Editorial

Alle gegen Prostatakrebs

Publikationsanalyse 2010-2019: Urologische Forschung
von Mario Rembold, Laborjournal 1-2/2021


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Illustr.: AdobeStock / freshidea

(08.02.2021) Prostatakrebs dominiert die urologische Forschung. Neben Urologen publizieren hierzu auch Pathologen und Nuklearmediziner. München und Hamburg dominieren die Liste.

Die Urologie ist klar umrissen: In die Zuständigkeit fallen Blase samt der Harnwege und die männlichen Geschlechtsorgane. Auch wenn es Überlappungen zur Nephrologie gibt, haben wir die Nierenforscher und deren Veröffentlichungen hier nicht berücksichtigt, da sie in einem eigenen Publikationsvergleich besprochen wurden. Die einschlägige Kategorie „Urology & Nephrology“ im Web of Science liefert uns zwar Treffer aus beiden Lagern, doch anhand der Stichworte ist in den meisten Fällen ersichtlich, wer zu den urologisch forschenden Köpfen zählt. Ein weiterer Anhaltspunkt: Wer an einer Einrichtung tätig ist, die die Bezeichnung „Urologie“, „urologisch“ oder „Prostata“ in irgendeiner Form im Namen trägt, entpuppt sich in der Regel auch als urologisch ausgerichteter Forscher.

Zwanzig unserer dreißig meistzitierten Köpfe arbeiten an ebensolchen Instituten. Fast alle von ihnen sind an einem Klinikum auch ärztlich tätig. Und jeder hat an onkologischen Artikeln mitgewirkt. Ganz oben auf der Liste steht bei den Urologen der Prostatakrebs – beim Mann der mit jährlich rund 60.000 Neuerkrankungen am häufigsten diagnostizierte Krebs. Auch der meistzitierte Artikel aus dem Analysezeitraum schaut auf Prostatakarzinome: Eine klinische Studie mit Probanden, die nach einer Chemotherapie den Androgenrezeptor-Inhibitor Enzalutamid bekamen. Im Rahmen einer Prostatakarzinom-Therapie ist es nämlich häufig sinnvoll, das Hormon Testosteron pharmakologisch herunterzuregulieren; denn Testosteron gilt als typisches Wachstumssignal, auf das Tumorzellen aus der Prostata reagieren. Allerdings gibt es auch Prostatakarzinome, die gegen solch eine „pharmakologische Kastration“ resistent sind.

Wegen Erfolgs gestoppt

Patienten mit genau solchen resistenten Karzinomen haben die Autoren in ihre doppelt verblindete Studie eingeschlossen: 800 Probanden erhielten Enzalutamid, 399 ein Placebo. Die Studie wurde nach einer Zwischenanalyse vorzeitig gestoppt – weil, so berichten es die Verfasser, schon zu diesem Zeitpunkt ein klarer therapeutischer Vorteil der Enzalutamid-Gruppe ersichtlich war. In solchen Fällen wäre es ethisch nicht vertretbar, der Placebogruppe die wirksame Therapie weiter vorzuenthalten.

Mehr als 2.500-mal haben Forscher diesen Artikel bis zum Stichtag zitiert. Aus Deutschland mitgeschrieben hat Kurt Miller von der Klinik für Urologie der Berliner Charité. Sein Name steht zudem in der Autorenliste des am fünfthäufigsten erwähnten Artikels, erschienen 2014: Hier gaben die Forscher Enzalutamid bereits vor der Chemotherapie, und auch in diesem Fall wurde die Untersuchung vorzeitig gestoppt, weil die Kontrollgruppe deutlich vom Wirkstoff profitierte. Mit allen seinen 178 Artikeln innerhalb des Bewertungszeitraums kommt Miller auf deutlich über 10.000 Zitierungen und sichert sich damit Platz 6 der meistzitierten Köpfe.

Die molekularen Signalwege beim Prostatakrebs spielen also für die Therapie inzwischen eine entscheidende Rolle. Wie bei anderen bösartigen Tumorerkrankungen will man auch hier den rabiaten Holzhammer einer Chemotherapie gegen „Alles, was sich teilt“ möglichst sparsam einsetzen und findet stattdessen immer zielgenauere Methoden und Angriffspunkte. So überrascht es nicht, dass auch der Artikel zur molekularen Taxonomie primärer Prostatakarzinome auf großes Interesse stößt und mit rund 1.200 Zitierungen Platz 6 der Tabelle belegt. Denn der Blick auf DNA-Abschnitte oder epigenetische Modifikationen, die in Krebszellen verändert sind, liefert regelmäßig neue potenzielle Zielmoleküle für die Therapie.

Unter den Autoren des Papers finden wir wiederum mehrere Namen der Köpfe-Liste. Darunter die „Top-Ten“-Vertreter Markus Graefen (4.) und Guido Sauter (5.) vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) – sowie Thorsten Schlomm (10.), der dort ebenfalls tätig war, inzwischen aber in die Bundeshauptstadt umgezogen ist und an der Charité forscht.

Pathologen und Bildgeber

Wer das Arztprofil von Guido Sauter auf der Uni-Webseite aufruft, dürfte sich vielleicht wundern: Sauter ist nominell Pathologe und sollte daher womöglich nicht mit den Urologen zusammengeworfen werden. Tatsächlich haben wir die Pathologen grundsätzlich auch außen vor gelassen. Deren Aufgabe ist die Befundung von Biopsien, und natürlich brauchen auch urologische Forscher die Expertise der Pathologen. Umgekehrt aber haben die meisten Pathologen nicht nur Prostataproben auf dem Tisch liegen, sondern Gewebe aller möglichen Organe.

Sauter allerdings ist mit solch einer Regelmäßigkeit an speziell urologischen Fragestellungen beteiligt, dass wir genauer hinsehen sollten: 175 seiner 299 Artikel tragen urologisch relevante Stichworte. Man darf also annehmen, dass gerade für diffizilere Fragestellungen zu Prostata-Tumoren Sauters Name im Adressbuch vieler Urologen dick angestrichen ist.

Nach diesen Kriterien haben wir vier weitere Pathologen in die Tabelle der meistzitierten Köpfe aufgenommen. Der meistzitierte unter ihnen ist Arndt Hartmann vom Uniklinikum Erlangen; er belegt den zweiten Platz der Köpfe-Liste. Im Gegensatz zu den anderen Pathologen dieses Rankings ist Hartmanns Tätigkeit wohl weniger speziell auf urologische Fragen ausgerichtet, denn entsprechende Stichworte machen nur ein Drittel seiner Artikel aus. In absoluten Zahlen sind das aber 170 Arbeiten, von denen 51 sogar speziell in urologischen Fachzeitschriften publiziert sind.

Analog zu den Pathologen finden wir über einschlägige Stichwörter eine Reihe von Forschern an radiologischen und nuklearmedizinischen Instituten. Denn auch die Bildgebung ist ein wichtiges Werkzeug der Krebsdiagnostik, ebenso wie die Behandlung mit ionisierender Strahlung zu therapeutischen Zwecken. Auch hier interessieren uns natürlich nur diejenigen, die maßgeblich zur Urologie veröffentlichen.

Dabei stoßen wir auf den Chemiker Klaus Kopka (24.), Direktor des Instituts für Radiopharmazeutische Krebsforschung am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf. Sein Spezialgebiet sind Radionuklid-Therapien und die PET-Bildgebung. Mit der PET, der Positronen-Emissions-Tomographie, lassen sich Strukturen darstellen, die zuvor mit einem radioaktiven Isotop markiert wurden. Dabei kann man auch markierte Liganden einsetzen, die dann an spezifische molekulare Ziele binden – zum Beispiel an das Prostataspezifische Membranantigen (PSMA). Dessen Verteilung im Körper lässt sich auf diese Weise sichtbar machen.

Insgesamt fünfmal schaffen es urologisch forschende Bildgebungsexperten in die Top-30. Hans-Jürgen Wester auf Platz 9 ist unter ihnen derjenige mit den meisten Zitierungen – er forscht in Garching am Institut für Pharmazeutische Radiochemie der TU München.

Thematisch homogen

Alle zehn meistzitierten Artikel drehen sich um urologische Krebserkrankungen, acht davon speziell um die Prostata. Andere Themen wie sexuelle Dysfunktion beim Mann oder auch die molekularbiologische Entschlüsselung von Signalwegen tauchen zwar gelegentlich in den Publikationslisten unserer Köpfe auf, bringen aber weit weniger Zitierungen und spielen für die Platzierungen hier nur eine untergeordnete Rolle.

Wie bei anderen klinisch dominierten Disziplinen auch kann man über Beteiligung an Leitlinien viele Zitierungen erreichen. Guidelines haben wir hier aber unter den Reviews gelistet, auch wenn sie im Web of Science häufig den „Articles“ zugeordnet sind.

Auch der am häufigsten zitierte urologische Forscher hat an mehreren solchen Guidelines mitgewirkt: Shahrokh Shariat aus ­Wien, der als Urologe niedergelassen ist, aber auch mit der Medizinischen Universität Wien kooperiert. Mehr als 20.000 Zitierungen hat er eingeheimst. Allerdings war er in den zehn Jahren des Bewertungszeitraums auch an 662 Artikeln beteiligt. Er ist einer von nur zwei Österreichern der Liste. Die Schweiz taucht übrigens gar nicht auf.

Während in anderen Publikationsanalysen schon mal ein einzelnes Paper hervorsticht, das im Falle einer Koautorenschaft den Eintritt in die Top-30 garantiert, ist das bei der Urologie im aktuellen Analysezeitraum nicht der Fall. Es gibt nicht den einen Artikel mit 7.000 Zitierungen, und auch die Themen sind zwischen den einzelnen Forschern der Liste recht homogen.

Natürlich wird man auch diesmal teils Äpfel mit Birnen vergleichen, doch die Vergleichbarkeit einzelner Autoren scheint uns diesmal weit weniger problematisch als in anderen Disziplinen. Wohlgemerkt spiegelt sich in den Zitierzahlen aber in erster Linie die Popularität bestimmter Forschungsthemen wider: Prostatakrebs ist eine häufige Erkrankung – und deshalb besteht ein großer Bedarf an klinischer Forschung. Das bedeutet nicht, dass der wenig zitierte Urologe, der mit Mausmodellen arbeitet und neue Mechanismen zur Krebsentstehung entdeckt, die weniger wertvolle Arbeit leisten würde.

Zum Schluss noch: Wo liegen die regionalen Hotspots der vielzitierten urologischen Forschung? Neun „Köpfe“ waren im Analysezeitraum in München tätig, acht Forscher in Hamburg. Drei der fünf Pathologen forschen in Hamburg, darunter auch Sarah Minner (23.). Sie und die Urologin Margitta Retz (22.) aus München sind die einzigen Frauen in der Liste. Nicht nur thematisch, sondern auch von der personellen Besetzung her ist die hochzitierte urologische Forschung wohl vor allem Männersache.


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Letzte Änderungen: 08.02.2021