Der Gefrierschadenbeseitiger

Jörg Klug


Editorial

Vergröbertes Bild des Rätsel-Protagonisten

(15.05.2023) Viele Entdeckungen werden mithilfe von „Serendipity“ gemacht. Der Begriff geht zurück auf das persische Märchen „Die drei Prinzen von Serendip“, in dem diese durch Zufallsbeobachtungen Entdeckungen machten, nach denen sie gar nicht gesucht hatten. Bei unserem Gesuchten war es ganz ähnlich.

Dieser wuchs als zweites von vier Kindern auf einer Geflügelfarm in einer beschaulichen Stadt auf, in der auch eine Autorin sehr erfolgreicher Kinderbücher für längere Zeit lebte. Sein Vater litt wegen der Teilnahme am Ersten Weltkrieg an einer Behinderung – weswegen ihm der Sohn bei der täglichen Arbeit auf dem Bauernhof half, als sich dessen Gesundheitszustand weiter verschlechterte. Dies sollte ihn für seine wissenschaftliche Laufbahn prägen.

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Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs begann er selbst ein Studium der Landwirtschaft. Wegen deren nationaler Bedeutung in Kriegszeiten wurde er nicht zum Militär eingezogen und konnte schon innerhalb von zwei Jahren einen einfachen Bachelor-Abschluss machen.

Kurze Zeit später bekam er – heute kaum vorstellbar – eine Dauerstelle in der Abteilung für Experimentelle Biologie eines nationalen Instituts für medizinische Forschung. Dort begann er seine Doktorarbeit über Methoden, mit denen man Spermien von Hühnern, genauer gesagt: Hähnen, einfrieren konnte.

Betreut wurde unser Gesuchter dabei von einer Frau, die während des Zweiten Weltkriegs als Ärztin gearbeitet hatte und sich jetzt mit Neurotransmittern in Meerestieren beschäftigte. Zusammen fanden sie heraus, dass man Spermien von Hähnen in einer Fructose-Lösung bei -79 Grad Celcius einfrieren kann, ohne dass sie nach dem Auftauen ihre Beweglichkeit verlieren. Eine Eizelle konnten die Spermien jedoch nicht mehr befruchten.

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Es war also wenig gewonnen. Dennoch war unser Gesuchter überzeugt, dass er mit der richtigen Fructose-Konzentration sowohl die Motilität wie auch die Befruchtungsfähigkeit erhalten könne. Also setzte er nach einer mehrmonatigen Pause seine Arbeit fort – mit einer Flasche Fructose-Medium, die noch von den alten Versuchen übrig war. Und siehe da: Diese Lösung wirkte kryoprotektiv.

Als die Flasche jedoch leer war und unser Jungforscher eine neue Lösung ansetzen musste, war die protektive Wirkung wieder dahin. Ein investigativer Gang durch den Kühlraum offenbarte schließlich, dass die Beschriftungen auf den Flaschen vertauscht worden waren – weswegen er tatsächlich ein histologisches Einbettungsmedium mit Eiweiß und Glycerin verwendet hatte. So wurde Glycerin als das erste kryoprotektive Agens identifiziert – und kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schlüpften die ersten Küken nach einer künstlichen Befruchtung mit Spermien, die in einem Glycerin-haltigen Medium eingefroren und wieder aufgetaut worden waren.

Unser Gesuchter wurde damit zu einem „Prinzen von Serendip“, dessen zufällige Entdeckung ihm eine Publikation in Nature sowie sechs Jahre später die Promotion einbrachte. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass unbeschriftete, falsch beschriftete oder vertauschte Flüssigkeiten in den seltensten Fällen zu aufregenden Entdeckungen führen und in der Regel eher unvereinbar mit einer Dauerstelle sind.

Die nächste Frage war klar: Funktioniert das auch mit den Spermien anderer Spezies? Und in der Tat schützte Glycerin zumindest auch die Spermien von Kaninchen, Heringen und Bullen vor „Gefrierschäden“.

Wegen der großen wirtschaftlichen Bedeutung waren natürlich die Bullenspermien besonders interessant. Bis dahin konnte man diese nur über einen sehr begrenzten Zeitraum im Kühlschrank aufbewahren. In der Praxis limitierte das den Einsatz der künstlichen Befruchtung so stark, wie es selbst heute noch beim Hausschwein der Fall ist. Und tatsächlich: Unser „Frost-Forscher“ musste nur den Einfrierprozess anpassen, und schon klappte die künstliche Befruchtung auch mit eingefrorenem Bullensperma.

Für den praktischen Einsatz erhielt er daraufhin einen Transporter, damit er die umliegenden Bauernhöfe versorgen konnte. Wenig später stellte er seine Ergebnisse auf einem großen Kongress vor – und ging anschließend auf eine internationale Tournee, um Bauern in der ganzen Welt die neue Technik zu vermitteln.

Ein Kalb namens „Frostie“, das nach Insemination mit zuvor eingeforenem Sperma entstand, brachte unserem Gesuchten auch medialen Erfolg. Und in den 1970er-Jahren betreute er schließlich seinen wohl bekanntesten Doktoranden. Bevor dieser als „Vater“ eines gewissen Schafes Wissenschaftsgeschichte schreiben sollte, war es diesem gelungen, einen Kälberembryo in flüssigem Stickstoff einzufrieren, wieder aufzutauen und in den Uterus einer „Leihkuh“ einzupflanzen. So wurde das Kalb „Frostie II“ geboren.

Bei der Kommerzialisierung seiner Forschung hatte unser „Gefrier-Virtuose“ jedoch kein Glück. Immerhin aber regnete es im Alter Preise für ihn: Er wurde als Auslandsmitglied in die US National Academy of Sciences aufgenommen, bekam bekannte israelische und japanische Preise – und wurde sogar beinahe geadelt.

Wie heißt er?



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