Der ungewöhnliche Naturstoffisolierer

Jörg Klug


Editorial

Vergröbertes Bild des Rätsel-Protagonisten

(08.09.2023) Als Wissenschaftler muss man nicht nur für die Anerkennung seiner Ergebnisse und Überzeugungen kämpfen, sondern mitunter auch für seine Rechte oder um sein Leben. Vor allem, wenn man wie unser Gesuchter die „falsche“ Hautfarbe hat.

Unser Gesuchter und seine fünf Geschwister wurden im Zentrum der US-Bürgerrechtsbewegung als Enkel eines Sklaven geboren. Die Schule für Afroamerikaner, in die er dort ging, endete bereits mit der achten Klasse. Nur mit der Hilfe eines Lehrers, der sein Talent erkannte, konnte er ein kleines„liberaleres“ College weiter nördlich besuchen. Dort waren Farbige zwar nicht wirklich willkommen, aber immerhin wurden sie geduldet – auch wenn sie nicht auf dem College-Gelände wohnen durften.

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Im Alter von 21 Jahren machte unser Student dort seinen Bachelor in Chemie. Zwei Jahre später erhielt er ein Promotionsstipendium für Harvard, wo er jedoch nur einen Master in Organischer Chemie machen konnte, weil ihm die Universität die für seinen Unterhalt wichtige Assistentenstelle entzog. Man befürchtete, dass sich die Studenten weigern würden, von einem Afroamerikaner unterrichtet zu werden.

Der so Ausgebremste nahm daher eine Dozentenstelle an der führenden afroamerikanischen Universität in Washington DC an. 1929 erhielt er dann ein Rockefeller-Promotionsstipendium und ging damit in das Labor eines berühmten Alkaloidforschers in Wien. Obwohl damals in Europa gerade der Faschismus aufkam, konnte unser Gesuchter dort – wie viele andere farbige Intellektuelle mit ihm – an dem lebendigen kulturellen Leben teilnehmen, das es „zuhause“ nur für Weiße gab.

1931 promovierte er über ein Alkaloid aus dem Hohlen Lerchensporn. Sein Wiener Doktorvater erklärte später, er habe nie einen Studenten gesehen, der so talentiert gewesen sei wie dieser ungewöhnliche junge Mann.

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Zwar kehrte er anschließend auf die Leitung des Instituts für Chemie an dem College in Washington zurück, doch musste er seine Professorenstelle bald wegen schmutziger Anfeindungen wieder aufgeben. Retter in der Not war ein Förderer an dem kleinen College, an dem alles angefangen hatte – und in dem er ihm jetzt eine Stelle in der dortigen Chemie anbot. Im Wettrennen mit einem späteren britischen Nobelpreisträger gelang es ihm, ausgehend von einem Anilin-Derivat ein Alkaloid herzustellen, das bis dahin mühsam aus einer seltenen afrikanischen Bohne isoliert werden musste – und das bis heute als wirksames Antidot bei verschiedenen Vergiftungen und Erkrankungen eingesetzt wird.

Spätestens damit war unser Gesuchter einer der besten organischen Chemiker seiner Zeit. Doch trotz dieser Leistung, die später von der American Chemical Society als „National Historic Chemical Landmark“ ausgezeichnet wurde, blieb ihm die verdiente Professorenstelle wegen seiner Hautfarbe weiterhin versagt – was ihn letztlich „bewog“, sich in der Industrie zu bewerben. Aber auch hier handelte er sich zahlreiche Absagen wegen seiner Hautfarbe ein, wie etwa die folgende von DuPont: „Wir wussten ja nicht, dass sie ein Schwarzer sind!“

Schließlich machte ihn Glidden, damals der größte Lackhersteller der USA in Cleveland, Ohio, doch noch zum Forschungsdirektor seiner Soja-Sparte – unter anderem, weil er aufgrund seiner Promotion in Wien fließend Deutsch sprach. Auf der Suche nach neuen Verwendungsmöglichkeiten für Soja isolierte er zunächst Sojaprotein aus Sojaschrot, einem Abfallprodukt bei der Ölherstellung. Nachfolgend entwickelte er zahlreiche technische Anwendungen für Sojaprotein – berühmt wurde das Feuerlöschmittel „Air-O-Foam“ – und half dadurch mit, die USA zum Hauptproduzenten von Soja zu machen.

Eines Tages drang aufgrund eines „Unfalls“ (Serendipity!) während der Sojaöl-Herstellung Wasser in das System, woraufhin sich ein weißer Schlamm bildete, in dem weiße Kristalle schwammen. Unser Gesuchter identifizierte diese sofort als ein Steroid, das er bereits als Nebenprodukt von der afrikanischen Bohnen-Alkaloidsynthese her kannte. Damit konnte man das Steroid plötzlich ganz einfach und in großen Mengen aus Sojabohnen isolieren – was es wiederum ermöglichte, Steroidhormone wie zunächst Progesteron pfundweise und billig herzustellen.

Auch die Herstellung einer direkten Vorstufe von Cortison gelang unserem Soja-Experten. Was wiederum in ein großes Wettrennen um die Erstsynthese mündete, als dessen großes therapeutisches Potenzial bei Patienten mit rheumatoider Arthritis klar wurde.

Als Glidden 1954 seine Pharmazie-Sparte aufgab, gründete unser Gesuchter seine eigene Firma. Hier isolierte er unter anderem das Steroid Diosgenin aus der mexikanischen Yamswurzel, das ebenfalls als Ausgangssubstanz für viele weitere Steroide genutzt werden konnte. Zu dieser Zeit war unser Unternehmer einer der reichsten Afroamerikaner der USA und lebte in einem Reichen- und damit Weißenviertel von Chicago. Dennoch ereilte ihn fast das gleiche Schicksal wie Martin Luther-King, als ein Brand- und ein Sprengstoffanschlag auf das Haus der Familie verübt wurden.

Vielfach wurde er noch ausgezeichnet. So wurde er kurz vor seinem Tod erst als zweiter Afroamerikaner überhaupt in die US-National Academy of Sciences aufgenommen. Bis heute sind es nicht viel mehr geworden.

Wie heißt er?






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Im Rätsel ist gefragt nach Percy Lavon Julian, ein afroamerikanischer Steroidchemiker, Unternehmer und Bürgerrechtler, der geniale Wege fand, um medizinisch wichtige Verbindungen aus pflanzlichen Vorstufen zu synthetisieren.