Editorial

Großer Einfluss mit wenig Zitaten

Was können Zitationsvergleiche ... nicht unbedingt?



Professor Suck war Mikrobiologe und seine Leidenschaft waren Zucker. Zeit seines Forscherlebens war er immer wieder auf´s Neue fasziniert davon, mit welcher Flexibilität Bakterien Zucker als Nahrungsquelle nutzen. Und tatsächlich konnte er mit seinen Mitarbeitern so einiges beisteuern zum Verständnis, was Bakterien mit Zuckern alles anstellen.

Zitiert wurden seine Arbeiten indes eher so la la. Doch Suck war lange genug Forscher, dass er diese Dinge mit gesundem Selbstbewusstsein einschätzen konnte. Außerdem stand er mittlerweile im Spätherbst seiner Forscherkarriere – und musste keinem mehr etwas beweisen.

So dachte Suck jedenfalls. Bis eines Tages Post von der Univerwaltung kam, dass man nacheinander alle Fakultäten evaluieren wolle und dafür extra ein ständiges Büro mit vier "Evaluationsexperten" eingerichtet habe.

Kurze Zeit später saß also einer dieser jungen und dynamischen "Evaluationsexperten" bei Suck im Büro. "Lieber Herr Professor Suck", kam er gleich zur Sache, "ich habe mir mal in den gängigen Datenbanken angeschaut, wie oft ihre Arbeiten in den letzten fünf Jahren zitiert wurden. Um es gleich zu sagen: Es war unterdurchschnittlich, gemessen an der Zahl der Zitate, die eine mikrobiologische Arbeit im weltweiten Mittel auf sich zieht."

"Die Arbeit hätten Sie sich sparen können", entgegnete Suck amüsiert. "Das hätte ich Ihnen auch sagen können."

"Und wie erklären Sie das?", fragte der "Evaluator".

"Nun, Sie wissen vielleicht, dass die Zahl der Zitierungen kein direktes Maß für wissenschaftliche Originalität und Qualität ist, oder?", antwortete Suck. "Ich für meinen Teil werde einfach nur deswegen nicht so oft zitiert, da mittlerweile nur noch wenige Forscher auf meinem Gebiet arbeiten."

"Das heißt im Klartext, Ihre Arbeit hat kaum Impact, kaum Einfluss", erwiderte der junge Mann.

Jetzt wurde es Suck ob der flachen Floskeln doch etwas bunt. "Essen Sie Joghurt?", ging er jetzt plötzlich in die Offensive.

"Ja, warum?", kam die erstaunte Antwort.

"Wissen Sie, was da drin ist?"

"Na, vor allem Milch, oder?", war der Evaluator nun doch etwas verunsichert.

"Gut. Und wovon wird die Milch fest?", setzte Suck die "Prüfung" unbeirrt fort.

"Äääähhh,..."

"Ich sag´s Ihnen: Durch spezielle Polysaccharide, Zuckerketten also, die bakterielle Starterkulturen während des Fermentationsprozesses in der Milch bilden."

"Herr Suck, das ist doch..."

"...Nicht relevant? Einen Moment. 1989 beschrieb ich einen Streptococcus thermophilus-Stamm, der in der Lage ist, ganz bestimmte Zuckerketten zu knüpfen. In der akademischen Welt hat die Arbeit wenig Aufsehen erregt, und zitiert wurde sie auch nicht übermäßig. Passt also in Ihr Schema. Zufällig aber erwiesen sich genau diese Zuckerketten als besonders geeignet, dem Joghurt die gewünschte Konsistenz und Textur zu verleihen. Nachdem die Industrie das spitz bekommen hatte, begann sie aufwändig diesen Stamm für die Joghurt-Fermentation und Massenproduktion zu optimieren. Mit der Konsequenz, dass Sie heute in über der Hälfte des weltweit produzierten Joghurts genau diese Zuckerketten finden. Das Dumme ist nur, dass die Industrie ihre Ergebnisse nicht publiziert – und deswegen natürlich auch niemanden zitiert."

Der junge Mann schaute Suck nur an.

"Aber Impact hatte die Arbeit trotzdem, oder?," lächelte Suck.



Letzte Änderungen: 09.10.2004