MikroProteine

von Karin Hollricher (Laborjournal-Ausgabe 03, 2014)


Editorial
Stichwort
Nicht nur Zwerge sind „klein, aber oho“. Foto: 100% Zwergen Power

Meistens sind sie klein. Immer haben sie einen dominant-negativen Effekt. Und ebenso ausschließlich wirken sie auf Transkriptions-Aktivatoren – sprich sie verhindern, dass diese Transkriptionsfaktoren ihre Zielgene aktivieren. Wer sind diese Unbekannten? Die Rede ist nicht von siRNAs oder microRNAs. Die Akteure dieses Stichworts sind so genannte microProteins (miPs) oder auch short interfering peptides (siPs). Die Gruppen um Stephan Wenkel von der Universität Tübingen (EMBO reports 12: 35) und Chu-Mong Park von der Seoul National University (Trends Plant Sci. 16: 541-9) prägten diese Bezeichnungen in Anlehnung an ihre inhibitorischen Funktionen, die denen der miRNAs und siRNAs nicht unähnlich sind.

Editorial

Tatsächlich aber werden die Begriffe miP und siP bisher kaum gebraucht. Dennoch könnten Laborjournal-Leser ihnen schon einmal begegnet sein. Bei Tieren sind sie nämlich auch unter dem Begriff Id-Proteine bekannt. Das hat nichts mit Identifikation zu tun, sondern steht für Inhibitor of DNA Binding.

Das erste Protein dieses Typs, Id1, isolierten 1990 Robert Benezra und Kollegen in Seattle aus Mäusen und identifizierten es als basisches Helix-Loop-Helix-Protein (bHLH-Protein). bHLH-Proteine gehören zu den aktivierenden Transkriptionsfaktoren (Cell 61: 49-59). Sie enthalten zwei Domänen: die HLH-Domäne, die nötig ist, um ein zweites bHLH-Protein festzuhalten – sowie eine basische Domäne, die an Hexanukleotid-Sequenzen der Zielgene bindet und sie damit aktiviert.

Die schiere Menge macht's

Id1 nun fehlt diese basische Domäne. Daher kann es zwar an ein vollständiges bHLH-Protein binden, doch das derart entstandene Dimer ist nicht funktionsfähig; es kann seine Zielgene nicht binden und somit nicht aktivieren. Id1-Partner sind Proteine, die die Differenzierung von Stammzellen samt deren Abkömmlingen sowie weiterhin den Zellzyklus steuern. Darüber hinaus dürften sie auch bei der Krebsentstehung eine Rolle spielen; jedenfalls findet man fehlgesteuerte Id-Gene häufig in Tumorzellen.

MiPs/siPs/IdPs sind allesamt Proteine, die diejenigen Transkriptionsfaktoren inhibieren können, die nur als Homo- oder Heterodimere aktiv sind. Und zwar dadurch, dass die MiPs/siPs/IdPs den eigentlichen Dimer-Partnern so ähnlich sehen, dass sie diese ersetzen können. Wie erwähnt, fehlt ihnen allerdings die aktivierende Domäne, so dass diese resultierenden Dimere inaktiv bleiben. Diesen negativ-dominanten Effekt erreichen MiPs folglich auf quantitativem Weg, indem sie den funktionstüchtigen Dimer-Partnern durch „schiere Menge“ zahlenmäßig überlegen sind.

Echte „Giftigzwerge“

Man spricht daher auch davon, dass MikroProteine die Proteinkomplexe „vergiften“, was schließlich zu einem mutierten Phänotyp führt. Per Definition sollten überexpremierte miPs einen ähnlichen Phänotyp hervorrufen wie Mutanten, bei denen das Zielgen des betreffenden aktivierenden Transkriptionsfaktors nicht funktioniert. Indessen sollte eine Mutante ohne miP-Funktion phänotypisch einem Organismus gleichen, dessen Zielgen aktiv ist.

Nicht nur in Tieren, auch in Pflanzen gibt es MikroProteine. Dort regulieren sie eine Vielzahl physiologischer Prozesse, etwa die Antwort der Pflanzen auf Licht und Schatten, das Wachstum und die Morphologie. Zum Beispiel steuern sie die physiologische Antwort auf die pflanzliche Hormonklasse der Brassinosteroide. Pflanzen, die keine Brassinosteroide bilden oder nicht auf dieses Hormon reagieren können, bleiben klein. Überexpression Id-ähnlicher Gene namens PRE in Arabidopsis thaliana beziehungsweise ILI in Oryza sativa können den Phänotyp des Hormonmangels kompensieren, indem sie ein weiteres bHLH-Protein namens Ibh1 aus dem Verkehr ziehen, das seinerseits den bHLH-Transkriptionsfaktor Ace inhibiert. Nur wenn die Steuerung dieses Terzetts aus Pre, Ibh1 und Ace dazu führt, dass sehr viel Pre gebildet wird, kann Ace Homodimere bilden und die Hormonantwort starten (Plant Cell 24: 4483-97). Diese Dreier-Balance stellt folglich eine komplizierte, aber feine Art der Regulierung dar, die bereits durch kleine quantitative Änderungen der Beteiligten zu veränderten physiologischen Antworten – hier beim Pflanzenwachstum – führt.

Generell sind nicht alle MikroProteine vom Typ bHLH – gerade Pflanzen besitzen auch welche, die vielmehr Transkriptionsfaktoren mit Homöodomänen negativ beeinflussen. Und vielleicht gibt es noch ganz andere Vertreter. Denn leider weiß man bisher nicht, wie viele miPs Pflanzen und Tiere tatsächlich bilden, da sie sich im Gegensatz zu miRNAs nicht mit bio­informatischen Methoden aufspüren lassen. Immerhin weisen die wenigen bisher bekannten Beispiele jedoch auf ein erfolgreiches Regulationssystem hin, das sich über viele Millionen Jahre erhalten hat. So fand man MikroProteine vom Typ Id in allen Tierstämmen wie auch in Angiospermen, während solche, die mit Homöodomänen-Transkriptionsfaktoren interagieren, nur in höheren Pflanzen vorkommen. Wie sie entstanden sind, sowie ob und wie die aktivierenden Domänen verloren gegangen sind, weiß man indes noch nicht. Alternatives Spleißen wäre eine Option.

Analog den miRNAs könnte man, so argumentieren jedenfalls die Tübinger Annika-Carolin Staudt und Stefan Wenkel, miPs sicher auch als biotechnologische, posttranskriptional aktive Werkzeuge verwenden. „By designing artificial miPs with different binding characteristics, it might also be possible to maintain target proteins in an attenuated – that is, nonfunctional – state“, schreiben sie am Ende ihres EMBO reports-Artikels. Doch das ist bisher noch blanke Theorie.


Letzte Änderungen: 12.03.2014