Editorial

Zielsucher und Wirkungsjäger

Publikationsanalyse 2011-2015: Pharmakologie
von Mario Rembold, Laborjournal 10/2017


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Illustr.: LJ

Pharmakologische Forscher ackern auf den unterschiedlichsten Feldern: Man findet Experten für metallorganische Verbindungen, Neurowissenschaftler, Dopingfahnder und viele mehr. Nur auf Frauen stößt man selten.

Wie kann man Substanzen einsetzen, um gezielt Veränderungen im Organismus herbeizuführen? Und vor allem: Über welche Mechanismen interagieren diese Stoffe mit dem Lebewesen? Diesen Monat schauen wir uns Autoren und Paper zu diesem Themenkreis an – es geht um die Pharmakologie.

Außen vor bleiben dabei die Toxikologen, die ihr eigenes Ranking haben. Gesucht haben wir also nach Wissenschaftlern, die im Analysezeitraum vorwiegend in pharmakologischen und pharmazeutischen Zeitschriften publizierten und stießen gleich auf das erste Abgrenzungsproblem: Auch Mikrobiologen wie Stefan Schwarz (FU Berlin) oder Patrice Nordmann (Uni Fribourg) platzieren jede Menge Artikel in Zeitschriften, die die Web of Science-Datenbank als „pharmakologisch“ kategorisiert.

Mikrobiologen eher nicht dabei

Nun gibt es ohnehin große Überlappungen zwischen Journalen, die pharmakologische und mikrobiologische Themen präsentieren. Tatsächlich sind ja auch zahlreiche Mikrobiologen beispielsweise an Antibiotika-Resistenzen und den hierfür relevanten Genen interessiert – was durchaus auch pharmakologisch relevant ist. Trotzdem liegt der Fokus besagter Mikrobiologen fast immer auf den Bakterien und ihren pathogenen Eigenschaften. Die Interaktion der Erreger mit den antibiotisch wirksamen Substanzen ist eher ein Nebenaspekt, sodass wir Mikrobiologen nicht für unsere aktuelle „Köpfe“-Liste berücksichtigt haben.

Auch zu den Neuroforschern wollten wir die Pharmakologen abgrenzen. Erstere sind hier nur aufgelistet, wenn sie in nennenswertem Umfang an der Wirkung von Substanzen interessiert sind; oft tauchen Neurowissenschaftler nämlich als Koautoren pharmakologischer Paper auf, obwohl eigentlich nur deren Knowhow über das Gehirn gefragt ist.

Zu denen, die wir dennoch mit aufgenommen haben, gehört etwa Andreas Reif (4., siehe Tabelle, S. 43), der heute an der Uni Frankfurt arbeitet und auf ADHS und bipolare Störungen spezialisiert ist. Er untersucht Stoffwechsel und Genetik dieser Erkrankungen und wie pharmakologisch wirksame Substanzen in die Prozesse eingreifen. Promoviert hatte er am Würzburger Institut für Pharmakologie – ein weiteres Indiz, dass er tatsächlich in diese Community gehört.

Neben den Zeitschriften, in denen die Artikel der Forscher erscheinen, haben wir nämlich auch auf deren Türschilder geschaut. Wer an einem pharmakologischen Institut forscht, dem schreiben wir grundsätzlich auch ein Interesse an der Pharmakologie zu. Auch hier galt es aber, Grenzen zu ziehen. So forscht beispielsweise Dirk Guldi am Department Chemie und Pharmazie der Uni Erlangen-Nürnberg. Mit Biologie oder Medizin hat er aber nichts am Hut: Er publiziert zu Polymeren für solartechnische Anlagen und gehört somit trotz der „zwittrigen“ Institutsbezeichnung nicht in unsere Liste der meistzitierten Pharmaforscher.

Mancher Chemiker schon

Dennoch haben wir Chemiker nicht per se ausgeklammert. Ingo Ott von der TU Braunschweig zum Beispiel landet auf Platz 9 und ist Experte für Metallkomplexe und metallorganische Verbindungen. Ebenso Gilles Gasser (12.), der im Analysezeitraum an der Uni Zürich tätig war. Klingt erstmal nicht nach Lebenswissenschaften – doch beide erforschen Metallverbindungen als Wirkstoffe, etwa gegen Bakterien oder Tumorzellen. Ein eindeutig pharmakologischer Hintergrund also.

Auch die Omics finden zunehmend Einzug in die pharmakologischen Institute. „Pharmakogenomik“ ist ein Stichwort, das in Papern von einigen der Top-50-Autoren auftaucht. So etwa bei Matthias Schwab (7.), der an der Universität Tübingen und am Dr. Margarete Fischer-Bosch-Institut für Klinische Pharmakologie (IKP) in Stuttgart forscht.

Firmen mischen mit

Eher ein Exot in unserer Liste ist dagegen Jürgen Bajorath (17.), der am Life & Medical Science Institute (LIMES) der Universität Bonn Pharmakologie am Computer betreibt. So gehört das Data Mining nach Wirkstoffen zum Aufgabenfeld seiner Arbeitsgruppe.

Natürlich stößt man bei der Suche nach den meistzitierten Pharmaforschern auch auf Namen aus der „freien Wirtschaft“. Einer von ihnen belegt Platz 1 der „Köpfe“-Liste: Hans-Jürgen Wörle erforscht die Behandlung von Diabetes – ebenso wie Uli Brödl (2.), Stefan Hantel (16.) und Michaela Mattheus (34.), die wie Wörle im Analysezeitraum bei Boehringer Ingelheim unter Vertrag standen. Thematisch gibt es in deren Artikeln zwar deutliche Schnittmengen zur Endokrinologie, doch haben wir bei Mitarbeitern einer Pharmafirma, die eine Volkskrankheit erforschen, auch ein zentrales Interesse an der Pharmakologie unterstellt.

Mit dem Blutkrebs-Experten Christian Klein (31.) aus Zürich ist übrigens auch die Firma Roche einmal vertreten; ebenso wie PIQUR-Therapeutics aus Basel, wo Doriano Fabbro (37.) Kinasen inhibiert.

Kommen wir zu drei Autoren, die wir im Frühjahr vom Pflanzenforscher-Ranking ausklammerten, obwohl sie unter anderem in Pflanzen-Zeitschriften publiziert hatten. Ihre Namen kommen jetzt hier zum Zug, da alle drei das pharmakologische Potential von Pflanzenstoffen untersuchen – zum Beispiel beim Einsatz gegen Krebs oder Viren. Angeführt wird die Riege der Phytopharmakologen von Thomas Efferth (10.) von der Uni Mainz, gefolgt von Michael Wink (32.) aus Heidelberg und Mat­thias Hamburger (48.) aus Basel.

Ebenfalls als Pharmakologen einsortiert haben wir drei Dopingforscher von der Deutschen Sporthochschule Köln: Mario Thevis (23.), Andreas Thomas (41.) und Wilhelm Schänzer (26.), der dieses Jahr in den Ruhestand gegangen ist. Sicher denkt man beim Stichwort „Pharmakologie“ nicht gleich ans Doping, doch auch hier geht es schließlich um Substanzen, die gezielt eine Wirkung im Organismus auslösen sollen. Und selbst wenn die hier genannten Protagonisten vor allem nach Wegen suchen, ebenjene Stoffe im Körper nachzuweisen und Doping zu unterbinden – alle drei haben zahlreich in pharmakologischen Zeitschriften veröffentlicht.

Werfen wir als nächstes einen Blick auf die regionale Verteilung innerhalb der „Köpfe“-Liste: Sechs Autoren waren im Analysezeitraum in Basel ansässig. Vier am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH). Ihren Platz unter den Pharmakologen sichern sich diese Wissenschaftler durch ihre Forschung an Substanzen und Therapien gegen Parasiten wie Plasmodien oder Trypanosomen. Der meistzitierte unter ihnen ist Marcel Kaiser auf Platz 13.

Seine Beinahe-Namensvetterin Jennifer Keiser (18.) am selben Institut ist übrigens eine von nur drei Frauen in unserem Ranking. Die Top-Ten bleiben komplett unter Männern, erst auf Platz 11 finden wir mit Christa Müller von der Uni Bonn die meistzitierte Dame der Liste. Und Bonn wiederum taucht mit vier Einträgen zusammen mit Ingelheim als zweithäufigste Stadt in der Liste auf.

Zuletzt noch ein paar Worte zu den meistzitierten Papern aus der pharmakologischen Forschung: Hier haben wir uns entschlossen, den Rahmen möglichst eng zu fassen. Wir wollen nämlich primär Arbeiten präsentieren, in denen entweder die Wirkung einer Substanz im Mittelpunkt steht, oder aber die Suche nach Substanzen, um Moleküle im Organismus gezielt zu beeinflussen.

Klinische Studien am Menschen zur Wirksamkeit von Medikamenten tauchen daher hier nicht auf. Manchmal messen die Forscher dabei zwar auch Metabolite und schließen dann auf pharmakodynamische und pharmakokinetische Prozesse zurück, doch findet die eigentliche pharmakologische Forschung in der Regel vor den klinischen Studien an menschlichen Probanden statt. Hätten wir den Begriff der Pharmakologie auch auf klinische Studien ausgeweitet, hätten diese wohl die gesamte Artikel-Tabelle überschwemmt; der Blick auf die grundlegende Arbeit der Pharmaforscher wäre uns verwehrt geblieben.

Auch genetische Assoziationsstudien und epidemiologische Analysen bleiben in den Listen unberücksichtigt, selbst wenn gelegentlich Pharmakologen in der Autorenliste stehen. In den Tabellen zu den meistzitierten Artikeln wollten wir zudem nur Arbeiten auflisten, in denen erstmals Daten pharmakologischer Forschung veröffentlicht werden. Sogenannte „Guideline“-Paper haben wir daher ausgeklammert, ebenso Metaanalysen zu Nebenwirkungen oder dem therapeutischen Outcome.

Die Top-Position der Artikelliste geht an eine Arbeit, die die Struktur eines Adrenozeptors in seiner aktiven Konformation untersucht. Die Autoren wollten die Struktur des Proteins nach Bindung eines Agonisten besser verstehen, womit diese Resultate auch für Arznei­stoffentwickler relevant sind. Auf Platz 2 ein Artikel über die bereits erwähnten metallorganischen Verbindungen, hier solchen mit antikanzerogener Wirkung. Mitgeschrieben haben Ingo Ott (9.) und Gilles Gasser (12.).

RNAs neu im Visier

Erwähnenswert auch noch Platz 5: Das Paper beschreibt den Einfluss zweier Mikro­RNAs auf die Insulin-Sensitivität – und zeigt damit, dass nicht mehr nur Proteine sondern auch Nukleinsäuren als Ziele für Wirkstoffe in Frage kommen. Gut möglich, dass in einigen Jahren Medikamente für Diabetiker auf den Markt kommen, die RNAs inhibieren oder stabilisieren.

Was bleibt als Resümee dieser Publikationsanalyse? Zehn der meistzitierten Köpfe sind oder waren in der Schweiz tätig, 47 sind männlich. Unter den Pharmakologen haben es Schweizer offenbar leichter als Frauen, wenn es um das Sammeln von Zitierungen geht.


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Letzte Änderungen: 11.10.2017