Die weggeblasene Signalsucherin

Ralf Neumann


Editorial

Vergröbertes Bild der Rätsel-Protagonistin

(07.02.2023) Sie wagte es, die Validität der Ergebnisse von Kollegen anzuzweifeln. Bald darauf verschwand sie komplett von der Bildfläche. Trotz großer eigener Forschungsleistungen.

Als sich unsere Gesuchte an einer Elite-Universität im Osten der USA in die Experimente ihrer Doktorarbeit stürzte, wurde schnell klar: Hier schwingt eine besondere Persönlichkeit die Pipette. Am Ende sollten ihre Ergebnisse zum Zusammenbau eines Bakteriophagen gar derart weitreichend sein, dass ihr Doktorvater sie explizit in seiner Dankesrede als frischgebackener Nobelpreisträger erwähnte.

Sie selbst war zu diesem Zeitpunkt bereits vier Autostunden weiter nordostwärts gezogen – und arbeitete zunächst an einem „Basic Science Institute“, das ein Schweizer Pharmagigant dort zwölf Jahre zuvor gegründet hatte. Mit ihrem Forschungsthema war sie ebenfalls „weitergezogen“: Ihr Interesse galt fortan dem Startvorgang eines zentralen Prozesses der Gen­expression in kernhaltigen Zellen.

Drei Jahre zuvor hatte ein australisches Forscherduo das entscheidende Startsignal in Bakterien entschlüsselt, über das sich die molekularen „Player“ des universellen Zellvorgangs zusammenschließen. In den analogen Molekülen eukaryotischer Zellen kam dieses Startsignal jedoch nicht vor. Die entsprechende Suche war damit eröffnet.

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Diese gestaltete sich zunächst schwierig, da die relevanten Moleküle damals nicht ganz leicht zu isolieren und zu analysieren waren. Mitte der Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts hatte unsere Gesuchte – inzwischen Professorin für „Biological Sciences“ an der Universität einer Stadt, die einst größter Stahlerzeuger der Welt war – jedoch genug „Analysedaten“ gesammelt, um ein dem bakteriellen Prozess analoges Startsignal für eukaryotische Zellen herauszufiltern.

Die Signalstruktur trägt seitdem ihren Namen, sie weist aber deutliche Unterschiede zu ihrem bakteriellen Pendant auf. Zum einen kann die Zusammensetzung des Signals erheblich stärker „wackeln“ als in dem eindeutigen bakteriellen System. Und zum anderen reagiert der größere Prozesspartner auf das Erkennen des Signals zunächst mit einem kontrollierten Abtasten – statt mit sofortiger und klarer Bindung wie bei den Bakterien.

Trotz solcher „Schwammigkeiten“ konnte unsere Gesuchte dennoch die prinzipielle Unerlässlichkeit der Signalstruktur für den Start des Zellvorgangs mit Mutationsexperimenten verifizieren. Was nachfolgend auch weitere Forscher unabhängig von ihr bestätigten.

Resultat dieser Erkenntnisse war unter anderem, dass die US-Zeitschrift The Scientist unsere Signalsucherin Anfang der Neunzigerjahre unter den zehn meistzitierten Wissenschaftlerinnen des gesamten letzten Jahrzehnts listete. Nahezu zeitgleich wechselte sie auf eine Biochemie-Professur an einer weiteren großen Universität an der US-amerikanischen Ostküste.

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Hässlich wurde es dann kurz nach der Jahrtausendwende. In einem Review stellte unsere Zellforscherin minutiös und fundiert die Validität von Resultaten infrage, aufgrund derer ein alternatives Startsignal für den zentralen Zellprozess postuliert worden war. Und stach damit in ein Wespennest. Umgehend reagierte einer der Protagonisten des Alternativ-Modells mit einem wütenden Antwortbrief im selben Journal, unter dem er die Unterschriften von 87 weiteren Kolleginnen und Kollegen versammelte. Weitgehend ohne auf die inhaltlichen Punkte unserer Gesuchten einzugehen, warfen sie ihr vor, mit dem Review lediglich ihre eigenen Behauptungen höher hängen zu wollen.

Unsere Gesuchte stemmte sich diesem geballten Gegenwind zwar noch einige Jahre entgegen, wurde am Ende aber förmlich von ihm weggeblasen. So werten jedenfalls einige Zeitzeugen dieser Attacke die Tatsache, dass unsere Gesuchte wenige Jahre später keine Fördergelder mehr erhielt, dazu ihr Labor verlor – und 2007 im Alter von 64 Jahren ihr letztes Paper veröffentlichte.

Einer kommentierte damals etwa folgendermaßen: „Ich stimme ihr zu, dass es keine soliden Beweise für [die andere Signalstruktur] gibt. Damit wollte sie aber keineswegs sagen, dass es [die Struktur] nicht gibt. Die ‚Beweise‘ sehen für sie nur unglaublich schlampig aus. [...] Ich denke, dass diejenigen, die ihre Kritik nicht zu schätzen wissen, ziemlich engstirnige Individuen sind. Es ist eine Sache, mit dem, was sie sagt, nicht einverstanden zu sein – aber sich über sie zu ärgern, weil sie Fragen stellt oder Kritik äußert, ist armselig. Was ist denn sonst der Sinn von Peer-Review, wenn nicht Rückmeldungen und Kritik zu bekommen?“

Und ein anderer ergänzte: „Obwohl es die Fachleute womöglich frustriert, ist es wahrscheinlich gut, dass es eine engagierte Kritikerin gibt, die auf Mängel in den veröffentlichten Daten hinweist. Ich wünschte, es gäbe eine solche Person in meinem Fachgebiet.“

Nach 2007 verlor sich indes die Spur unserer Gesuchten, auch wenn ihre Universität sie noch eine Weile in ihrem Personal führte. Im gesamten Internet lässt sich keinerlei Hinweis darauf finden, wie es mit ihr weiterging. Ihr Name taucht nur noch im Zusammenhang mit der von ihr ausgetüftelten Signalstruktur auf. Die ist allerdings bis heute aktuell.

Wie heißt deren Namensgeberin?






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„Die weggeblasene Signalsucherin“ ist Marilyn Kozak, die die signalgebende Bedeutung der Kozak-Sequenz auf der eukaryotischen mRNA für die Translations-Initiation durch das Ribosom entschlüsselte.