Editorial

Mehr als nur Verdauungsapparat

Publikationsanalyse 2008-2017: Gastroenterologie und Hepatologie
von Mario Rembold, Laborjournal 04/2019


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Grafik: iStock / SomkiatFakmee

Leberforscher wie auch Gastroenterologen sammeln potenziell die meisten Zitierungen durch Publikationen über Krebserkrankungen. Doch auch Hepatitis, Mikrobiomik und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen sind beliebte Forschungsfelder.

Wir können jemandem „die Worte im Mund rumdrehen“ und auch schon mal ein gutes oder schlechtes „Bauchgefühl“ haben. Manche Probleme „schlagen uns auf den Magen“, anderes geht uns an den fünf Buchstaben vorbei. An schlechten Tagen läuft einem aber auch mal eine Laus über die Leber. Gastroenterologie und Hepatologie liefern uns offenbar eine Reihe von Metaphern, die Einzug in die Alltagssprache gehalten haben. Dass wir gerade negative Emotionen subjektiv irgendwo im Bauch lokalisieren, mag daran liegen, dass Magen und Darm unmittelbar auf Stressreize reagieren können. Schließlich durchzieht den Darm ein derart dichtes Geflecht vegetativer Nervenfasern und -knoten, so dass manchmal gar von einem „Bauchgehirn“ die Rede ist. In unserem alltäglichen Erleben ist der Bauch also mehr als bloß ein Verdauungsapparat.

Tatsächlich haben auch viele Forscher heute einen „ganzheitlichen“ Blick auf die Rolle des Darms. Die Mikroorganismen, die wir darin mit uns herumtragen, sollen unser Immunsystem modulieren oder sogar den Neurotransmitter-Haushalt im Gehirn mit beeinflussen. Darüber hinaus scheinen die Darmbakterien auch bei der Ausprägung unterschiedlichster Krankheitsbilder bis hin zum Autismus eine Rolle zu spielen. Nicht alle Studien hierzu bewiesen sich bislang als reproduzierbar – trotzdem ist sich die Fachwelt inzwischen weitgehend einig, dass unsere mikrobiellen Mitbewohner wichtige Aufgaben übernehmen und ein Ungleichgewicht in deren Lebensgemeinschaften die Ausprägung von Krankheitssymp­tomen zumindest begünstigen kann.

Für unsere Publikationsanalyse heißt das, dass wir Namen aus unterschiedlichen Disziplinen erwarten dürfen, wenn es um die Gastroenterologie geht. Und über die Hepatologie gehen uns dann auch noch eine Reihe von Virusforschern ins Netz. Dennoch bereitete uns die Abgrenzung diesmal keine größeren Probleme, denn in den meisten Fällen war klar ersichtlich, welcher Forscher ein zentrales Interesse an Leber, Magen oder Darm hat – und wer nur zufällig einmal „in den Bauch“ abschweift. Daher verzichten wir auf detailreiche Erläuterungen zum technischen Prozedere der Publikationsanalyse und schauen direkt auf die Tabellen.

Der Blick auf die meistzitierten Artikel verrät, welche Themen unter den Leber- und Magen-Darm-Experten große Beachtung fanden: vor allem Krebserkrankungen der entsprechenden Organe. Mit beinahe 6.000 Zitierungen auf Platz 1 steht eine Klinische-Phase-3-Studie an rund 600 Patienten mit fortgeschrittenem Leberkarzinom. Getestet hatten die Forscher den Kinase-Inhibitor Sorafenib und zeigten, dass der Wirkstoff das Überleben der Patienten im Schnitt um immerhin drei Monate verlängerte. Schon in unserer letzten Publikationsanalyse zur Gastroenterologie und Hepatologie führte dieser Artikel aus dem Jahr 2008 die Liste an. Inzwischen hat die Publikation ihre Zitierungen mehr als verdoppelt.

In der Autorenliste dieses Papers stehen auch vier unserer meistzitierten Köpfe. Einer von ihnen ist Stefan Zeuzem von der Uniklinik in Frankfurt, der neben den Krebserkrankungen der Leber auch über Hepatitis, Leberzirrhose und Virostatika-Therapien veröffentlicht hat. Mit mehr als 35.000 Zitierungen belegt er Platz 2 der aktuellen „Köpfe“-Liste.

Tumorforschung, klar!

Insgesamt fünf der zehn meistzitierten Artikel drehen sich um Krebs. Darunter zwei weitere klinische Studien –, einmal ebenfalls zu Leberkrebs (4.) und einmal zur Therapie von Darmkrebs (6.). An Letzterem mitgeschrieben hat Claus-Henning Köhne, der auf Platz 22 der meistzitierten Gastroenterologen und Leberforscher landet und weitere Arbeiten rund um kolorektale Karzinome publiziert hat.

Übrigens hat mehr als ein Drittel unserer meistzitierten Köpfe einen Großteil der Zitierungen durch Arbeiten zu Tumoren erlangt. Das ist wenig überraschend, weil Krebsthemen grundsätzlich eine größere Community ansprechen und entsprechend öfter zitiert werden als die allermeisten anderen Themen.

Mit diesen hohen Zitierzahlen wenigstens halbwegs mithalten kann man mit humangenetischen Publikationen. Das Problem mit diesem Feld ist, dass etliche Genetiker ihre Fühler letztlich in ganz unterschiedliche Disziplinen ausstrecken. Häufig sind sie auf Sequenziermethoden oder Datenanalyse spezialisiert und können auf diese Weise heute mit dem Hirnforscher und morgen mit dem Evolutionsbiologen auf einer Autorenliste stehen. Um für die aktuelle „Köpfe“-Liste berücksichtigt zu werden, musste aber ein klarer thematischer Fokus auf das Innere des Bauchs ersichtlich sein.

Dies ist beispielsweise der Fall bei Stefan Franke vom Institut für Klinische Molekularbiologie der Uni Kiel. An ihn geht Position drei in der „Köpfe“-Liste, denn seine Publikationshistorie im Analysezeitraum spricht für ein deutliches Interesse an der Gastroenterologie: Ein Drittel seiner rund 300 Artikel thematisiert Morbus Crohn oder das Mikrobiom im Darm.

Mitgeschrieben hat Franke unter anderem auch das Paper auf Platz 7 der Artikel-Tabelle. Darin beschreiben die Autoren 71 neue Genloci, die sie mit chronisch-entzündlichen Darm­erkrankungen in Verbindung bringen. Weiterer Ko-Autor dieser Studie ist Stefan Schreiber, Klinikdirektor der Inneren Medizin I am Universitätsklinikum in Kiel – womit wir beim meistzitierten Forscher aus den Reihen der hiesigen Gastroenterologen und Hepatologen angekommen wären. Schreiber kommt zum Stichtag unserer Analyse mit seinen Publikationen der Jahre 2008 bis 2017 auf über 54.000 Zitierungen. Er taucht zudem noch in den Autorenlisten zahlreicher weiterer Arbeiten auf, die man zwar primär der Humangenetik zuschreiben kann, die sich thematisch aber um entzündliche Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts drehen.

Kommen wir nun zu den Mikroorganismen und einer wegweisenden Arbeit hierzu aus dem Jahre 2011. Forscher um Peer Bork, der sowohl am EMBL Heidelberg als auch am Berliner Max-Delbrück-Centrum forscht, berichteten damals von verschiedenen Enterotypen, die sie metagenomisch im Darm identifizieren konnten. Demnach gibt es offenbar bestimmte typische „Wohngemeinschaften“ von Darmmikroben, die sich voneinander abgrenzen lassen. Besagtes Paper steht auf Platz 5 der meistzitierten Artikel. Überdies finden sich Bork und Kollegen auch in der Autorenliste des am zweithäufigsten zitierten Artikels, in dem es ebenfalls um das mikrobielle Metagenom im Menschendarm geht.

Dennoch haben wir ihn und seine Arbeitsgruppe nicht für die „Köpfe“-Liste berücksichtigt. Dazu fehlte uns innerhalb seiner bioinformatischen Arbeiten etwa zu Protein-Protein-Interaktionen, Metagenomik und Mikro­biologie einfach der rote Faden, der ein zentrales Interesse an der Gastroenterologie anzeigen würde. Stattdessen verweisen wir auf unsere Publikationsanalysen zur Mikrobiologie (LJ 9/2017: 32-5) und zur Proteinforschung (LJ 1-2/2019: 34-7) , in denen Bork zuletzt jeweils Positionen weit oben in den „Köpfe“-Listen belegt hatte.

Da diesen Monat auch die Leberforscher mit im Boot sind, stoßen wir auch auf viele Wissenschaftler, die sich für Hepatitis und Virostatika zur Behandlung von Leberinfektionen interessieren: Insgesamt zehn Forscher der Top 30-Liste weisen einen Schwerpunkt bei Leberviren auf. Blicken wir zurück auf unser letztes Virologen-Ranking vor zwei Jahren (LJ 5/2017: 38-41), dann tauchen sechs Autoren aus den damaligen Top 10 auch diesen Monat unter den Leberforschern auf: Stefan Zeuzem (2.), Thomas Berg (8.), Heiner Wedemeyer (12.), Peter Ferenci (15.), Christoph Sarrazin (29.) und Ralf Bartenschlager (30.). Konkret um Hepatitis C geht es auch in zwei der meistzitierten Artikel, nämlich denjenigen auf den Plätzen 8 und 9.

Und der Rest?

Im Großen und Ganzen spiegeln die meistzitierten Artikel auch die Forschungsfelder unserer meistzitierten Köpfe wider – auch wenn natürlich nicht jeder Autor, der aus dem Verbreitungsgebiet mitgeschrieben hat, ein Magen-Darm-Forscher oder Hepatologe ist. Etwas zu kurz beim Blick auf die Artikel kommen aber jene Darmerkrankungen, die nicht in die Zuständigkeit der Onkologen fallen: Morbus Crohn, Colitis ulcerosa oder Zöliakie zum Beispiel. Trotzdem widmet sich eine ganze Reihe unserer meistzitierten Köpfe diesen Erkrankungen, die wohl mit einem fehlgeleiteten Immunsystem im Zusammenhang stehen. Zum Beispiel die einzige Frau unseres Rankings, nämlich die Kinder- und Jugendärztin Sibylle Koletzko (24.) vom Uniklinikum der LMU München.

Bleibt noch der Blick auf die regionale Verteilung der Magen-Darm-Leberforschung im Laborjournal-Verbreitungsgebiet. Einen klaren Hot Spot konnten wir diesmal nicht ausmachen. Vorn liegt Kiel dank seiner Uniklinik, vier unserer „Köpfe“ haben dort ihr Türschild. Ab dann verteilt es sich recht homogen weiter auf unterschiedliche Städte im Verbreitungsgebiet – wobei Heidelberg, München und Wien durch jeweils drei Forscher am zweithäufigsten repräsentiert sind.


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Letzte Änderungen: 08.04.2019