Editorial

Mehr als nur Husten

Publikationsanalyse 2006-2009: Lungen- & Atemwegsforschung
von Lara Winckler, Laborjournal 06/2012


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Foto: Susann Städter/
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Asthma, Raucherlunge und Krebs bescherten Kinderärzten, Krebsforschern und Epidemiologen massenhaft Zitierungen.

Lunge und Atemwege zu erforschen bedeutet, sich auf interdisziplinäres Terrain zu begeben. Schon die ganz „normale“ Funktion der Lunge lässt sich aus mehreren Richtungen untersuchen – biochemisch, molekularbiologisch oder auch physiologisch, und die Anatomen finden ebenfalls ihr Auskommen. Allerdings widmete sich unter den 50 bis heute meistzitierten Lungen- und Atemwegsforschern in den Jahren 2006-2009 nur ein kleiner Teil dem gesunden Atmungsorgan. Robert Bals (24.) von der Homburger Pneumologie etwa interessiert sich u. a. für die angeborene Immunabwehr mittels antimikrobieller Peptide – dies jedoch wiederum vor dem Hintergrund, so auch die Krankheiten des Respirationstraktes zu verstehen.

Das kranke Organ

Lungen- und Atemwegserkrankungen gibt es viele, und aus mindestens so vielen Disziplinen rekrutieren sich die Lungen- und Atemwegsforscher. Da wären Allergien wie Heuschnupfen (allergische Rhinitis) und Asthma, Spezialgebiet der Immunologen und auch der Kinderheilkundler, was deren hohe Dichte von immerhin zwölf unter den Top 50 erklärt. Außerdem Infektionskrankheiten wie Lungenentzündung (Pneumonie) und Tuberkulose, Betätigungsfeld etwa der Infektiologen, Inneren Mediziner und Epidemiologen. Daneben die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) durch Luftverschmutzung oder Rauchen („Raucherlunge“), und in deren Folge oft Lungenhochdruck und Lungenkrebs – was Kardiologen und Krebsforscher auf den Plan bringt, wie auch die Arbeitsplatz- und Sozialmediziner. Und in letzter Instanz, wenn alles andere nicht mehr hilft, die Thoraxchirurgen, die denn auch zügig zur Lungentransplantation schreiten.

Drei Themen standen in Artikeln der deutschsprachigen Lungen- und Atemwegsforschung 2006 bis 2009 ganz oben auf der Liste: Asthma, Lungenkrebs und COPD. Jeweils zehn der Top 50 hatten das Bronchialkarzinom bzw. den „Raucherhusten“ zum Thema. Knapp die Hälfte forschte an Asthma – etwa aus allergologischer Sicht, wie Erika von Mutius (4.), Dr. von Haunersches Kinderspital, LMU München. Von Mutius steht laut Web of Science weltweit auf Platz 11 der Asthma-Artikel-Rangliste, dicht gefolgt von Joachim Heinrich (2.) auf Platz 12 und Ulrich Wahn (7.) auf Platz 21. Eine Studie in Lancet aus dem Jahr 1998 von Ulrich Keil (50.), seit 2009 emeritiert, dem Ulmer Epidemiologen Stephan Weiland (8.) und von Mutius ist der bis heute am dritthäufigsten zitierte Asthma-Artikel weltweit.

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Ein Fall für die Epidemiologie

Die Epidemiologen Heinz-Erich Wichmann (1.) und Joachim Heinrich (2.) vom Helmholtz-Zentrum der TU München in Neuherberg analysieren das Asthma in Zusammenhang mit Allergenen und anderen Umwelteinflüssen. Wichmann lässt dabei nicht nur alle anderen Top 50-Lungenforscher weit hinter sich, er ist zugleich einer der „Problemfälle“ dieses Vergleichs. Denn Wichmann ist kein hauptamtlicher Lungenforscher, sondern Epidemiologe und beschäftigt sich als solcher mit Risikofaktoren für Krankheiten und ihre Verteilung in der Bevölkerung. Dabei handelt es sich um sogenannte Volkskrankheiten, wie die koronare Herzkrankheit, Fettsucht oder auch Alzheimer, um die sich auch seine meist­zitierten Artikel drehen – und eben um Lungenerkrankungen, wie Asthma, Allergien, Lungenkrebs usw.

Zwei der zehn bis heute meistzitierten Artikel zur Lungen- und Atemwegsforschung aus den Jahren 2006 bis 2009 behandeln genetische Ursachen sowie Ausbreitung von Asthma, ebenso wie zwei der meistzitierten Reviews. (Fast) Den ganzen Rest der Top 10-Artikel bestreiten Studien zur Behandlung von Lungenkrebs – mit Zytostatika wie Cisplatin und Gemcitabin, dem EGFR-Antikörper Cetuximab oder dem Tyrosinkinase-Inhibitor Gefitinib. Bei fünf Top 10-Lungenkrebs-Artikeln ist Joachim von Pawel (3.) unter den Autoren, womit er auch bei den meistzitierten Artikeln das Treppchen besteigt.

Ein Artikel jedoch toppte all die Krebsartikel: Eine Arbeit über die tödliche Wirkung des antimikrobiellen Peptids Cathelicidin aus Makrophagen auf Mycobacterium tuberculosis, an der Robert Bals mitschrieb. Insgesamt sind drei Mykobakterien- und Tuberkulose-Forscher, zu denen Bals nicht einmal zählt, unter den Top 50-Lungenforschern. Mit Sabine Rüsch-Gerdes (9.), Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für Mykobakterien am Forschungszentrum Borstel, erhielt eine von ihnen 2005 gar den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland für ihren Einsatz gegen die Tuberkulose.

Keuchend in die Zukunft

Die Lungenforschung hat Hochkonjunktur, das Lung Center der Uniklinik Gießen behauptet sich seit Jahren auch in unseren Zitationsvergleichen, und seit ein paar Monaten gibt es ein Deutsches Zentrum für Lungenforschung (DZL). „Die Lungenforschung dürfte sich in den nächsten Jahren rapide entwickeln“, ist Werner Seeger (5.), DZL-Koordinator und Direktor am Gießener Lung Center sowie am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim, überzeugt.

Da auf absehbare Zeit weder die Luftverschmutzung noch die Unvernunft der Raucher abnehmen werden, wird er wohl Recht behalten.




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Letzte Änderungen: 02.09.2012