNA, um sie als zukünftige Wachhunde ihres Immunsystems einzusetzen. Dazu wird die fremde DNA zunächst als crRNA exprimiert. Anschließend bildet die crRNA einen Komplex mit der transactivating CRISPR-RNA (tracrRNA) sowie der Endonuklease Cas9. crRNA führt den Komplex schließlich zur Zielsequenz, die unmittelbar vor einem kurzen sogenannten Protospacer adjacent motif (PAM) liegen muss. Ist diese Bedingung erfüllt, zerschnippelt Cas9 die DNA an dieser Stelle.

Schwierig, so ein ausgereiftes System auf dem Reißbrett zu entwerfen. Den Molekularbiologen blieb also lediglich die Aufgabe, CRISPR/Cas9 für das Genom-Editing etwas zu modifizieren. Dazu ersetzten sie crRNA und tracrRNA durch eine einzelne single guide RNA (sgRNA), die Cas9 zuverlässig und leicht programmierbar zur anvisierten Zielsequenz leitet. CRISPR-Kits enthalten deshalb meist nur entsprechende Vektoren für die Expression von Cas9 und sgRNA. Am simpelsten sind sogenannte All-in-one-Vektoren, die sowohl Cas9 als auch tracrRNA beherbergen. Hier muss man lediglich ein Oligo mit der gewünschten Zielsequenz vor die tracrRNA klonieren, um die sgRNA zu erhalten.

Nuklease-Varianten

In den wenigen Jahren seit der Einführung von CRISPR/Cas9 für das Genom-Editing wurde das System immer weiter verfeinert und mit neuen Nukleasen ergänzt. Hinzugekommen ist zum Beispiel die „tote“ Nuklease dCas9 ohne Nukleaseaktivität, mit der sich die Genexpression hemmen oder aktivieren lässt. Der letzte Schrei sind derzeit CRISPR-Cas-Ribonukleasen, wie zum Beispiel Cas13d aus Darmbakterien, die RNA statt DNA schneiden und sich damit für den Knock-Out von Transkripten eignen (Cell 173: 1-12).

Aber auch diese neuen Nukleasen muss man erst einmal in die Zielzellen bekommen. Bei In-vitro-Experimenten mit Zellkulturen ist der Transport noch relativ simpel zu bewerkstelligen: Das Plasmid mit Cas9 und sgRNA wird ganz konventionell mithilfe von Transfektionsreagenzien, durch Elektroporation oder mit mechanischen Zelldeformations-Verfahren in das Zellinnere geschleust. Für In-vivo-Versuche sind Plasmide jedoch keine so gute Idee, weil durch die anhaltende Cas9-Expression Off-target Effekte vorprogrammiert sind. In diesen Fällen werden meist Adeno-assoziierte Viren (AAV) eingesetzt, um die CRISPR-Komponenten in die Zellen zu verfrachten. Aber auch AAVs sind nicht unproblematisch. Die Expression der Nuklease läuft bei diesen ebenfalls weiter, zudem können sie unerwünschte Immunreaktionen auslösen.

CRISPR-Taxis aus Fettpartikeln

Optimal wäre ein Gefährt, das genügend Platz hat für Cas9 sowie mehrere sgRNAs und das nach deren Auslieferung rasch wieder abgebaut wird. Zudem sollte es mit ihm möglich sein, die CRISPR-Komponenten wiederholt in mehreren Dosen zu verabreichen. Wenn man das Transportsystem auch noch in größeren Mengen herstellen könnte, wäre die Sache perfekt. Einer aktuellen Publikation der US-amerikanischen Genom-Editing-Firma Intellia Therapeutics zufolge spricht vieles dafür, dass Lipid-Nanopartikel (LNPs) diese Kriterien am ehesten erfüllen (Cell Reports 22: 2227-35).

Für die Herstellung der LNPs mischte das Intellia-Team zunächst ein Lipid namens LP01 in einem bestimmten Verhältnis mit den Helfer-Lipiden Cholesterol, Distearoylphosphatidylcholin (DSPC) sowie PEG2k-DMG. Anschließend löste die Gruppe Cas9-mRNA zusammen mit einer entsprechenden sgRNA in einem Acetat-Puffer. Die beiden Lösungen verquirlten die Forscher in einem kommerziellen Mikrofluidik-Mischer, die hieraus resultierenden Lipid-Nanopartikel sammelten sie schließlich in einer PBS-Lösung.

LNPs werden besonders gut von Leberzellen aufgenommen. Das Team packte deshalb eine sgRNA gegen das Transthyretin-Gen (Ttr) von Mäusen in die LNPs. Das Ttr-Gen wählten die Forscher von Intellia nicht ohne Grund: Bei Menschen führen Mutationen im überwiegend in der Leber exprimierten TTR-Gen zu Ablagerung von Amyloidfibrillen im Gewebe und letztlich zu Organversagen. Mit einem editierten TTR-Gen könnte man dies verhindern.

Die Gruppe injizierte die Ttr-LNPs in die Schwanzvene von Mäusen und erreichte dadurch einen nahezu vollständigen Knock-Down des Transthyretin-Proteins. Bemerkenswert ist, dass dieser mindestens zwölf Monate stabil blieb – das ist insbesondere im Hinblick auf eine mögliche therapeutische Anwendung der Technik eine sehr gute Nachricht. Die von den LNPs transportierte Cas9-mRNA sowie die sgRNA verschwanden dagegen innerhalb von drei Tagen wieder. Und auch das Lipid LP01 wurde in den Lebern der Versuchsmäuse zügig abgebaut.

sgRNA auf fliegendem Teppich

Ein ziemlich exotisches Vehikel für den Cas9/sgRNA-Transport stellte Ende letzten Jahres eine chinesische Gruppe um den Laserspezialisten Da Xing vom Laser Life Science Institute der South China Normal University vor (Nanoscale 10: 1063-71): Die Chinesen benutzten folienförmiges Graphenoxid als fliegenden Teppich für den Cas9/sgRNA-Transport. Graphen besteht aus einer einzelnen Lage von Kohlenstoffatomen, die eine hexagonale, an eine Bienenwabe erinnernde Kristallstruktur bilden. Reagieren sauerstoffhaltige Gruppen mit einzelnen Kohlenstoffatomen des Graphens, entsteht das wasserlösliche und biologisch abbaubare Graphenoxid.

Um die Stabilität in Flüssigkeiten zu erhöhen, funktionalisierten Xings Mitarbeiter Graphenoxid zunächst mit Polyethylenglycol (PEG) sowie Polyethylenimin (PEI). Das erhaltene GO-PEG-PEI mischten sie danach mit einer Pufferlösung, die Cas9 sowie sgRNA enthielt. Offensichtlich werden Cas9 und die sgRNA über Adsorptionskräfte auf das GO-PEG-PEI geladen, ohne ihre Funktionalität zu verlieren. Als Ziel für die Gen-Editionsversuche wählten die Chinesen Zellen, die das grünfluoreszierende Protein EGFP stabil exprimierten. Entsprechend zielte ihre sgRNA gegen eine Sequenz des EGFP-Gens.

Die Chinesen inkubierten die mit Cas9/sgRNA beladenen Nanofähren mit den EGFP-Zellen, und beobachteten bei 39 Prozent der Zellen eine deutliche Reduktion der Fluoreszenz. Das Gen-Editing hatte demnach funktioniert. Die Gruppe vermutet, dass GO-PEG-PEI inklusive der Cas9/sgRNA-Fracht über Endosomen in die Zellen aufgenommen wird. Offensichtlich entkommt es anschließend den Endosomen und liefert Cas9/sgRNA wohlbehalten am Zellkern ab.

Mal sehen, wie lange es dauert, bis diese oder ähnliche Nanofähren in Genom-EditingKits oder -Reagenzien auftauchen. Wenn ihre Entwicklung genau so schnell voranschreitet wie die von CRISPR/Cas9, dürfte dies schon recht bald der Fall sein.

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(Erstveröffentlichung: H. Zähringer, Laborjournal 05/2018, Stand: April 2018, alle Angaben ohne Gewähr)




Letzte Änderungen: 08.05.2018