Editorial

Der italienische Blitz-Heiler

Winfried Köppelle


Rätsel

(02.11.2016) Als Erbauer eines pittoresken Märchenschlosses bewies er Sinn für Romantik, als notori­scher Quacksalber hingegen Geschäftssinn und ganz enorme Einbildungskraft.

Gegen das bizarre Gemäuer, das unweit der italienischen Metropole Bologna im nördlichen Apennin auf einem namenlosen Hügel thront, wirken selbst illustre Postkarten-Idyllen wie Neuschwanstein oder Burg Eltz etwas farblos. Mitte des vorletzten Jahrhunderts verwirklichte sich dort jemand, augenscheinlich frei von finanziellen Sorgen, seinen privaten Traum und schuf ein architektonisch-prunkvolles Sammelsurium diverser Baustile. Seit einigen Jahren kann man die Anlage sogar besichtigen (Italienischkenntnisse sind allerdings von Vorteil!) und staunend durch eine Reihe monumental aufragender Säle wandeln. Die in leuchtend-satten Farben, mit bis zur Decke reichenden geometrischen Mustern bemalten Innenräume wirken sogar noch exzentrischer als die gewiss nicht diskrete Außenansicht.

Eine Frage, die sich wohl jeder Besucher irgendwann stellt: Wer ist der Erbauer dieser verspielten Luxusresidenz?

Es ist der links abgebildete Herr, der als Sohn einer wohlhabenden Familie aus der norditalienischen Region Emilia-Romagna zunächst eine Karriere als Bankier und Politiker einschlug. 1837 soll der damals 28-jährige die Sparkasse von Bologna mitgegründet haben, elf Jahre später wurde er Parlamentsabgeordneter in Rom. Was ihm jedoch lebenslange Privilegien einbrachte, war eine generöse Geste gegenüber dem päpstlichen Hof: Zusammen mit seinem Bruder Guiseppe schenkte er Pius IX. die Verfügungsgewalt über einen strategisch bedeutenden Adriahafen nördlich von Ravenna. Der Pontifex revanchierte sich, indem er den Gesuchten zum Grafen ernannte.

„Konservierte pflanzliche Elektrizität“

Nunmehr geadelt, krempelte unser erst 39-jähriger Conte binnen weniger Monate sein Leben komplett um. Er sagte der Politik ade und widmete seine Zeit stattdessen dem Studium medizinischer Lehrbücher. Offenbar wurde er zu jener Zeit auch auf das Werk des kurz zuvor verstorbenen Heilkundlers Samuel Hahnemann aufmerksam. Parallel plante der Gesuchte die Errichtung seines Altersruhesitzes: des eingangs beschriebenen, pompös-verspielten, mit maurischen Details konzipierten Palais, erbaut auf den Ruinen einer alten Burg. Mit seinem Architekten war unser Mann offenbar nicht wirklich zufrieden; mehrmals veranlasste er Umbauten. Später engagierte er sogar einen Diener, dessen Aufgabe es war, vom Turm aus den in Ungnade Gefallenen wüst zu beschimpfen, sobald dieser in die Nähe kam.

Nach zehn Jahren war der Bau zumindest bezugfertig, und unser Graf begann das, was man heute als die zweite Karriere eines zunehmend an Realitätsverlust leidenden Exzentrikers beschreiben könnte: Er entwarf eine spezielle Spielart der damals noch jungen Homöo­pathie – absurd zwar und ohne jeden Realitätsbezug, doch auch nicht weniger absurd als die Lehre Hahnemanns grundsätzlich. Unser bis dahin in punkto Medizin gänzlich unbeleckter Junggraf reicherte die Homöopathie willkürlich mit Elementen der alchemistischen Spagyrik und der Humoralpathologie an und fabrizierte in seinem Schloss fortan Zuckerkügelchen, die mit „geheimen“, vergorenen Pflanzensäften getränkt waren (die Natur seiner Rezepturen wurde allerdings erst nach dem Tod des Gesuchten offengelegt). Er könne aus Pflanzen eine geheimnisvolle „vegetabilische Elektrizität“ extrahieren und in Arzneimitteln konservieren, behauptete er; diese würden „schlagartig wie elektrischer Strom“ wirken. In seinem Schloss eröffnete er ein Behandlungszentrum, in dem die Reichen Schlange standen; selbst König Ludwig von Bayern und Zar Alexander II gehörten zu seinen Patienten. Selbstredend, dass unser Mann keine Wirksamkeitsnachweise lieferte. Dennoch wird er in der Gegend bis heute von der Bevölkerung verehrt. Wie heißt er?




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Der gesuchte, italienische Blitz-Heiler ist der Paramediziner Cesare Mattei (1809-1896). Aus schwerreichem Hause stammend, schlug er zunächst eine Karriere als Politiker ein. 1847 schenkte er dem päpstlichen Stuhl ein strategisch wichtiges Territorium nahe der Küstenstadt Ravenna und wurde als Dank dafür postwendend zum Grafen ernannt. Mattei bekam zu dieser Zeit auch Samuel Hahnemanns Homöopathie-Bibel „Organon der Heilkunst“ in die Finger und beschloss offenbar, es diesem gleich zu tun: Er legte seine Ämter nieder, ließ im nördlichen Appenin ein prächtiges Märchenschloss („Rocchetta Mattei“) erbauen und eröffnete ein darin beheimatetes Behandlungszentrum, in dem er seine Patienten „elektrohomöopathisch“ mit verdünnten, vergorenen Pflanzensäften behandelte. Dass die Wirkung dieser Therapie nicht belegt ist, versteht sich von selbst.