Editorial

Schwerpunkt weiblich

Publikationsanalyse 2010-2019: Reproduktionsforschung
von Mario Rembold, Laborjournal 6/2021


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Foto: AdobeStock / frenta

(09.06.2021) Viele Zitierungen zur Reproduktionsbiologie sammeln insbesondere Forscher an Instituten zur Tierzucht. Oozyte, Zygote und der weibliche Uterus sind dabei von größerem Interesse als männliche Gameten.

Mit jeder Kopie wird ein Dokument etwas schlechter; und jedes Werkzeug nutzt sich mit der Zeit ab. Auch unsere Körperzellen können sich nicht unendlich oft replizieren; Gelenke verschleißen und Organe arbeiten unzuverlässiger. Wir altern. Nur Zellen der Keimbahn scheinen vom gnadenlosen Lauf der Zeit verschont. Von Generation zu Generation schlagen sie dem Tod des Vielzellers ein Schnippchen. Machen wir uns ruhig einmal bewusst, dass jeder von uns zwei Keimbahnen entstammt, die bereits in der jüngeren Vergangenheit der Menschheitsgeschichte zu einer Linie zusammenlaufen, die seit mehr als 500 Millionen Jahren existiert!

Eigentlich ist damit schon die Zuständigkeit der Reproduktionsforscher erklärt. Zugleich ahnen wir aber, welche anderen Disziplinen das Feld streift. Denn dass alle somatischen Körperzellen altern, stimmt im Bilderbuchbeispiel. Doch ein bösartiger Tumor ignoriert dieses Alterungsprogramm. Doch halt: Ist Altern etwa nicht einfach ein Verschleiß, sondern ein genetisch determiniertes Schicksal? Onkologie und Alternsforschung interessieren sich dafür – und widmen sich dabei natürlich etlichen embryonalen Signalwegen. Dennoch sind sie natürlich nicht Thema dieses Rankings. Und klar, Prozesse rund um die Embryonalentwicklung spielen auch in die Reproduktionsforschung hinein – doch hierfür bekommt die Entwicklungsbiologie ihr eigenes Ranking, sodass Projekte zu Zebrafisch und Krallenfrosch für die aktuelle Publikationsanalyse keine Rolle spielen. Zumal wir im Folgenden sowieso sehen werden, dass die vielzitierte Reproduktionsforschung am Menschen und an Nutzsäugetieren stattfindet.

Spermien und Sinneszellen

Wie immer lassen sich die Grenzen dennoch nicht messerscharf ziehen, was wir kurz an zwei Beispielen der „Köpfe“-Liste belegen wollen: Martin Knöfler (20.) von der Medizinischen Universität Wien widmet sich unter anderem dem Wnt-Signalweg. Doch ist das nicht ein klassisches Gebiet der Entwicklungsbiologen und -genetiker? Wer eher mit Drosophila vertraut ist, kennt das Gen beispielsweise unter dem Namen „Wingless“. Doch Knöfler interessiert sich eben in erster Linie für die Vorläuferzellen der Plazenta und deren Differenzierung – wie auch für Prozesse rund um den Trophoblasten. Während Entwicklungsbiologen den Embryo anschauen, geht es den Reproduktionsforschern eher darum, in welcher Umgebung der Embryo heranwächst – bei höheren Säugetieren also auch um die Einnistung in den Uterus sowie die Funktion aller weiteren extra-embryonalen Strukturen.

Das zweite Beispiel ist nun tatsächlich ein Exot unter den Reproduktionsforschern: U. Benjamin Kaupp (27.) vom Forschungszentrum caesar der Uni Bonn. Ein Blick auf seine Artikel offenbart vor allem das Thema Signalverarbeitung. Und während alle anderen meistzitierten „Köpfe“ mindestens eine Handvoll Veröffentlichungen in Fachblättern der Kategorie „Reproduktionsbiologie“ platzierten, gibt es unter Kaupps 34 Papern nur eine einzige solche Arbeit. Ansonsten geht seine Arbeitsgruppe etwa auch den Sinneszellen der Netzhaut oder dem Riechen auf den Grund – bis hin zur Ebene der Ionenkanäle und molekularen Signale. Allerdings ist das Spermium einer Sinneszelle durchaus ähnlich. Und genau hierzu gibt es von den Bonnern eben eine Reihe von Publikationen. Wie nämlich navigiert das Spermium zum Ziel? Wie reagiert es auf äußere chemische Signale und passt daraufhin seine Bewegungen an?

Im Analysezeitraum befassen sich 25 der 34 Artikel von Kaupp et al. mit Spermien und den Prozessen der chemischen Signalgebung von außen bis hin zur Steuerung des Flagellums. Kaupp dürfte zudem der einzige der aktuellen Top-30-„Köpfe“-Liste sein, der regelmäßig mit Seeigel-Gameten arbeitet. Entsprechend finden wir auf Platz 6 der meistzitierten Artikel ein Paper der Kaupp-Gruppe zum Calcium-Einstrom in Spermien. Während viele andere vielzitierte „Köpfe“ nah an der Klinik oder aber zur Optimierung der Tierzucht arbeiten, ist Kaupp folglich vielmehr als Grundlagenforscher an den Spermien interessiert. Vorrangig mit Spermien sowie der Fruchtbarkeit des Mannes beschäftigen sich überdies nur sechs weitere „Köpfe“ aus unserer Top-30-Liste – am häufigsten von diesen zitiert ist Sabine Kliesch (9.) von der Uniklinik Münster.

Gebärmutter und Endometriose

Auch geht es zwar im meistzitierten Artikel des Analysezeitraums 2010 bis 2019 um die männliche Fruchtbarkeit, fast alle anderen Beiträge widmen sich dagegen jedoch Oozyte, Zygote, Gebärmutter oder weiblichen Hormonen – auch wenn das nicht jeder Titel gleich signalisiert. So etwa der Artikel auf Platz 8 zu assistierten Reproduktionstechniken: Hier ist natürlich die In-vitro-Fertilisation der erste Schritt, doch geht es in der Folge um den erfolgreichen Transfer der Embryonen und den Verlauf der Schwangerschaft.

Rund um das Stichwort „Schwangerschaft“ mussten wir dann Reproduktionsforschung und Gynäkologie voneinander abgrenzen. Hier sind wir pragmatisch vorgegangen und haben auf die Fachzeitschriften geschaut. So tauchen Publikationen von Autoren, die über Endometriose schreiben, häufig in Journalen zur Reproduktionsbiologie auf. Die Bildung des Endometriums, also der Gebärmutterschleimhaut, ist essenziell für eine erfolgreiche Einnistung des frühen Embryos. Bei der Endometriose bildet sich dieses Gewebe jedoch auch außerhalb der Gebärmutter, führt häufig zu Beschwerden und kann auch die Fruchtbarkeit herabsetzen.

Acht der meistzitierten „Köpfe“ arbeiten explizit an Instituten zur Frauenheilkunde, der meistzitierte unter ihnen ist Ludwig Kiesel (7.) vom Uniklinikum Münster. Wie viele andere humanmedizinisch ausgerichtete Reproduktionsforscher publiziert auch er viel zur Endometriose. Fast 900 seiner Zitierungen verdankt er einem Leitlinien-Beitrag zu Umgang und Behandlung der Erkrankung. Das Paper ist im Web of Science als „Article“ gelistet und fließt damit in Kiesels Zitations-Statistik ein. Allerdings haben wir diese Arbeit in der Tabelle der „Reviews“ aufgeführt.

Ärzte an Geburtskliniken forschen nicht selten auch zur Präeklampsie oder Schwangerschaftsvergiftung. Zu ihnen zählt Ana Zenclussen (23.), die im Analysezeitraum an der Uniklinik Leipzig tätig war. Zenclussen ist unter den „Köpfen“ gelistet, weil sie 18 ihrer 61 Artikel in Zeitschriften zur Reproduktionsmedizin beziehungsweise -biologie platzierte. Dabei interessierte sie insbesondere die Rolle des Immunsystems während der Schwangerschaft. Andere Forscher, die vorzugsweise zur Präeklampsie publizieren, tauchen dagegen selten oder gar nicht in reproduktionsbiologischen Journalen auf. Wir haben daher deren Veröffentlichungen zum Thema nicht berücksichtigt, da sie ihre Resultate offenbar in anderen Fach-Communities diskutieren wollen. Auch Onkologen und Publikationen mit Fokus auf gynäkologisch relevante Krebserkrankungen bleiben außen vor – andernfalls wäre die Überlappung mit den Krebsforschern einfach zu groß gewesen.

Knockout für Nutztiere ...

Bleibt noch die Tierforschung zur Reproduktionsbiologie. Dabei kann es um Grundlagen gehen wie etwa das Etablieren von Knockout-Schweinen im Labor von Heiner Niemann (6.) an der Medizinischen Hochschule Hannover bis hin zum Optimieren der Tierzucht – beispielsweise im Hinblick auf die Milchproduktion. Zu diesem Thema hatten wir vor einiger Zeit Michael Hoelker interviewt (Link), der jetzt Platz 14 der „Köpfe“ belegt und im Versuchsgut Frankenforst der Uni Bonn an Rinderembryonen forscht.

Eigentlich bleiben Molekularbiologie und Genetik hier außen vor, so dass wir Epigenetik und Imprinting innerhalb der Keimbahn nicht berücksichtigt haben. Denn hier arbeiten Wissenschaftler an etablierten Mausmodellen und nutzen die Zucht als Methode für andere Fragestellungen. Doch bei den größeren Nutztieren, insbesondere Schweinen und Rindern, kommen diese Methoden eben doch mit einem Fokus auf Reproduktion und Züchtung zum Einsatz. So steht mit Eckhard Wolf dann auch ein Nutztier-Biotechnologe auf Platz 1 der meistzitierten Köpfe. Über 5.800 Zitierungen bringt das „Urgestein“ der Szene vom Genzentrum der Universität München in unserer Analyse auf die Waage. Wolf gehörte um die Jahrtausendwende zu jenen Pionieren, die via Kerntransfer die ersten Rinder geklont hatten.

Zusammen mit Wolf arbeiten insgesamt neun der ermittelten meistzitierten Reproduktionsforscher an veterinärmedizinischen Instituten oder Einrichtungen zur Nutztier-Zuchtforschung. Fünf von ihnen stehen in den Top-Ten.

... und das Klonen

Rund um die Molekularbiologie jenseits der etablierten Labortiere haben wir zudem noch zwei Arbeiten in die Liste der meistzitierten Artikel aufgenommen, die wir ebenfalls der Reproduktionsforschung zuordnen. Auf Platz 7 eine Publikation, an der der bereits erwähnte Holger Niemann mitwirkte und in der die Autoren den Einsatz von Zinkfinger-Nukleasen als gentechnisches Knockout-Werkzeug bei Schweinen beschreiben. Und auf Platz 2 ein Artikel zur epigenetischen Reprogrammierung der Säugerzygote: Hier untersuchte das Autorenteam den Schritt der Demethylierung vor Beginn der Embryonalentwicklung. Zu den Verfassern gehört übrigens ein weiterer Pionier aus der Säugerklonforschung, der den Einzug unter die 30 meistzitierten „Köpfe“ mit 1.368 Zitierungen indes nur knapp verpasst hat: Valeri Zakhartchenko von der Universität München.

Geographisch gesehen führen zwei Städte das Ranking an: Bonn, vor allem dank der dortigen Tierwissenschaftler, sowie Münster, das viele Beiträge zur Andrologie lieferte. Je fünfmal tauchen diese Städtenamen auf den Visitenkarten unserer „Köpfe“ auf. Graz ist dreimal dabei, aber dank Wien und Innsbruck kommt Österreich insgesamt ebenfalls auf fünf Reproduktionsforscher.

Unterm Strich scheint der Reproduktionsforschung momentan also vor allem am Herzen zu liegen, möglichst viel über den Anteil des weiblichen Säugerorganismus zu verstehen. Thematisch wäre der Mann demnach gerade eher eine Randerscheinung. Dafür aber tragen 26 der dreißig meistzitierten „Köpfe“ – und damit auch diesmal wieder die große Mehrheit – einen männlichen Vornamen.


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Letzte Änderungen: 09.06.2021