Editorial

Affen, die Beatles und kurze Autorenlisten

Publikationsanalyse 2009-2018: Verhaltensforschung
von Mario Rembold, Laborjournal 1-2/2020


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Manchmal ist Verhaltensforschung ziemliche Fummelarbeit: Individuell markierte Ameisen. Foto: Stephen Pratt

(09.02.2020) Die Verhaltensforschung zeigt sich als bunte Mischung zoologischer Themen: Grashüpfer, Fledermäuse und Affen sind dabei – und es gibt Schnittmengen zur Ökologie, Physiologie und Psychologie. Die Zitierzahlen sind geringer, die Autorenlisten kürzer als anderswo.

Neben der äußeren Morphologie ist Verhalten wohl das Offensichtlichste, was man an einem Lebewesen erforschen kann. Daher streifen wir diesmal immer wieder die klassische Zoologie, die in dieser Rubrik sonst nur selten zur Geltung kommt.

Die Neurobiologie dagegen klammern wir aus, um deren Protagonisten und Publi­ka­tionen in einem eigenen Ranking separat zu würdigen. Die Verhaltensneurowissenschaftler in denselben Topf zu werfen, wäre sowieso nicht fair, da deren häufig klinisch ausgerichteten Publikationen viel höhere Zitierzahlen erreichen. Wer das Verhalten von Vögeln, Insekten oder Primaten untersucht, ginge dann nämlich komplett unter. Somit bleibt Verhaltensforschung vor einem psychiatrischen Hintergrund sowie alles rund um die Vorgänge im Gehirn in diesem Vergleich explizit außen vor.

Auf diese Weise begegnen uns in der aktuellen Publikationsanalyse nach längerer Zeit wieder Themen, die man bilderbuchmäßig einem Biologen zuordnen würde. Wir stoßen auf Grundlagenforscher, die wirklich etwas über Tiere herausfinden möchten und diese nicht bloß als Modellsysteme zum Erforschen menschlicher Krankheiten verwenden. Dadurch bekommen zum Beispiel auch jene Hormon- und Stoffwechselforscher eine zweite Chance, die unlängst im eigens dafür vorgesehenen Ranking von den massenhaft zitierten Diabetesexperten verdrängt worden waren (LJ 9/19: 34-7).

Hormone und Hunde

Die Nase vorn hat hier Rupert Palme – er belegt Rang 7 der meistzitierten Köpfe. Palme untersucht Stressreaktionen an diversen und teils auch wildlebenden Säugetieren wie Kaninchen, Rothörnchen oder Gämsen. Am Institut für Physiologie, Pathophysiologie und Biophysik der Veterinärmedizinischen Universität Wien ist er auf Labordiagnostik spezialisiert und bestimmt für seine Studien vor allem Glucocorticoide im Blut.

Ebenfalls an Hormonen rund um Stressregulation und Sexualverhalten forschen Erich Möstl (28.) vom selben Institut und Michael Heistermann (19.) vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen.

Kommen wir zur klassischen Verhaltensforschung, in der natürlich auch der „beste Freund des Menschen“ zeigen kann, was er in Sachen Lern- und Sozialverhalten drauf hat. Zum Verhalten von Hunden publiziert haben Ludwig Huber (22.) von der Veterinärmedizinischen Universität Wien sowie Friederike Range (21.) vom dortigen Konrad-Lorenz-Institut der Universität. Range beobachtet außerdem Wölfe, während Huber auch schon mit Schildkröten gearbeitet hat.

Auch Fledermäuse zeigen ein ausgeprägtes Sozialverhalten. Noch immer reichlich zitiert wird hierzu Elisabeth Kalko (5.), die 2011 im Alter von nur 49 Jahren verstarb und unter anderem zu den Lautäußerungen der Fledermäuse publiziert hatte.

Kalko forschte darüber hinaus zur Biodiversität, so wie auch viele andere der hier aufgelisteten Köpfe thematische Schnittmengen zur Ökologie zeigen. Weiterhin ist es nur ein kleiner Schritt von der Verhaltensforschung bis zur Populationsgenetik und Evolutionsbiologie. Das sehen wir etwa bei Holger Schielzeth, der die sexuelle Selektion und Mikroevolution modellhaft an Grashüpfern unter die Lupe nimmt. Schielzeth leitet die Arbeitsgruppe Populationsökologie an der Uni Jena und landet mit glatt 8.000 Zitierungen auf Platz 2 der meistzitierten Köpfe.

Insekten und Vögel

Auch ein Grenzgänger aus der Sinnesphysiologie ging uns ins Netz, womit wir zum dritten Platz und einem weiteren Namen aus Jena kommen: Bill Hansson vom Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie. Der Direktor der dortigen Abteilung Neuroethologie untersucht den Geruchssinn bei Insekten. Thematisch gibt es in seinen 167 Artikeln aus dem Analysezeitraum die Bandbreite von Neurobiologie, Biochemie bis hin zur Ökologie. Das Verhalten der Insekten als Reaktion auf volatile Moleküle in der Umgebung ist aber ein klarer Schwerpunkt in Hanssons Forschungsarbeit (siehe auch das Interview mit ihm unter https://laborjournal.de/editorials/1174.php).

Andere Sinnesphysiologen, die ausschließlich biochemisch oder zellbiologisch arbeiten, sind hier natürlich nicht berücksichtigt.

Wenig überraschend, dass auch staatenbildende Insekten beliebte Objekte der Verhaltensforscher sind. Unter die dreißig meistzitierten schafften es hier Jürgen Heinze (27.) von der Uni Regensburg und Robin Moritz (15.) von der Uni Halle-Wittenberg. Moritz arbeitet vor allem zur Evolution des Sozialverhaltens bei Honigbienen. Heinze geht Strategien zur Konfliktlösung in Insektenstaaten auf den Grund.

Drei unserer „Köpfe“ sind oder waren am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen tätig. Unter den Vogelforschern bringt Niels Dingemanse die meisten Zitierungen mit und landet auf Platz 9. Inzwischen arbeitet er an der Ludwig-Maximilians-Universität München und hat auch zu Fischen und Insekten veröffentlicht. Auf Platz 10 folgt Bart Kempenaers, der sich für Partnerwahl und Brutfürsorge insbesondere bei Singvögeln interessiert.

Doch nicht nur in Seewiesen sitzen Vogelforscher: Christian Voigt (12.), Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin oder Roger Mundry (13.), Max-Planck-Institut für Anthropologie in Leipzig, haben ebenfalls schon Arbeiten zum Verhalten von Vögeln mitverfasst.

Erwähnt sei an dieser Stelle noch ein kurioses Fundstück aus dem Jahre 2012: Ein Artikel über Tierstimmen in den Songs der Beatles vom Ornithologen Henrik Brumm aus Seewiesen (J. Pop. Music Stud. 24(1): 25-38). Zwar tauchen weder dieses Paper noch sein rund 950-mal zitierter Autor in unseren Tabellen auf, doch zeigt dieses Beispiel die Bandbreite möglicher Themen aus der Verhaltensbiologie.

Rund ein Drittel der meistzitierten Autoren dieses Monats hat direkt oder indirekt mit der Forschung an Primaten zu tun. Vier der „Köpfe“ arbeiten am Primatenzentrum Göttingen, fünf sind oder waren am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig tätig. Zwar sammeln insbesondere die Göttinger auch durch andere Modelltiere Zitierungen – zum Beispiel publiziert Julia Fischer (16.) zur Kommunikation der Mäuse über Ultraschalllaute –, dennoch geht es auch hier immer wieder um Sozialverhalten und Kognition unter einem Blickwinkel, der auf den Menschen übertragbar oder mit ihm vergleichbar ist.

Wie viel Instinkt steckt im Menschen, wie viel Kultur im Affen? Was noch zu Darwins Zeiten die Eitelkeit der „Krone der Schöpfung“ gekränkt hätte, ist heute ganz selbstverständlich Gegenstand biologischer Forschung. Und gerade unsere evolutionäre Nachbarschaft scheint uns Zweibeiner dabei zu faszinieren.

Vielleicht landet deswegen Michael Tomasello aus Leipzig mit 8.875 Zitierungen auf dem ersten Platz. Sein Name steht in der Autorenliste von Studien zum Lernen, Sozialverhalten und Sprachverständnis – und zwar sowohl bei Schimpansen als auch bei Kleinkindern.

Überhaupt geht eine Reihe von Publikationen unter Beteiligung der Leipziger der Frage nach, ab welchem Alter der junge Homo sapiens welche kognitiven Fähigkeiten entwickelt oder soziale Kompetenzen wie altruistisches Verhalten zeigt. Hier stoßen wir in den Zuständigkeitsbereich der Psychologen vor, denen wir mit einer biologisch ausgerichteten Publikationsanalyse eigentlich nicht ins Gehege kommen wollen. In den Listen der meistzitierten Artikel und Reviews haben wir psychologische Paper daher komplett ausgeklammert.

Modern mit Modellierungen

In der Verhaltensforschung am häufigsten zitiert wurden Arbeiten zum Testen von Hypothesen und zur statistischen Modellierung in der Verhaltensbiologie. Holger Schielzeth und Niels Dingemanse sicherten sich über ihre Mitwirkung an diesen Publikationen einen Großteil ihrer Zitierzahlen. Dass diese methodischen Veröffentlichungen auf solch eine Resonanz stoßen, zeigt, dass Verhaltensforschung mehr ist, als bloß mit dem Fernglas am See zu sitzen und Vögel anzuschauen.

Noch etwas fällt auf: Keiner der zehn meistzitierten Artikel hat mehr als fünf Autoren. Selbst Arbeiten mit nur ein oder zwei Verfassern sind in der Verhaltensbiologie keine Seltenheit. Vermutlich bestimmen die einzelnen Forschergruppen ihre Projekte sehr viel eigenständiger, als es bei klinischen Studien oder Genomprojekten üblich ist oder überhaupt machbar wäre.

Als regionale Hotspots sind bereits Leipzig und Göttingen genannt. Je fünfmal tauchen beide Städtenamen auf und repräsentieren gemeinsam eigentlich einen einzigen thematischen Fokus: Die Forschung rund um das Verhalten von Primaten. Ebenso findet Wien fünfmal Erwähnung als Adresse vielzitierter Köpfe – was zeigt, dass auch die Österreicher in der Verhaltensforschung ein Wörtchen mitzureden haben. Die Schweiz ist mit Zürich und Bern immerhin zweimal vertreten.

Fünf der dreißig meistzitierten Verhaltensforscher sind weiblich. Auch wenn wir in einigen anderen Disziplinen schon deutlich weniger Frauen in der „Köpfe“-Liste hatten: Ein Frauenanteil von 17 Prozent ist nicht wirklich ein Indikator für Chancengleichheit. Aber das ist kein spezielles Problem der Verhaltensbiologen-Community, sondern betrifft wohl den gesamten naturwissenschaftlichen Forschungsbetrieb.


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Letzte Änderungen: 09.02.2020