Ach ja, Malaria...

Publikationsanalyse 2009-2018: Parasitologie
von Mario Rembold, Laborjournal 6/2020


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Plasmodium-vivax-Versammlungen in Erythrozyten. Foto: iStock / Dr. Microbe

Editorial

(08.06.2020) Unser Ranking zur Parasitenforschung rückt eine hierzulande kaum beachtete Infektionskrankheit ins Licht: Malaria. Basel ist der Hotspot der Parasitologie im deutschsprachigen Raum.

Wer sich hierzulande vor Infektionen fürchtet, denkt in erster Linie an Viren und Bakterien. Klar, momentan sind wir alle Coronavirus-Experten – ansonsten plagen uns vor allem Influenza und andere Erkältungen. Gegen die meisten gefährlichen Infektionen stehen uns wirkungsvolle Impfstoffe oder Antibiotika zur Verfügung. Somit sind in Europa Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen viel bedeutsamere Ursachen für ein vorzeitiges Ableben. Und Parasiten spielen so gut wie keine Rolle.

Rund vierzig Prozent der Weltbevölkerung aber leben in Malariagebieten. Malaria – was für uns allenfalls ein lästiges Mitbringsel aus dem Urlaub ist, gehört andernorts zum Alltag. Verantwortlich sind einzellige Parasiten der Gattung Plasmodium, die im Laufe ihrer Lebenszyklen zwischen Speicheldrüsen der Stechmücken und Säugerblut hin- und herwechseln. Fünf Arten sind bislang als Auslöser von Malaria-Erkrankungen beim Menschen bekannt, am gefährlichsten ist Plasmodium falciparum, der Erreger der Malaria tropica.

Editorial
Blinder Fleck

Das Robert-Koch-Institut (RKI) schätzt die Zahl der jährlichen Malaria-Neuerkrankungen auf 200 Millionen. Obwohl es für den Touristen aus der westlichen Welt wirksame Therapien gibt, versterben in den betroffenen Gebieten noch immer um die 600.000 Menschen pro Jahr an Malaria – meist Kinder jünger als fünf Jahre, deren Immunsystem zuvor noch keine Bekanntschaft mit dem Erreger machen konnte.

Weltweit zählt Malaria zu den häufigsten Todesursachen bei Kindern. Trotzdem scheint die Erkrankung hierzulande auch unter Forschern ein vergleichsweise blinder Fleck zu sein: Die drei meistzitierten Artikel zur Herz-Kreislauf-Forschung kamen in einem Analysezeitraum von zehn Jahren zuletzt alle auf über 3.000 Zitierungen. Auch von den Krebsforschern erreichte die meistzitierte Originalpublikation in unserem Ranking aus 2017 mehr als 3.500 Zitierungen – und da hatten wir nur einen Fünfjahreszeitraum analysiert!

Wer Parasiten erforscht, muss ein bisschen bescheidener sein, wenn es um die Zahlen auf dem Zitationskonto geht. Das in dieser Hinsicht ergiebigste Betätigungsfeld ist dann letztlich aber doch Malaria. Sieben der zehn meistzitierten Artikel im aktuellen Ranking drehen sich um diese Tropenkrankheit, darunter die ersten Vier der Liste. Tabellenplatz 1 reißt dennoch nicht einmal die Tausendermarke, führt uns aber vor Augen: Nicht nur bei bakteriellen Erregern machen sich Resistenzen breit. Auch Medikamente gegen Malaria verlieren immer wieder ihre Wirkung.

Die Autoren der Arbeit haben mehr als 1.200 Patienten in Asien und Afrika behandelt – und verfolgt, wie lange Plasmodium falciparum eine Kombinationstherapie mit Artemisinin im Blut überlebt. Zum einen fanden sie bei der Analyse der Blutproben diesbezüglich regionale Unterschiede. Eine lange Halbwertzeit der Erreger von über fünf Stunden und damit eine höhere Resistenz gegen die Medikation waren zudem mit einer bestimmten Mutation assoziiert. Einer der Koautoren dieser Studie belegt Platz 10 unserer „Köpfe“-Liste: Steffen Borrmann vom Institut für Tropenmedizin, Reisemedizin und Humanparasitologie der Uniklinik Tübingen. Wirkstoffstudien zu Malaria sind Mittelpunkt seiner Arbeit. Auch präklinisch forscht sein Team mit Hilfe von Zell- und Tiermodellen.

Tübingen hinter Basel

Beim Kampf gegen Malaria kooperiert die Universität Tübingen unter anderem mit Instituten in Gabun und Benin. Am CERMEL, dem Centre de Recherches Médicales de Lambaréné in Gabun, arbeiten Selidji Agnandji (17.), Ayola Adegnika (20.) und Bertrand Lell (8.), wobei letzterer seit 2019 allerdings nicht mehr für die Uni Tübingen, sondern im Auftrag der Uniklinik Wien dort vor Ort ist. Saadou Issifou (18.) schließlich sucht nach Impfstoffen gegen Malaria und ist bei der Fondation pour la Recherche Scientifique (FORS) in Cotonou, Benin, im Einsatz.

Damit ist Tübingen nicht nur ein Hotspot der Malariaforschung, sondern zugleich auch diejenige deutsche Stadt, die mit sieben Erwähnungen am häufigsten als Adresse hochzitierter Parasitologen auftaucht. Peter Kremsner führt die Riege aus Tübingen an und ist mit seinem vierten Platz auch der nach Zitierzahlen erfolgreichste Parasitenforscher auf deutschem Boden. (Zum Thema „Malaria-Impfung“ gibt es ein Interview mit Kremsner in LJ 6/2017: 18 ff.).

Ganz vorn im Ranking liegt aber Basel, denn ganze vierzehn unserer „Köpfe“ haben ihr Türschild am Swiss Tropical and Public Health Institute, kurz: Swiss TPH. Auch das Siegertreppchen gehört allein Forschern vom Swiss TPH. Platz 1 nimmt demnach Marcel Tanner ein, der mit über 15.000 Zitierungen auf die mit Abstand eindrucksvollste Anzahl an Erwähnungen kommt. Alle „Köpfe“ hinter ihm bleiben unterhalb der 10.000, und die Plätze 10 bis 30 landen in der Größenordnung von 2.000 bis 3.000 Zitierungen innerhalb von zehn Jahren.

Tanner war bis 2015 Direktor des Swiss TPH und steht als Epidemiologe auch auf vielzitierten Arbeiten, die nicht speziell der Parasitenforschung zuzuordnen sind. Allein 3.590 Zitierungen kommen durch die Koautorenschaft für einen Artikel zusammen, an dem mehr als 700 Verfasser mitgewirkt haben: Eine Auswertung von Daten der Global Burden of Disease-Studie im Hinblick auf weltweite Sterblichkeit und Todesursachen (The Lancet 385: 117-71). In die Listen der meistzitierten Paper haben wir solche Publikationen nicht aufgenommen, doch sie schlagen sich natürlich in den Zitierzahlen der Parasitologen nieder, die als Autoren beteiligt sind.

Natürlich haben wir uns bemüht, nur die „Köpfe“ herauszufischen, die speziell Parasiten erforschen. Außen vor bleiben demnach Mikrobiologen und Virologen, die ja in eigenen Rankings berücksichtigt sind. Jedoch verwischt insbesondere am Swiss TPH die Grenze zu den Epidemiologen. So forschen dort auch Wirtschaftswissenschaftler, oder aber Epidemiologen, die beispielsweise der Verbreitung von Asthmaerkrankungen auf der Spur sind und sich somit zwar mit Gesundheitsthemen, nicht aber mit parasitischen Organismen befassen.

Andererseits überschneiden sich gerade bei Malaria Epidemiologie und Parasitologie. Das betrifft schon die Frage nach der regionalen Ausbreitung von Resistenzen – und wo man folglich welche Therapiekonzepte bevorzugen sollte. Im Zweifelsfall haben wir uns die Kategorien in der Datenbank Web of Science sowie die Institutswebseiten näher angeschaut, um zu entscheiden, welche der „Grenzgänger“ wir noch als Parasitologen zählen.

Auch Würmer dabei...

Auch Wurmerkrankungen gehören zu den Forschungsthemen am Swiss TPH, so etwa bei Tanners Nachfolger Jürg Utzinger, der Platz 2 belegt. Utzinger hat im Analysezeitraum zum Beispiel zu Bilharziose publiziert: Larven tropischer Pärchenegel schwimmen im Wasser und können sich durch die menschliche Haut bohren, um letztlich in innere Organe zu gelangen.

Übrigens gibt es auch hierzulande Saugwürmer, deren Larven frei im Wasser schwimmen und Menschen befallen können. Sie sterben aber in der Haut ab und lösen lediglich einen harmlosen, wenn auch hartnäckigen und lästigen Juckreiz mit Quaddeln aus – bekannt als „Badedermatitis“.

Wer mehr erfahren will über die Forschung an tropischen Wurmerkrankungen, dem seien die Interviews mit Jennifer Keiser (6.), ebenfalls am Swiss TPH, und mit Achim Hörauf (12.) aus Bonn ans Herz gelegt (laborjournal.de/editorials/1380.php und laborjournal.de/editorials/987.php).

Zwei Tierärzte und ein Ökologe

Doch auch in den heimischen Wäldern lauert mit dem Fuchsbandwurm ein Parasit, der uns Zweibeinern gefährlich werden kann. Zwar sind Infektionen beim Menschen selten; dann aber kann der Schmarotzer seinen Lebenszyklus in inneren Organen wie der Leber fortsetzen und gefährliche Zysten bilden. An solchen Würmern der Gattung Echinococcus und allgemein Wurmerkrankungen von Haustieren forscht Peter Deplazes (9.) am Institut für Parasitologie der Uni Zürich. Deplazes schlägt damit eine Brücke zur Tiermedizin, die ebenfalls ein Betätigungsfeld für Parasitenforscher bietet. Mit Paul Togerson (16.) haben wir in Zürich einen weiteren Wissenschaftler ausfindig gemacht, der Tierparasiten auf der Spur ist und sich auch für Zoonosen interessiert – also jene Infektionen, die vom Tier auf den Menschen überspringen können.

Der dritte Kopf aus Zürich fällt ewas aus dem Rahmen: Paul Schmid-Hempel (15.) geht am Institut für Integrative Biologie der ETH eher ökologischen Fragen nach. Dabei stehen aber Wirt-Parasit-Beziehungen – insbesondere bei Insekten – im Mittelpunkt, sodass wir ihn hier als Parasitologen berücksichtigen.

Zürich kommt damit dreimal in unserem Ranking vor, und zusammen mit Basel arbeiten dann insgesamt 17 Forscher in der Schweiz. Die Eidgenossen dominieren folglich dieses Ranking als Hotspot der Parasitenforschung.

Immerhin ist auch Österreich zweimal repräsentiert: Erwähnt haben wir schon Bertrand Lell. Der andere Österreicher heißt Michael Hess (26.) und forscht an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Jedoch ist Hess in der Grauzone zur Mikrobiologie und Virologie einzuordnen, da er auch reichlich zu Hepatitis und bakteriellen Infektionen publiziert hat.

Wie bei vielen anderen Disziplinen kommen auch in der Parasitenforschung die höheren Zitierzahlen dort zustande, wo eine klinische Relevanz erkennbar ist. Die Erforschung der teils extrem komplexen Lebenszyklen und Wirtswechsel von Parasiten geht daneben leider ein wenig unter. Dafür aber erinnert uns die Parasitologie durch die Malariaforschung an eine global bedeutsame Infektionskrankheit, die hier in Mitteleuropa fast vergessen ist.


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Letzte Änderungen: 08.06.2020