Vierbuchstabenforscher

Publikationsanalyse 2010-2014: Molekulargenetik und Genomik
von Ralf Neumann, Laborjournal 09/2016


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Ranking Molekulargenetik und Genomik
Illustr.: Abrai Barnabas

Editorial

Die meisten Zitierungen in „Molekulargenetik und Genomik“ sammelt man heutzutage als Bioinformatiker oder in großen Forschungskonsortien.

Beginnen wir mit ein wenig Geschichte: Wie allgemein bekannt, wurde die Genetik in den 1950er Jahren „molekular“ – und mutierte zur Molekularbiologie. 1963 schrieb dann Sydney Brenner den berühmten Satz an Max Perutz: „Ich habe schon lange das Gefühl, dass die Zukunft der Molekularbiologie in ihrer Erweiterung auf andere Gebiete der Biologie liegt [...].“ Und tatsächlich wendeten sich in der Folge mit ihm noch viele andere der damals führenden Molekularbiologen von den Fragen der Genetik ab, um mit den frisch entwickelten molekularen Techniken ungelöste Probleme in anderen biologischen Disziplinen zu untersuchen. Nicht zuletzt brachten sie ihr Fach damit auf den Weg zu einer Art biologischer Meta-Disziplin.

Spätestens mit dem Humangenomprojekt wurde die Molekularbiologie vom nächsten Strom erfasst: der Genomik. Und noch einmal wiederholte Wissenschaftsgeschichte sich selbst. Immer rasanter wurden genomische Informatio­nen gewonnen, so dass wieder nahezu die gesamte Riege der biomedizinischen Disziplinen begann, die Tools und Methoden der Genomik für ihre Fragestellungen zu rekrutieren ( – und diese teilweise sogar zur Metagenomik weiterentwickelten). Das Ende vom Lied: Auch die Genomik – wie die Molekularbiologie zuvor – evolvierte zu einer Art biologischer Meta-Disziplin.

Editorial
Zur Meta-Disziplin und zurück

Damit war aber nicht Schluss. Nachdem immer mehr Felder „genomisch“ geworden waren, folgte zwangsweise die Post-Genomik. Eine ihrer entscheidenden Fragen war: Wie realisiert die Zelle aus einer relativ kleinen Anzahl von Protein-kodierenden Regionen innerhalb der endlosen Folgen von A, C, T und G‘s eine solche Vielfalt von Proteinprodukten? Klar, dass die Post-Genomik damit weit über die reine Sequenzinformation hinausgehen muss – und vielmehr versucht, von dieser ausgehend Strukturen und Mechanismen zu entschlüsseln, mit denen das Genom in seiner Gesamtheit das jeweilige biologische System tatsächlich realisiert. Und ganz unverhofft war man damit wieder mitten in den klassischen Themen der Genetik gelandet: Transkription, Translation, Epigenetik, Genregulation und -expression,... Nur dass man jetzt im Zeitalter der Post-Genomik diese grundlegenden genetischen Themen in viel größerem Maßstab angehen konnte – unter anderem etwa mit den Methodenarsenalen der Computational Biology und Systembiologie.

Diese Entwicklung lässt die Komplexität der Frage erahnen, was „Molekulare Genetik & Genomik“ heute tatsächlich ist – gerade auch im Rahmen dieser Publikations­analyse. Der Wissenschaftshistoriker Robert Olby schlug etwa vor, eine „breite“ Definition des Feldes von einer „engen“ zu unterscheiden. Demnach umfasse die breite Definition alle Felder, in die die Molekularbiologie als „experimentelles und theo­retisches Paradigma“ eingezogen ist. Die „enge“ Definition dagegen versuche weiterhin, deren Status als klar abgegrenzte biologische Disziplin aufrechtzuerhalten, die sich von anderen Disziplinen durch ureigene Schlüsselkonzepte und Fragen unterscheidet. Als ein solches Schlüsselkonzept der molekularen Genetik und Genomik formulierte etwa der Berliner Wissenschaftshistoriker Hans Jörg Rheinberger „die Erforschung der Mechanismen des Flusses der genetischen Information und ihrer molekularen Details“.

In unserer Publikationsanalyse haben wir versucht, uns an diese „enge“ Definition der „Molekularen Genetik und Genomik“ zu halten. Die Kernfrage war daher: Stehen bei den betreffenden Arbeiten und Forschern wirklich genetische Fragen im Mittelpunkt, oder sind die anvisierten Themen stärker relevant für andere Disziplinen? Womit klar sein dürfte, dass etwa Genom-weite Assoziationsstudien oder Arbeiten aus der sogenannten Genetischen Epidemiologie trotz der Namen hier nicht zu berücksichtigen waren.

Zitate sind nicht gleich Zitate

Demnach jetzt noch ein paar Worte zu den Resultaten der Analyse, wie sie die Tabellen der folgenden Doppelseite zusammenfassen. Genetik untersucht, wie Organismen Bauplan-Informationen sowohl weitergeben als auch konkret in biologische „Strukturen und Handlungen“ übersetzen. Seitdem diese Bauplan-Informationen jedoch immer üppiger fließen, brauchen Genetik und Genomik umso stärker die Mithilfe von Bioinformatikern, oder besser Computational Biologists, um die Informationsfluten bändigen wie auch umfassend analysieren zu können.

Klar, dass unser Publikationsvergleich der Jahre 2010 bis 2014 diese Entwicklung widerspiegelt. Neun der zehn meistzitierten Paper dieses Zeitraums aus „Molekularer Genetik und Genomik“ drehen sich um großangelegte Erhebungen genomischer Datenberge, beziehungsweise um die Entwicklung von Methoden zur gezielten Analyse umfassender Sequenzdatensätze.

Eine Begleiterscheinung davon ist, dass die fünf Artikel auf den Plätzen 1, 2, 4, 5 und 7 jeweils von großen globalen Forscher-Konsortien veröffentlicht wurden – mit der Konsequenz, dass sich die beteiligten Autoren aus unserem Analysegebiet bisweilen zwischen Hunderten von weiteren Konsortiums-Kollegen verstecken.

Welches Problem sich damit aufdrängt, ist klar: Wie sind etwa die über 3.000 Zitate für den Autor Nummer 347 des erstplatzierten Humangenom-Artikels tatsächlich zu werten? Und dies insbesondere im Vergleich zu den 1.500 Zitaten, die sich die sechs Autoren um den Zürcher Martin Jinek und die Neu-Berlinerin Emmanuelle Charpentier mit ihrem sechstplatzierten CRISPR/Cas-Paper verdienten? Schwierig. Eigentlich ist nur zu folgern, dass man für eine zuverlässige Beurteilung unbedingt wissen sollte, wie die Zitierzahlen jedes einzelnen Forschers tatsächlich zustande kamen.

Auch die Liste der meistzitierten Köpfe dominieren entsprechend Bioinformatiker und Genomiker, die großteils ihre Expertise auch in globale Konsortien einbringen konnten – allen voran die EMBL-Computerbiologen Peer Bork (1.), Jan Korbel (3.), Adrian Stütz (4.) und Wolfgang Huber (6.). Dazwischen schoben sich lediglich noch die beiden Pioniere des einstigen Deutschen Humangenomprojekts, Hans Lehrach (2.) vom MPI für Molekulare Genetik in Berlin und Peter Lichter (5.) vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg.

Editorial

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Eigentlich schaffte es noch einer...

Zum Schluss wollen wir – quasi als „Exoten“ – noch die beiden Pflanzenforscher unter den Top 50 erwähnen: den Gaterslebener Niels Stein auf Platz 46 und den Tübinger Detlef Weigel auf dem neunten Platz. Letzterer ist vor allem dafür bekannt, Arabidopsis-Genome auf Fragen der Anpassung und Evolution hin zu untersuchen – und fungiert daher auch seit 2008 als einer der Protagonisten des „1001 Genomes Project“ in Arabidopsis.

Ein weiterer Pflanzenforscher hätte es eigentlich noch auf Listenplatz 47 geschafft: Laut Datenbank sammelte der Zürcher Gene-Silencing-Spezialist Olivier Voinnet ganze 1.554 Zitierungen. Da aber zuletzt fast alle seine zitierten Artikel aufgrund manipulierter Abbildungen (mega-)korrigiert oder gar zurückgezogen wurden, ließen wir ihn doch besser draußen.


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Letzte Änderungen: 14.09.2016