Editorial

Special Mikrobiologie

Mikrobiomik: Von Darmbewohnern und Algenfressern
von Mario Rembold, Laborjournal 11/2018



Der Mikroben-Zoo Micropia in Amsterdam. Foto: Ciotu Cosmin / CC-BY-SA-4.0

Mikrobielle Gemeinschaften: Im Darm helfen sie uns bei der Verdauung, beherbergen aber auch allerlei Resistenzgene. Im Meer zersetzen sie Algen und verwerten dabei komplexe Zucker. Und im Süßwasserpolypen lässt sich ihr Zusammenspiel vergleichsweise einfach unter Laborbedingungen erforschen.

Der Naturwissenschaftler auf der Party als Nerd, der einsam in der Ecke steht? Womöglich ist es Ihnen als Biologe oder Mediziner ja tatsächlich schon mal so ergangen, nachdem Sie Ihr Wissen über moderne Sequenziermethoden oder die statistische Aussagekraft epidemiologischer Forschungsdaten zum Besten gegeben haben. Mit einem Thema können Sie sich die Aufmerksamkeit der Partygäste zurückholen: Erzählen Sie einfach etwas über das Mikrobiom im menschlichen Darm! Schließlich haben unsere winzigen Untermieter in den letzten Jahren den Sprung geschafft von der wissenschaftlichen Fachpublikation rein in die Gesundheitsmagazine und Lifestyle-­Illustrierten. Ob in diesen Zeitschriften nun jeder Ernährungsratschlag zur Optimierung der Darmflora wissenschaftlich fundiert ist, sei mal dahingestellt. Immerhin spricht sich jedoch herum, dass Bakterien mehr sind als bloß irgendwas Kleines, das Menschen krankmachen kann; und dass einige von ihnen uns sogar nützen und wir ohne sie gar nicht leben könnten.

Unter einem Mikrobiom versteht man die Gemeinschaft aller Mikroorganismen in einem Biotop. Wer Mikrobiomik betreibt, der erfasst und charakterisiert also mikrobielle Lebensgemeinschaften. Die Mikrobiomik ist dabei eng verwoben mit der Metagenomik, denn ein Metagenom ist die vollständige genetische Information, die in einem Biotop enthalten ist – oder zumindest in einer biologischen Probe.

Banaler Grund

Doch im praktischen Laboralltag ist man immer mehr oder weniger weit von einer wirklich vollständigen Genom-Inventur entfernt. Statt echte Metagenomik zu betreiben, haben sich gerade in der Vergangenheit viele Forscher auf die für Prokaryoten-typische 16S-rRNA beschränkt. „16S-Sequenzierung ist verhältnismäßig preiswert und kam daher im großen Umfang zum Einsatz“, erklärt Mikrobiologe Matthias Willmann, Oberarzt am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Uniklinik Tübingen. Gerade beim Erforschen des Darm-Mikrobioms seien solche Studienergebnisse aber häufig nicht reproduzierbar gewesen (mehr zur Reproduzierbarkeitskrise der Mikrobiomik gibt’s auf Seite 48). „Unterschiedliche Arbeitsgruppen haben unterschiedliche Primer verwendet“, nennt Willmann einen scheinbar banalen Grund. Doch zwei Forscher, die dasselbe Biomaterial untersuchen, können so zu vollkommen verschiedenen Schlussfolgerungen über die Artenzusammensetzung kommen. Weiter erklärt Willmann: „Durch die 16S-Sequenzierung bekommt man zwar immer wieder Korrelationen zu irgendwelchen Krankheiten, doch die lassen sich in anderen Studien nicht immer bestätigen.“

Neben seiner ärztlichen Tätigkeit leitet Willmann als Forscher unter anderem die Mikro­biologische Bioinformatik und Datenauswertung. Dabei profitiert der Tübinger Oberarzt von den Fortschritten der Sequenziertechniken. Er verweist auf neue Geräte vom Marktführer Illumina, dank derer Whole Genome-Sequenzierungen im Massendurchsatz über die Jahre immer preisgünstiger geworden sind. „Außerdem können wir heute auch tiefer in Genome reinsequenzieren“, so Willmann. Forscher haben also gute Chancen, auch jene Fragmente mit zu erfassen, die nur in geringer Kopienzahl vorliegen.

„Eine weitere Neuerung ist das Aufkommen der Long Read-Technologien in den letzten fünf Jahren“, ergänzt Willmann. Kombiniert man die Short Read-Sequenzierung im Massendurchsatz mit Long Read-Methoden, kann man bei der Datenauswertung zuverlässiger große Genomabschnitte rekonstruieren.

Im Gegensatz zur 16S-Sequenzierung liefert die echte Metagenomik mehr Daten als nur taxonomische Informationen zum Mikrobiom: Der Forscher erfährt auch etwas über funktionelle Eigenschaften. Willmann nennt als Beispiel Pseudomonas aeruginosa. Eine Korrelation zwischen einem Krankheitsbild und der Häufigkeit dieses Bakteriums im Darm sei wenig aussagekräftig. „Zwei Pseudomonas-aeruginosa-Stämme können unterschiedliche Gene tragen und vollkommen andere Virulenzfaktoren mitbringen; der Name ist da ein bisschen Schall und Rauch.“

Ähnliches gilt für Antibiotika-Resistenzen, die zum Teil über mobile Genelemente ausgetauscht werden. Die Suche nach Resistenzgenen im Darm-Metagenom ist zentrales Forschungsthema der Willmann-AG. In aktuellen Studien wollen sie das Resistom von Probanden erfassen, also die Menge und Häufigkeit aller Resistenzgene (frei verfügbares Review aus der Willmann-Gruppe zum Thema, siehe J. Mol. Med. (Berl). 95(1): 41-51).

Resistenzen im Selbstversuch

Um vollkommen neue Resistenzen zu entdecken, braucht es klassische Zellbiologie. Man screent Bakterienkulturen systematisch gegen ein Antibiotikum und kann dann die resistenten Stämme selektieren. Von „neuen Resistenzgenen“ möchte Willmann aber eigentlich nicht sprechen. „Bakterien tragen Resistenzgene ja schon seit Millionen Jahren mit sich herum und schützen sich damit vor Substanzen im Mikrobiom.“ Und Antibiotika sind in der Regel ja Naturstoffe, mit denen sich Pilze oder Bakterien gegen andere Mikroben behaupten. Insofern ist es zu erwarten, dass man im Säugerdarm auf resistente Bakterien stößt. „Wenn man nach Antibiotika-Resistenzen sucht, sollte man nach den konkurrierenden Spezies suchen“, bringt es Willmann auf den Punkt. Problematisch ist der inflationäre Einsatz von Antibiotika, der einen Selek­tionsdruck auf eigentlich seltene Resistenzgene ausübt, die sich dann ausbreiten.

Willmann und seine Kollegen suchen derzeit nur sequenzbasiert nach Resistenzen. Dabei ist den Forschern klar, dass sie bei der Sequenzanalyse auf den Vergleich mit bereits bekannten Resistenzgenen angewiesen sind. „Viele dieser Gene sind aber ohnehin Varianten bereits beschriebener Resistenzgene“, hält Willmann an dieser Stelle fest. Die Forscher wollen zum Beispiel wissen, wie sich Mikrobiom und Resistom im Darm während der Antibiotika-Einnahme verändern. Ergebnisse einer Pilotstudie hatte Willmanns Gruppe 2015 publiziert (Antimicrob. Agents. Chemother. 59(12): 7335-45). Weil man Probanden nicht ohne Weiteres ein Antibiotikum verabreichen darf, haben zwei Studienleiter im Selbstversuch sechs Tage lang Ciprofloxacin eingenommen und Stuhlproben zur Verfügung gestellt. „Ich war einer der beiden Teilnehmer“, verrät Willmann und räumt ein, dass die Daten von zwei Probanden nur bedingt aussagekräftig seien.

Trotzdem sahen die Forscher, dass die Diversität des Mikrobioms wie erwartet unter der Antibiose abnahm und mehr Ciprofloxacin-Resistenzen in den Proben auftauchten. Willmann erklärt weiter, dass ein Antibiotikum das Vorkommen anderer Resistenzgene verringert. Was zunächst paradox scheint, leuchtet auf den zweiten Blick ein: „Es überleben die Bakterien, die speziell gegen Ciprofloxacin resistent sind – Bakterien mit anderen Resistenzgenen profitieren nicht und sterben.“

Unter dem Akronym ASARI (für „Amplifikation und Selektion von antimikrobiellen Resistenzen im Darm“) laufen derzeit größer angelegte Studien dieser Art mit Patienten, die eine medizinisch notwendige Antibiose verordnet bekommen haben. „Wir würden Probanden niemals ohne medizinische Indika­tion irgendwelche Antibiotika geben“, betont Willmann. Die Daten zu einer der ASARI-Studien stehen bereits kurz vor der Veröffentlichung, kündigt Willmann an.

Die unangenehme Wahrheit

In einer 2017 veröffentlichten Arbeit geht Willmann einer grundsätzlichen Frage der Darm-Mikrobiomik auf den Grund: Wie gut spiegelt eine einzelne Probe das Mikrobiom wider? Hierzu hatten die Forscher menschlichen Kot jeweils an unterschiedlichen Stellen beprobt. Theoretisch sollten sich die Metagenome gleichen, doch ein als „Triangulation“ bezeichnetes statistisches Testverfahren deutet auf große Unterschiede der mikrobiellen Gemeinschaften hin – in ein und derselben Stuhlprobe (J. Biotechnol. 250: 45-50).

„Das ist eines unserer am meisten ignorierten Paper, weil das keiner so recht wissen möchte“, scherzt Willmann. Trotzdem will er künftig aussagekräftige Biomarker im Darm-Metagenom finden, die sich medizinisch nutzen lassen. Doch wenn sich die Mikroben-Diversität in jedem Zentimeter Darm unterscheidet, dürfte es schwer sein, wirklich zuverlässige Indikatoren zu finden. „Wir homogenisieren daher die Stuhlproben, um eine Art Durchschnitts-Mikro­biom zu bekommen“, so Willmann. Außerdem müsse man gegebenenfalls Stuhlproben verschiedener Tage berücksichtigen. „Medizinisch relevante Biomarker sollten sich dann immer noch in unterschiedlichen Probandengruppen signifikant unterscheiden.“

In der Erforschung des Darm-Mikrobioms mag man einen Hype sehen, der voreilig Hoffnungen sät. Andererseits gibt es auch einige gesicherte Erkenntnisse. Die „Stuhl-Transplantation“ etwa gilt nach aktueller Studienlage als wirksam gegen Infektionen mit Clostridium difficile. Auch Zusammenhänge zwischen individueller Darmflora und dem Arteriosklerose-Risiko oder das Ansprechen auf bestimmte medikamentöse Therapien lassen sich plausibel über Stoffwechselwege und Metabolismus der Mikroorganismen erklären.

Kleines Hydra-Mikrobiom

Trotzdem ist es schwer bis unmöglich, echte Kausalitäten zwischen der Aktivität von Darm-Mikroben und dem Gesundheitszustand eines Menschen zu beweisen. Auch Mausmodelle helfen nur bedingt weiter, einfach weil die Zusammensetzung der mikrobiellen Community so komplex ist. Am Zoologischen Institut der Uni Kiel hat sich das Team um Thomas Bosch daher einen Modellorganismus mit einem sehr viel einfacheren Bauplan ausgesucht: den Süßwasserpolypen Hydra.

Nicht nur ist die Morphologie von Nesseltieren wie Hydra überschaubarer, sondern auch deren Mikrobiom. „Beim Menschen findet man tausende von Bakterienarten, bei Hydra sind es weniger als zwanzig“, weiß Entwicklungsbiologe Alexander Klimovich, der in der Bosch-Arbeitsgruppe forscht. Zahlenmäßig dominiert Curvibacter die Bakteriengemeinschaft, die auf dem voll entwickelten Polypen siedelt. Allerdings scheint erst das Zusammenspiel mit den anderen Mikroorganismen zu einem Mikrobiom zu führen, das Hydra Vorteile bringt – dafür zumindest sprechen entwicklungsbiologische Arbeiten der Kieler Forscher (siehe auch LJ 10/2016: 18-21). Die Zusammensetzung der mikrobiellen Gemeinschaft folgt dabei einem zeitlichen Muster während der Entwicklung von Hydra, wobei über Moleküle wie den Toll-like-Rezeptor und antimikro­bielle Peptide anscheinend ein gezielter Informationsaustausch zwischen Prokaryoten und Polyp stattfindet.

Klimovich ist derzeit der Kommunikation zwischen Wirtsmikroben und den Nervenzellen des Polypen auf der Spur. Für diese Studien ist Hydra viel leichter handhabbar als Mäuse oder Fliegen, erklärt Klimovich. „Durch Behandlung mit Antibiotika können wir die Polypen keimfrei machen“. Das ist zunächst nichts besonderes, denn es gibt auch Mausmodelle ohne Darmbakterien. „Bei Hydra können wir aber zum Glück alle Bakterien einzeln kultivieren“, freut sich Klimovich „und dann die Polypen wieder mit einzelnen Bakterien kolonisieren.“ So lassen sich viel einfacher kausale Zusammenhänge aufdecken und sogar einzelnen Bakterienarten zuschreiben.

Bakterien als Taktgeber

Die Kieler Forscher wollten nun wissen, wie sich die Bewegungen von Hydra verändern, wenn man das Mikrobiom entfernt. Normalerweise zeigen die Polypen in regelmäßigen Zeitabständen spontane Kontraktionen und ziehen sich zusammen. Bei keimfreien Tieren sinkt die Kontraktionsrate von durchschnittlich 7,8 auf 4,6 Mal pro Stunde. Auch die Rhythmik ist bei manipulierten Polypen unregelmäßiger (Sci. Rep. 7: 15937).

Die Forscher besiedelten die Tiere dann wieder neu mit ausgewählten Mikroorganismen, um zu erfahren, welches Bakterium die verlorene „Schrittmacher“-Funktion wiederherstellen kann. „Eine einzelne Art reichte aber nicht“, blickt Klimovich auf die Experimente zurück. „Fünf Bakteriengattungen waren notwendig, um wieder Kontraktionen im normalen Rhythmus zu beobachten.“ Ausgerechnet der Hauptbewohner Curvibacter sei für die normale Kontraktionsdynamik aber nicht essentiell.

Warum sich Hydra mehrmals in der Stunde zusammenzieht, darauf hat Klimovich keine sichere Antwort. „Einige Forscher glauben, dass die Kontraktionen für den Gasaustausch oder die Verteilung der Nährstoffe innerhalb des Polypen notwendig sind.“ Klimovich sieht hier eine Parallele zur Peristaltik des Darms. Die Darmbewegungen seien nämlich auch bei keimfreien Mäusen in ihrer Rhythmik unregelmäßig und in der Frequenz verringert. Und beim Menschen könne die Peristaltik ebenso gestört sein, wenn das Mikrobiom aus dem Gleichgewicht gerät.

Welche Moleküle und Signalwege hier am Werk sind, wissen die Kieler noch nicht. Dafür aber konnte die Gruppe in anderen Experimenten ein Neuropeptid namens NDA-1 identifizieren, das offenbar antimikrobiell auf einige Bakterien und damit regulierend auf das Hydra-Mikrobiom wirkt. Klimovich vermutet einen gemeinsamen evolutionären Ursprung des Immun- und Nervensystems. Auch im Säugerdarm gebe es auf molekularer Ebene eine enge Kommunikation zwischen Nervenzellen und Mikroorganismen. „Einige Bakterien im menschlichen Körper stellen neuroaktive Moleküle wie Acetylcholin oder Serotonin her, die an den Rezeptoren unserer Neurone wirken“, so Klimovich. Mehr zur Erforschung dieser Gut-Brain-Axis und der Rolle des Hydra-Modells schreibt Klimovich zusammen mit Thomas Bosch in einem unlängst veröffentlichten Review (Bioessays 40(9): e1800060).

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So kommen Rudolf Amann und sein Team an ihre Algen-Proben: per Schiff und Kran. Foto: MPIMM / NEsken
Vom Darm ins Meer

Andere Forscher sind dem Enzym-Repertoire auf der Spur, das sich in Mikrobiomen versteckt. Zwar helfen mikrobielle Enzyme auch uns Menschen bei der Verdauung, dennoch wollen wir dazu einen Blick ins Meer werfen – konkret zusammen mit Rudolf Amann, dem Direktor der Abteilung Molekulare Ökologie am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen.

„Eigentlich wollen wir Kohlenstoffkreisläufe verstehen“, erläutert Amann den Hintergrund seiner Arbeit. Neben der Grundlagenforschung ist ein Aspekt die Rolle beim Klimawandel. „Algen fixieren CO2 und stellen daraus vor allem Polysaccharide her; allein Kieselalgen produzieren dabei jährlich Gigatonnen von Laminarin.“ Das Polysaccharid Laminarin dient den Kieselalgen als Speicherstoff, vergleichbar mit Stärke in Kartoffeln. Ein erhöhter CO2-Gehalt in der Atmosphäre sollte also eigentlich schnell durch Algen kompensiert werden, die ja verstärkt wachsen können.

Wer nun daran denkt, mithilfe der Kieselalgen das Klima zu retten, hat die Rechnung ohne die Bakterien gemacht. „Die setzen die Algen-Biomasse sehr schnell und fast vollständig wieder zu CO2 um“, weiß Amann. Trotzdem werden technische Verfahren diskutiert, um den von künstlich induzierten Algenblüten fixierten Kohlenstoff dauerhaft im Meeresboden abzulagern. Bevor man derart tiefgreifend ins marine Ökosystem eingreift, möchte Amann als Grundlagenforscher jedoch erstmal herausfinden, welche Zucker die Algen überhaupt herstellen. Denn Zucker zählen zu den vielseitigsten Biomolekülen überhaupt. Die Bremer Forscher rücken dafür in jedem Frühjahr zum Probensammeln in die Nordsee aus, wenn in der Deutschen Bucht die durch Kieselalgen ausgelöste natürliche Algenblüte ansteht.

Doch wie Amann berichtet, gibt es da ein Problem: „Chemisch können Sie die exakte Struktur und die umgesetzten Mengen der verschiedenen Polysaccharide nicht bestimmen, dafür sind sie zu komplex – und die Bakterien viel zu schnell mit dem Abbau.“ Obwohl also massenweise CO2 umgesetzt wird, sind die einzelnen Zucker niemals direkt in ausreichender Menge greifbar. Stattdessen nutzt Amanns Team einfach die Bakterien als „Berichterstatter“ und sucht im Mikrobiom nach Sequenzen, die für Proteine zur Zuckerherstellung kodieren. „Das sind Gene, die meist in Clustern nah beieinander liegen“, so Amann.

Unter den synthetisierten Proteinen finden sich auch Transporter, die Polysaccharide erkennen und ins Periplasma zwischen äußerer und innerer Membran gramnegativer Bakterien bringen. „Im Meer sehen wir vor allem Flavobakterien, die übrigens wie viele unserer Darmbakterien zu den Bacteroidetes gehören und auf dieselbe Stammesgeschichte zurückblicken.“ Bereits 2012 zeigten Amann und Co. durch metagenomische Untersuchungen, dass auf eine Algenblüte und der damit verbundenen Freisetzung von Sacchariden zeitlich Bakterienpopulationen folgen, die dann diverse Gene zur Zuckerverwertung exprimieren (Science 336(6081): 608-11).

Verrückt nach Zucker

Eines dieser Gencluster nennen die Forscher PUL – für Polysaccharide Utilization Locus. Die PULs findet Amanns Team in seinen Proben und kann so rückschließen, welche Enzyme die Bakterien synthetisieren können – und somit auch, welche Zucker die Algen wahrscheinlich produzieren. Für eine diesen Sommer veröffentlichte Studie hatten die Bremer Bakterien aus Proben isoliert, kultiviert und dann deren Genome nach PULs durchsucht (ISME J., doi: 10.1038/s41396-018-0242-6). „In insgesamt 53 Genomen haben wir 400 PULs identifiziert“, freut sich der Bremer Mikrobiologe.

Zunächst ist das Verständnis der Kohlenstoffkreisläufe natürlich Grundlagenforschung. Dennoch wirft Amann einen Blick in die Zukunft: „Wenn wir verstehen, welche Algen von welchen Bakterien wie effektiv abgebaut werden, kann man vielleicht gezielt Algenblüten so induzieren, dass das organische Material kaum zersetzt wird, sondern absinken kann – möglichst ohne negative Auswirkungen auf die Umwelt. Dadurch könnte man der Atmosphäre CO2 entziehen.“ Dieses Szenario, betont Amann, sei derzeit aber noch „sehr weit hergeholt“.

Das Beispiel aus Bremen zeigt, dass es in der Mikrobiomik mehr zu erforschen gibt, als unser (zweifellos spannendes) Zusammenleben mit den Darm-Mikroben. Und trotzdem scheint sich thematisch immer wieder der Kreis zum Darm-Mikrobiom zu schließen. Vielleicht lässt sich so ja auf der nächsten Party auch umgekehrt eine Brücke schlagen von den Ernährungstipps über die Darm-Mikroben hin zu Hydra, Algenblüten und Sequenziermethoden.

Last Changed: 08.11.2018