Editorial

"Giftschleim-Forschung"

Zitationsvergleich 2000 bis 2002: Virologie
von Ralf Neumann, Laborjournal 03/2005


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Viren gibt es wahrscheinlich mehr als Sand am Meer. Doch nur mit den Winzlingen, die richtig krank machen, lassen sich auch viele Zitierungen sammeln.

Die Virologie ist im Gegensatz zu vielen anderen biomedizinischen Disziplinen noch recht gut eingrenzbar. Wie das prinzipiell jedes Mal der Fall ist, wenn eine bestimmte Organismengruppe im Fokus steht.

Ob man allerdings bei Viren noch von Organismen sprechen sollte, ist Definitionssache. Manche bezeichnen sie als azelluläre Organismen, andere lediglich als (infektiöse) Partikel. Das lateinische Wort "Virus" meint übrigens "Schleim" oder "Gift".

Wie auch immer, ein wenig unscharfe Ränder hat die Virusforschung dennoch. Insbesondere dort, wo die durch Viren ausgelösten Krankheiten stark in den Vordergrund drängen, vermischt sie sich schnell mit anderen Feldern - etwa mit der Infektiologie und Infektionsimmunologie. Oder mit den jeweiligen medizinischen Fächern, welche sich um die durch Virusinfektionen betroffenen Organe und Krankheiten kümmern - Hepatologie und Hepatitis ist hier wohl das prominenteste, aber bei weitem nicht das einzige Beispiel. Noch weiter vom Kern der Sache entfernt sind dann diejenigen, die virale Systeme lediglich als "Tool" für einen anderen Zweck bearbeiten - siehe etwa Transformation und Gentherapie.

Viel zitiert mit Antikörpern

Was heißt das für den vorliegenden Zitationsvergleich? Natürlich machen nicht nur Leute Virusforschung, die an virologischen Instituten arbeiten. Das wäre ein zu enges Kriterium. Um aber auf der anderen Seite nicht zu weit auszuufern, wurden für den Vergleich der Köpfe nur Forscherinnen und Forscher berücksichtigt, die - abgesehen von multidisziplinären Zeitschriften - einen deutlichen Publikationsschwerpunkt in echten virologischen Journals haben.

Auf diese Weise rutschte denn auch sogleich die Nummer eins unseres Vergleichs in die Wertung: der Wiener Hermann Katinger. Möglicherweise ist dieser gar nicht mal so breit bekannt in der Virologen-Szene. Der Hauptgrund dafür dürfte sein, dass er das Institut für Angewandte Mikrobiologie an der Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU) leitet. Virusforschung würde man bei solchen Bezeichnungen nicht unbedingt erwarten. Es ist allerdings so, dass die BOKU sich den Untertitel "University of Natural Resources and Applied Life Sciences" gegeben hat - womit wir der Sache schon etwas näher kommen.

Nicht nur Virologen

Hermann Katinger nun hat sich dort, wie auch seit den Achtzigern als Direktor der Firma POLYMUN Scientific, einen Namen als Spezialist für die Produktion von Antikörpern und anderen Biomolekülen in Zellkulturen gemacht. Seit Anfang der Neunziger Jahre gelangen ihm und seinem Team auf diese Weise ein paar be-sondere monoklonale Antikörper gegen HIV-Proteine, die seitdem mannigfach in der Erforschung dieser Viren eingesetzt werden - auch von Katinger und Co.

Die Folge ist, dass er etwa die Hälfte seiner 39 Artikel der Jahre 2000-2002 in spezifisch virologischen Journals publizierte. Allein sieben Artikel in dem Sparten-Edelblatt Journal of Virology zeichnete er mit seinem Namen. Und auch unter dem am häufigsten, wie auch dem am dritthäufigsten zitierten Artikel dieses Zeitraums mit Beteiligung aus dem deutschsprachigen Forschungsraum seht sein Name. Genauso wie der seiner Mitarbeiterin Gabriela Stiegler, die nicht zuletzt deshalb Platz zwei der Top 50 belegt.


Danach folgt eine Phalanx von "echten" Forschern aus virologischen Instituten - angeführt von drei verhältnismäßig jungen Vertretern ihrer Zunft: dem Heidelberger Ralf Bartenschlager (3.), gefolgt von dem Neu-Erlanger Ulrich Schubert (4.) sowie Hans Kräusslich (5.), ebenfalls Heidelberg. Erst mit dem Münchner Ulrich Koszinowski (6.) und dem Marburger Hans Dieter Klenk (8.) tauchen Forscher auf, die schon über einen längeren Zeitraum in der Szene etabliert sind.

Übrigens: Wohl etabliert ist auch der Leiter der Klinischen und molekularen Virologie an der Universität Erlangen, Bernhard Fleckenstein. Im letzten Virologie-Zitationsvergleich 1997-1999 belegte er noch den zweiten Platz, sein Mitarbeiter Frank Neipel den ersten. Beide sammelten jedoch mit ihren Publikationen der nächsten drei Jahre (2000-2002) nicht genug Zitierungen, um dieses Mal unter die Top 50 zu kommen.

Ein wenig exotisch mag womöglich auch die Nummer 10 erscheinen: Sebastian Bonhoeffer, der am Institut für Ökologie & Evolution der ETH Zürich die Abteilung "Theoretische Biologie" leitet. Dort widmet er sich indes in einem breiten Schwerpunkt der Populationsbiologie infektiöser Pathogene - und bearbeitet dieses Thema insbesondere am HI-Virus. Mit dem Resultat, dass auch Bonhoeffer unsere Kriterien erfüllt: Etwa die Hälfte seiner Artikel 2000-2002 stehen in virologischen Journals.


Prominente Viren

Apropos HIV: Mit entsprechenden Arbeiten über dieses Thema lassen sich viele Zitierungen erreichen, das wird auch aus dem bisher Geschriebenen klar. Mit welchen Viren aber noch? Nur mit wenigen anderen, wenn man sich Paper und Köpfe unseres Vergleichs daraufhin anschaut: natürlich Hepatitis- und Influenzaviren, dann Herpes-, Cytomegalie-, und Adenoviren - dazu vielleicht noch Epstein-Barr- und Filoviren wie Ebola oder Lassa.

Mit anderen, medizinisch nicht ganz so prominenten Viren hat man es schwer, viele Zitierungen zu sammeln. Aber immerhin: Im Drei-Jahresfenster des nächsten Zitationsvergleichs sind dann vielleicht schon SARS und Vogelgrippe dabei.






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Letzte Änderungen: 10.06.2005