Editorial

Vaterfreuden

Was können Zitationsvergleiche ... nicht unbedingt?



Unbestritten, Stehreif war ein Meister seines Fachs. Kein Jahr, in dem sein Name nicht genannt wurde, wenn die Bekanntgabe der Nobelpreise bevorstand.

Dennoch hatte es bisher nicht gereicht, auch wenn seine Leistungen mit denen des ein oder anderen Nobelisten durchaus mithielten – wenn nicht sogar.... Schließlich konnte er mit seinen wichtigsten Resultaten ein völlig neues Feld eröffnen, und prägte damit das Verständnis gewisser Mechanismen in gleich mehreren Biodisziplinen entscheidend mit.

Das war jetzt über zwanzig Jahre her, und Stehreif hatte logischerweise seit dieser Zeit jede Menge exzellenter Nachwuchsforscher in sein Labor locken können. Die meisten hatten mittlerweile ebenfalls richtig Karriere gemacht. "Über vierzig meiner ehemaligen Studenten sind heute Professoren in aller Welt", verkündete Stehreif unlängst stolz auf einem Symposium.

Fast alle arbeiteten immer noch "am Thema". Kein Wunder, hatten Stehreifs Resultate doch einen derart großen Teig aufgehen lassen, sodass sich leicht einige Dutzend Forscher jeweils ihr Stückchen herausbrechen und weiter backen konnten.

Klar auch daher, dass alle guten Kontakt untereinander hatten. Und das nicht nur aus wissenschaftlichen Gründen. Denn eines musste man dem alten Stehreif lassen: Er hatte es meisterhaft verstanden, seine Leute immer wieder für "das große, gemeinsame Ganze" zu begeistern. Wodurch er sie letztlich zu einer eingeschworenen Gemeinschaft zusammenschweißte. Und sich selbst ganz nebenbei als geradezu liebenswürdige Vaterfigur installierte.

Wo auch immer die "Sprösslinge" ihre Labors aufgeschlagen hatten, die "Stehreif-Familie" war bis heute intakt. Und entsprechend gut funktionierte sie: Man traf sich jährlich zu einem Symposium genannten "Familientreffen", man kooperierte durchgehend miteinander, man publizierte viel zusammen – und man zitierte sich ausgiebig gegenseitig.

Letzteres geschah ohne schlechte Absicht, es lag einfach in der Natur der Sache. Natürlich kannte jeder die Arbeiten seiner "Verwandten" besser als die "außenstehender" Kollegen. Von letzteren gab es nämlich mittlerweile auch richtig viele, so sehr wuchs das Feld immer noch. Aber dennoch, im Zweifelsfalle landete eben die Arbeit des alten Kumpels Harry in der Referenzliste, statt die eines gewissen Herrn Yokotashi aus Kyoto. Auch wenn die japanische Arbeit aktueller war und die Sache besser auf den Punkt brachte.

Böse Zungen nennen so etwas "Zitierzirkel" – und dazu hatte sich das Stehreif-Netzwerk ja auch tatsächlich entwickelt. Wie gesagt, nicht durch kalte Berechnung, sondern einfach als Beiprodukt der "Familienstruktur".

Am meisten profitierte davon natürlich Stehreif selbst. Wenn er auf die alten Tage noch hin und wieder ein Paper produzierte, dann konnte er sicher sein: Die meisten seiner "Zöglinge" würden es irgendwie in den Referenzlisten ihrer nächsten Veröffentlichungen unterbringen. Ohne dass Stehreif selbst etwas dafür konnte.

Schließlich schuldet man dem "Vater" doch etwas.



Letzte Änderungen: 08.09.2004